Halloween – ein Tag, wie jeder andere

Halloween – ein Tag, wie jeder andere
von 2. November 2018

Aber immerhin stelle ich mich dem Brauch „Süßes oder Saures“ zu geben und habe ein Körbchen im Flur stehen, indem sich diverse Kariesmonster verbergen. Das Halloween auch noch identisch mit dem Reformationstag ist, ist ein Glücksumstand für diejenigen, die in einigen Bundesländern an diesem Tag arbeiten müssten. Da kann man kurz morgens an Luther denken und sich abends gruseln. Bei einem Glas Bier oder schärferen Sachen. Eigentlich war das Halloweenfest ein irisch-keltischer Brauch und das Lutherfest gedachte der großartigen Reformbewegung, die in Halle Kardinal Albrecht rausjagte und die Kirche förmlich auf den Kopf oder auf die Beine stellte, je nach Ansicht. So ist mir die Historie an diesem Tag weitaus wichtiger und sie lehrt in weiten Teilen auch das Gruseln, da brauch ich keine hohlen Kürbisse. Also sitz ich vor meinem Computer, arbeite an meinem Geschichtsbuch und warte auf das Klingeln und den kleinen Monsterchen, die in den letzten Jahren sich immer weniger einkleiden und nur noch auf Süßigkeiten aus sind. Das führt dann auch mal zu handfesten Auseinandersetzungen im Treppenhaus. Dieser Moment treibt mir regelmäßig die Tränen in die Augen. Die meisten kleinen Besucher wissen dann auch nichts über die Bedeutung des Festes und sind der festen Meinung, es ist ein amerikanisches Fest. Sei es drum, ich habe ja Süßigkeiten genug.

Endlich klingelt es. Ich öffne die Tür und bin überrascht. 5 wunderschön gruselig gekleidete und geschminkte Kinder stehen vor meiner Tür und singen mir ein Halloweenlied. Das haut mich um. Ich frage ein Menschlein im Zombiekostüm, was es mit Halloween auf sich hat und es erklärt mir mit einem Akzent, woher das Fest stammt und das der Brauch die Geister vertreiben soll und der Tag zwischen 31.10. und 01.11 schon seit den Druiden mystisch gewesen ist. Sogleich erklärt mir das nächste Kind die Sage von Jack O. einem Betrüger und Säufer, der weder im Himmel noch in der Hölle willkommen war und aus Mitleid vom Teufel eine Kürbislampe bekommen hatte um die Geister zwischen Himmel und Hölle zu vertreiben. So hat der unnütze Typ noch eine nützliche Aufgabe bekommen.

Meine Kinnlade ist vor Überraschung heruntergeklappt und ich hole tief Luft. Ich gucke mich um und suche nach der versteckten Kamera oder bin ich gar im falschen Film oder schlimmer noch im falschen Land? Doch schon stimmen die Monsterchen ein Lied von Luther an, dass er seinen eigenen Kindern einst sang. „Gelobet sei’s du Jesu Christ“. Am Ende klärt mich das Kind mit riesigen geschminkten Narben und einem blutigen Tuch über den Schultern und einer Zaubermütze über Luther und seine Reformen auf. Gott im Himmel, wo kommen denn die Wänster her? Ich bin hin und her gerissen, sowas habe ich noch nicht erlebt. Ich habe mich also in meiner Einschätzung der heutigen Jugend geirrt, es gibt doch noch wissende Kinder. Mit Deutschland geht es nicht nur bergab. Überglücklich verteile ich mit vollen Händen Süßigkeiten und bin eigentlich nur noch sprachlos. Befriedigt mache ich dir Tür zu und kann die Situation einfach noch nicht fassen.

„Es klingelt, gehst du mal ran“, ruft meine Frau aus der Küche. Wie schon wieder? Ich hab mich doch gerade hingesetzt und fühle mich seltsam müde. Im Flur steht der Korb mit Süßigkeiten, wieder randvoll gefüllt. Das hat wohl meine Frau gemacht. Erwartungsfreudig öffne ich die Tür und schrecke zurück. Mir schallt ein „Süßes oder Saures“ im Befehlston aus Kindermündern entgegen, die in normaler Alltagskleidung stecken. Das einzig Gruselige ist der Blick, der mir entgegenschlägt. Demonstrativ hält mir ein Kind seinen Korb entgegen. „Und was bedeutet Halloween?“, säusele ich freundlich fragend. „Wir wollen Süßes, sonst gibt’s Saures“, knurrt ein nettes Kindlein mit Schokolade um den Mund und setzt hinzu „Alter, woher soll ich die Scheiße wissen?“ Aha, ich bin wieder in Deutschland, in der Großstadt angelangt. Die vertrauten Umgangsformen aus Facebook schlagen mir entgegen. Ich knalle endlich wutentbrannt, also wie gewohnt an dieser Stelle, die Tür zu und höre die ebenfalls zuvor vermissten Tritte gegen meine Tür. Meine Frau guckt um die Ecke. „Na, wieder unzufrieden mit der heutigen Kultur?“ „Ach was“, entgegne ich, „das ist wie gewohnt. Aber es war das krasse Gegenteil von denen Kindchen davor.“ Meine Frau schüttelt den Kopf: „Da hast du wohl geträumt, bist am Schreibtisch eingeschlafen. Das waren eben die Ersten, die klingelten.“ Ich schaue auf den vollen Süßigkeitenkorb, lausche den sich entfernenden und laut schimpfenden Kindern nach und denke an Heine. „Denk ich Deutschland auch am Tag, ist’s ein Grauen ohne Frag, denk ich an Deutschland in der Nacht, hat’s mir einen guten Traum gebracht.“

Ich geh zurück an meinen Computer und log mich in Facebook ein. Unter meinem Eintrag zu dem Halloweenbild meiner Katze, die mit riesiger Zipfelmütze neben erleuchteten Kürbisköpfen auf einen Tisch sitzt, prangt ein Kommentar: „Eh, wer solche Tiere zu einem Fotoshooting zwingt und denen eine Mütze aufsetzt, sollte selbst gequält werden.“

Woher soll der gute Mann auch wissen, dass es ein Photoshop Bild ist und im Original meine Katze auf einem Katzenbaum sitzt. Schließlich darf jeder seine Meinung haben und seinen Anstand. Halloween ist irgendwie jeden Tag ein bisschen mehr.