20. Jahrestag der Sicherstellung der Himmelsscheibe von Nebra

von 22. Februar 2022

Die weltberühmte Himmelsscheibe von Nebra, die sich derzeit als Leihgabe in derAusstellung ›The world of Stonehenge‹ im British Museum in London befindet,hatte vor ihrer Übergabe an das Landesmuseum für Vorgeschichte, ihrerechtmäßige Heimstatt, bereits bewegte Jahre hinter sich. Im Juli 1999 war sie aufdem Mittelberg bei Nebra von Sondengängern entdeckt und illegal ausgegrabenworden. Die beiden Männer hatten zwar die Scheibe zunächst nicht alsarchäologisches Objekt identifiziert, wohl aber die Schwerter, Beile, Armspiralenund den Meißel, die mit der Himmelsscheibe vergraben waren. Anstatt sich, wiees das Denkmalschutzgesetz des Landes Sachsen-Anhalt vorschreibt, an dasLandesamt für Denkmalpflege und Archäologie (LDA) in Halle als die zuständigeBehörde zu wenden, informierten die Männer einen ihnen bekannten Hehler ausdem Rheinland. Dieser erwarb den gesamten Fundkomplex für eine Summe von32.000 DM und verkaufte ihn für 230.000 DM an einen Privatmann weiter,nachdem er ihn vergebens mehreren deutschen Museen zum Kauf angebotenhatte.

Nachdem der damals frisch ins Amt gekommene Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt Harald Meller 2001 von der Existenz des Hortes erfahren hatte und derdamalige Besitzer die Funde, vermittelt durch eine Hehlerin, gewinnbringend andas Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale) verkaufen wollte, entschiedensich die Behörden des Landes Sachsen-Anhalt zu einer ungewöhnlichenVorgehensweise. In Abstimmung mit dem damaligen Kultusministerium desLandes als der dem LDA übergeordneten Behörde, dem Innenministerium unddem Landeskriminalamt (LKA) sollte ein Ankauf des Hortes durch das LDAfingiert werden. Ein verdeckter Ermittler des LKA stand dem Landesarchäologendaraufhin bei allen weiteren Schritten zur Seite, darunter auch ein Treffen mitder Hehlerin.

Am 23. Februar 2002 kam es schließlich im Hotel Hilton Basel zu einem TreffenHarald Mellers mit der Hehlerin und dem damaligen Besitzer des Hortes. Diesewurden ab dem Zeitpunkt ihres Grenzübertritts durch die Schweizer Polizeiobserviert, nachdem das LKA die Basler Staatsanwaltschaft um Rechtshilfeersucht hatte, und diesem Ersuchen innerhalb kürzester Zeit entsprochen wordenwar. Harald Meller begab sich nach einem Briefing durch die Basler Polizei undStaatsanwaltschaft zum vereinbarten Treffpunkt. Das Gespräch mit den Hehlernfand in der Hotelbar im Untergeschoss des ›Hilton‹ statt. Harald Meller erinnertsich: »Die Basler Polizei, der wir für ihre Unterstützung zu größtem Dankverpflichtet sind, hatte mir versichert, mich während des Treffens nicht aus denAugen zu lassen. Dass sich in der Bar außer den Hehlern, vor denen ichausdrücklich gewarnt worden war, und mir nur Personal und wenige Gästebefanden, machte mich nervös. Dennoch führte ich, wie vorab besprochen,fingierte Echtheitstests an einem Beil und einem Schwert aus, die mir zuerstvorgelegt wurden. Die Himmelsscheibe, die ich damals zum ersten Mal imOriginal sah, wurde mir zuletzt vorgelegt: Der Besitzer hatte sie sich mit einemHandtuch vor den Bauch gebunden und zog sie erst spät unter seinem Pulloverhervor.« Nachdem auch sie einer vorgeblichen Echtheitsuntersuchung unterzogenworden war, schnappte die Falle zu: Reibungslos erfolgten der Zugriff durch dieSchweizer Polizei, die Festnahme aller Beteiligten und die Sicherstellung desJahrhundertfundes. Alle Personen in der Bar, mit Ausnahme Mellers und seinerbeiden Gesprächspartner, erwiesen sich als verdeckte Ermittler. Die übrigenObjekte aus dem Hortfund, die sich zum Zeitpunkt des Treffens nicht in Baselbefanden, wurden im Zuge einer Hausdurchsuchung in Deutschlandsichergestellt. Wenig später konnte das gesamte Ensemble an das Landesmuseumfür Vorgeschichte Halle (Saale) übergeben werden.

In der Folge der Sicherstellung kam es nicht nur zu polizeilichen Ermittlungenund mehreren Gerichtsprozessen gegen die Raubgräber und Hehler, sondernauch zu umfassenden wissenschaftlichen Untersuchungen, in deren Fokus dieHimmelsscheibe selbst, aber auch das kulturelle Umfeld standen, in dem sie vormehr als 3.600 Jahren geschaffen wurde. Die Himmelsscheibe kann heute nichtnur als älteste Himmelsdarstellung der Welt und eines der am bestenuntersuchten archäologischen Objekte überhaupt gelten. Sie ist auch einSchlüsselfund, der grundlegende neue Forschungen zu einer ganzen Epoche dermitteleuropäischen Vorgeschichte, der frühen Bronzezeit (circa 2.200 bis 1.600vor Christus), der Zeit der sogenannten Aunjetitzer Kultur, angestoßen hat.

Die Himmelsscheibe wurde um 1600 vor Christus zusammen mit ihrenBeifunden – zwei Schwertern, zwei Beilen, zwei Armspiralen und einem Meißelauf dem Mittelberg vergraben, war zuvor aber bereits einige Generationen inGebrauch. Wie man heute weiß, vereint sie teils regional vorhandenes, teilsweitgereistes, vermutlich aus Babylonien stammendes astronomisches Wissenmit Materialien aus unterschiedlichen Regionen Europas: Kupfer aus demAlpenraum, Zinn und Gold aus Cornwall. Aufgrund ihrer Bedeutung als ältesteDarstellung kosmischer Phänomene wurde die Himmelsscheibe 2013 in das›Memory of the World‹-Register der UNESCO aufgenommen. Zugleich ist siesowohl Zeugnis als auch Schlüssel zu einer lange vergangenen, aber dennocherstaunlich vernetzten Epoche. Den in Folge ihrer Sicherstellung angestoßenenForschungen sind faszinierende und weitreichende neue Schlussfolgerungen zumsozialen und kulturellen Umfeld zu verdanken, in dem die Himmelsscheibegeschaffen wurde.

In diese Welt konnten noch bis Anfang Januar die Besucher derLandesausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale) ›Die Weltder Himmelsscheibe von Nebra – Neue Horizonte‹ eintauchen, derenBegleitpublikationen, ein umfangreicher Katalog sowie ein deutsch- undenglischsprachiges Begleitheft, weiterhin im Museumsshop des Landesmuseumsfür Vorgeschichte sowie im Buchhandel erhältlich sind. Ferner steht unterausstellung-himmelsscheibe.de eine Filmführung mit Harald Meller durch die am9. Januar 2022 beendete Landesausstellung zur Verfügung.Das gesamte Filmangebot aus dem Landesmuseum für Vorgeschichte ist zudemauf YouTube unter youtube.com/c/LandesmuseumfürVorgeschichteHallezufinden