Hamstereien

Hamstereien
von 19. November 2017

Im Minizoo unserer Schule hatten wir solch einen Tester. Einen Goldhamster, dem die Natur zwar eine ungewöhnliche Fülle, zu mindestens für einen Hamster, gab, dafür aber auch die Fähigkeit sich durch schmale Ritzen zu pressen. Hamster versuchen ständig ihre Heimgrenzen abzulaufen, selbst wenn man ihnen ein Heim von der Größe eines Zimmers baute, laufen sie stets an den Wänden entlang.

Eines Tages, einer jenen Tage an denen alles schief geht, hatte ich genug im Minizoo zu tun, füttern, sich beißen lassen, ein Terrarium zerschlagen und einen Wellensittich jagen, also die ganz normalen kleinen „Katastrophen“. Unseren Hamster fütterte ich zuletzt, etwas genervt, durch die schon beschriebenen Umstände und dadurch unachtsam. Ich ließ einen winzigen Spalt seiner Terrarientür offen und ging erschöpft nach Hause.

Mensch weg, Hamster da, zu mindestens in dem Gebäude, das ich Schule nannte. Unser Hamster „grubte“ und zerrte, kratzte, schabte, biss und setzte alle seine von der Natur gegebenen Werkzeuge ein und schaffte es, seine Tür zu öffnen, gerade groß genug um sich durchzuzwängen.

Die Tür des Minizoos war dagegen eine geringfügige Herausforderung. Die Zähne geschliffen und sich durchgenagt, durch die Pappwände einer soliden DDR-Schultür, eine Kleinigkeit für unseren Hamster.

Im weiteren Verlauf seiner beginnenden Erkundungsreise wurde die Schule ausführlich begutachtet. Dabei bezwang er sogar einige Stockwerke nach unten; eine wahrhaftig artistische Meisterleistung. Die Stufe stieg er nicht herab, sondern überwand sie durch todesmutiges Herunterstürzen.

12 heruntergestürzte Stufen später, traf unser Hamster auf den gerade im Haus weilenden Direktor Herrn Lutz F. Beide schauten sich an, der Hamster eher gelangweilt, der Direktor etwas verdutzt. Da unser Hamster aber nicht mit langweilen wollte, brach er zu neuen Ufern auf. Es wurde im verwehrt durch einen seufzenden Direktor, der seinen Minizoo an der Schule kannte, die Tiere und den „Zoopfleger“ und seine „Katastrophen“. Also nahm er das kleine Pelzknäuel und verstaute es in der direktorialen Anbauwand seines Büros hinter Glas.

Da ein Direktor viel zu tun hat, kam es, dass unser Hamster vorübergehend aus seinem Gedächtnis entschwand.

Vier Stunden später, kamen Eltern zur Elternsprechstunde. Nicht um den Hamster zu besuchen, sondern um mit dem Direktor diverse Probleme zu besprechen. Unser Direktor beantwortete brav alle Fragen und hob gerade zu einer längeren Rhetorik an, als er gewahr wurde, dass die Augen der Eltern aus seinem Blickfeld verschwanden und irritiert auf die Anbauwand starrten. Es dämmerte ihm allmählich, das die Ursache der verwunderten Gesichter nicht sein Vortrag, sondern der hin- und herlaufende Hamster war. Ein Schuldirektor mit einem Hamster in der Anbauwand war doch etwas seltsam. Also seufzte unser braver Direktor, erzählte von den kleinen „Katastrophen“ im Minizoo, den Tieren und dem Zoopfleger.

Was sich die Eltern bei den Ausführungen dachten, ist nicht überliefert. Unser Hamster lebte noch zwei Jahre, allerdings in einem speziell abgesicherten Terrarium. Der „Zoopfleger“ hätte dies auch auf seine Mäuse anwenden sollen, um sich eine seltsame Verwandlung zu ersparen, aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.

Der Tatort - Die Heinrich-Heine-Schule

(So geschehen 1993. Der Minizo bestand von 1986 – 2004)