„Behinderten einfach eine Chance geben“

von 16. April 2016

Antje Bauer begrüßte die Gäste im „Haus der Wirtschaft“ zu einem Abend, der vor allem den Unternehmen galt, die Inklusion bisher nicht praktizieren. Die Veranstalter folgten einer Initiative des Bundes zur Inklusion. Bauer meinte, dass es zu dem Thema viele Informationsdefizite gibt und beschrieb, wie sie beim Vorbereiten ihrer Eingangsrede dazugelernt hat. So kannte sie bisher keine Menschen mit Behinderung – dachte sie. Doch dann las sie, dass zum Beispiel Diabetes und Allergien auch Behinderungen sind und wusste plötzlich, dass es da im Freundes- und Bekanntenkreis einige gibt. An die Unternehmer appellierte sie, sich zu rechtlichen Fragen und Fördermöglichkeiten zu informieren. Mit Blick auf die Fachkräftesicherung sagte sie: „Menschen mit Behinderung eine Chance zu geben, ist keine Wohltat. Es ist auch nicht allein eine gesetzliche Verpflichtung. Es ist – und aus der Sicht der IHK vor allem auch – eine Frage der wirtschaftlichen Vernunft.“

Im Anschluss dankte Jobcenter-Geschäftsführer Jan Kaltofen Veranstaltern und Organisatoren. Heute bestehe die Chance, praktische Beispiele der Inklusion zu erleben. Das helfe, weit verbreiteten Vorurteilen gegenüber Menschen mit Handicap vorzubeugen. Das seien leistungsfähige Menschen. Es gebe zahlreiche Unterstützungen, auch bei der individuellen Gestaltung des Arbeitsplatzes. So könne man nicht nur Gutes, sondern auch Richtiges tun.

Beatrice Brußig vom Integrationsfachdienst (IFD) Halle-Merseburg hielt das Referat des Abends. Begleitung von behinderten Menschen im Arbeitsleben. Der IFD betreut von seinem Büro in der Emil-Abderhalden-Straße 21 in Halle die Gebiete Anhalt-Bitterfeld, Halle und nördlicher Saalekreis. Das IFD-Büro in Leuna betreut den südlichen Saalekreis und den Burgenlandkreis. Brußig sagte, worum sich der Fachdienst für Integrationsbedürftige und Integrationswillige kümmert: Arbeitsplatzbegleitung, Arbeitsvermittlung, Wiedereingliederung, Arbeitsplatzausstattung, Leistungsfähigkeitscheck, Neuorientierung, Fördermöglichkeiten.

Die Hilfe zur Inklusion basiere auf der Initiative Inklusion „Verbesserung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales aus dem Jahr 2011 und dem entsprechenden „Landesmodellprojekt Übergang Schule – Beruf“, das bis 2019 geht. Auf Menschen mit Handicap wirken die heutigen Einflüsse am Arbeitsplatz ganz besonders, machte Brußig deutlich und verwies auf die hohe Reizeinwirkung, den hohen Leistungsdruck, Überstunden, die Erwartungen an die Flexibilität, Schichtarbeit und Multitasking (mehrere Aufgaben gleichzeitig erledigen). „Man sollte den Behinderten ganz einfach eine Chance geben.“ Arbeitgeber könnten zur Inklusion finanzielle Hilfen beanspruchen zum Beispiel für behindertengerechte Arbeitsplätze und für außergewöhnliche Belastungen bei der Beschäftigung Behinderter. Der IFD, so Brußig, ist auch für schwerbehinderte Arbeitnehmer da: nach langer Krankheit, bei Konflikten (Konfliktmanagement), bei Über- oder Unterforderung, in vertraulichen Einzelgesprächen, bei der Kontaktvermittlung, Begleitung in Kündigungsschutzverfahren, dem Erstellen von Leistungsprofilen sowie dem Anspruch auf die Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz.

Es folgte eine Runde mit vier Menschen, die praktische Erfahrungen aus der Inklusion mitgebracht hatten. Zuerst kam Nadine Wettstein zu Wort. Sie hat sich selbstständig gemacht als freie Dozentin und Beraterin für Inklusion. Die späterblindete Wahlhallenserin ist eigentlich Agrar- und Ernährungswissenschaftlerin. Sie sagte: „Inklusion ist ein Gewinn für die ganze Gesellschaft.“ Als Beraterin wolle sie Berührungsängste abbauen. Es fehle oft die Begegnung zwischen Menschen mit und ohne Behinderung. Behinderte würden zunächst als Menschen mit Leistungsdefiziten gesehen. Sie möge die Benachteiligung Behinderter ebenso wenig, wie wenn Behinderte besser gemacht werden, als sie sind. Küchenstudio-Inhaber Gerd Micheel berichtete aus dem Erleben in seinem Betrieb, dass Behinderte oft dankbarer und leistungsbereiter sind. In seinem Unternehmen arbeiten drei Behinderte. „Das Hauptproblem behinderter Menschen ist die Einsamkeit.“ Taxiunternehmer René Elix erzählte von einem Behinderten, der mehrfach zu Praktika kam und inzwischen fest eingestellt ist. Allerdings habe es mit der Einstellung monatelang gedauert. Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes habe den Prozess verzögert. Elix sprach auch begeistert von einem Menschen aus der Behindertenwerkstatt, der regelmäßig in die Waschanlage kommt. Norbert Specht, Schwerbehindertenvertreter beim halleschen IT-Systemhaus Gisa berichtete, dass Behinderte in Beratung, Anwendungsbetreuung und Rechenzentrum arbeiten. Die Politiker seien gefordert, die Prozesse zu vereinfachen, mit denen Behinderte etwa bei Genehmigungsverfahren konfrontiert seien.