„Die Idee ist gerade en vogue“

von 17. Juni 2016

Warum es dabei geht und dass es dafür etliche Ansätze gibt, die teilweise komplett gegensätzlich in Ziel und Wirkung sind, zeigte der Soziologe und Politikwissenschaftler Thilo Fehmel am 14. Juni 2016 im Forum Hallense, einem etablierten Veranstaltungsort an der Moritzkirche in Halle, auf.

Es ist Dienstagabend. Unter den Gewölben des Veranstaltungsortes ist kein Stuhl mehr frei. Menschen aller Altersklassen sind gespannt auf Vortrag und Diskussion. Fehmel schickt voraus, dass er schon während seines Studiums, also schon vor vielen Jahren, mit dem Thema befasst war. Er nannte seinen Doktorvater Georg Vobruba, Soziologe und Volkswirt, und dachte dabei an dessen Buch „Entkoppelung von Arbeit und Einkommen – das Grundeinkommen in der Arbeitsgesellschaft“. Das Grundeinkommen war immer wieder ein Thema beginnend mit der Antike, wo bereits die Frage diskutiert wurde, wie gesellschaftlicher Wohlstand zu verteilen ist. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts wurde aus der akademischen Diskussion ein politisches Thema. Es ist „in Mode“, wie Fehmel sagt: „Die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens ist gerade wieder en vogue.“

Marktwirtschaft ist in einer Leistungs- und Legitimationskrise

In den 1960er Jahren war das BGE ein Anliegen sozialer Bewegungen in den USA, so Fehmel. Erst in den 1980er Jahren verbreitete sich die Idee auch in Europa. Als Gründe dafür nennt der Sozialwissenschaftler das Ende der Vollbeschäftigung in den 1970er Jahren und die sozial-ökologische Bewegung der 1980er Jahre. 1982 befasste sich der 21. Deutsche Soziologentag in Bamberg mit der „Krise der Arbeitsgesellschaft“. Die soziale Marktwirtschaft ist seither in einer Leistungs- und Legitimationskrise. Die Zahl der Menschen, die durch das soziale Netz fallen, steigt.

Die Grundüberzeugung des BGE ist, dass man Arbeit und Einkommen trennen muss. Fehmel verweist auf eine Definition der Schweden Yannick Vanderborght und Philippe Van Parijs, die 2005 das Buch „Ein Grundeinkommen für alle?

Geschichte und Zukunft eines radikalen Vorschlags“ herausgebracht haben. Demnach ist das BGE „ein Einkommen, das von einem politischen Gemeinwesen an alle seine Mitglieder individuell, ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Gegenleistung ausgezahlt wird.“

Unterschiedliche Modelle, unterschiedliche Begründung

Fehmel nennt zwei Modelle für das Grundeinkommen: die Sozialdividende und die negative Einkommenssteuer. In beiden Fällen ist das BGE steuerfrei. Besteuert wird das Primäreinkommen, also der eigene Verdienst. Bei der negativen Einkommenssteuer läge die Grenze zwischen negativer und positiver Besteuerung bei 2000 Euro. Beide Modell führen rechnerisch zum selben Ergebnis, wobei die negative Besteuerung komplizierter wäre.

Derweil gibt es laut Fehmel zwei grundsätzlich unterschiedliche Richtungen, wie das BGE begründet wird: Der emanzipatorisch-egalitäre Ansatz (Gleichberechtigung) verfolgt den Abbau der Abhängigkeiten, will Benachteiligungen und Stigmatisierungen abbauen, Selbstbestimmung fördern, Spielräume vergrößern, den gesellschaftlichen Wohlstand gerecht verteilen, die soziale Teilhabe fördern und die soziale Anerkennung definieren. Der ökonomisch-fiskalische Ansatz (Wirtschaftlichkeit) steht für die Entlastung des Sozialstaates, steigende Flexibilität für Unternehmen, Niedriglohnausbau, Kaufkraftstabilität, Abbau des Staates und die Stabilisierung des Systems. Damit ist der ökonomisch-fiskalische Ansatz fast das Gegenteil dessen, was die emanzipatorische Seite will.

Man muss genau hinsehen, um Modelle einzuordnen

Um also die jeweiligen Vorschläge einordnen zu können, muss man genauer hinschauen, etwa darauf, wer anspruchsberechtigt ist und in welchem Verhältnis Leistung und Gegenleistung stehen. Die ökonomisch-fiskalische Seite will für den Mindestlohn fast alle Sozialleistungen streichen. Die emanzipatorische Seite sieht das BGE als Ergänzung zu den bestehenden Sozialleistungen und will es mit einem gesetzlichen Mindestlohn flankieren. Der Mindestlohn soll vor dem Ausbau des Niedriglohn-Sektors auf der Grundlage des Grundeinkommens schützen.

Sozialleistungen wie das Grundeinkommen haben ein enormes Steuerungspotenzial. Verhaltens- und Anpassungskontrolle sind möglich. Die Frage, wer das BGE bekommen soll, wird heftig diskutiert. Ein Gutteil der Debatte in der Schweiz drehte sich um den Einwand, dass die Schweiz nicht aller Welt ihren Wohlstand zeigen und so alle in die Schweiz einladen muss. In Deutschland wird auch diskutiert, ob das BGE nur an Deutsche und EU-Bürger gezahlt werden soll, nicht aber an Drittenstaaten-Angehörige und Straffällige. Der freie Zugang zum BGE für Menschen aus Drittstaaten hätte eine Sogwirkung mit unabsehbaren Folgen, wird befürchtet.

Grundeinkommen für alle oder nur für Erwerbstätige?

Zu den Kernfragen gehört auch, wie bedingungslos das BGE ist. Fehmel schreibt denjenigen, die keine Bedingungen stellen und keinen Arbeitszwang ausüben wollen, ein „euphorisches Menschenbild“ zu. Die Skeptiker hingegen gehen davon aus, dass ohne Primäreinkommen (Einkommen aus eigener Arbeit) und ohne individuelle Leistung die Gefahr der Passivität, also des Nichtstuns, besteht. Daher soll es das BGE nur für Erwerbstätige geben, also eine Art Kombilohn. Das, sagt Fehmel, hat mit der Idee des BGE nicht mehr viel zu tun. Zugleich erklärt er, dass es ein vollkommen bedingungsloses Grundeinkommen nicht geben kann, da ein entsprechendes Steueraufkommen erforderlich ist, um es zu finanzieren.

Letztlich gibt es zahlreiche Modelle für das Grundeinkommen. Dabei sind die Konzepte sehr unterschiedlich. „Politisch ist das bedingungslose Grundeinkommen im Moment nicht annähernd mehrheitsfähig.“ Aus soziologischer Sicht gibt es laut Fehmel folgende Gründe dafür: erstens kein empirisches Wissen über die Folgen des BGE und zweitens unterschiedliche Ansichten darüber, welche Folgen das BGE für Preise, Mieten und Unternehmen hat. Finnland wird nach seiner Auffassung nicht viel neue Erkenntnisse liefern, weil dort die Einführung des BGE zunächst auf zwei Jahre befristet ist und sich das Verhalten der Empfänger befristeter Zahlungen von dem bei unbefristeten Zahlungen sicher unterscheidet.

„Das Grundeinkommen ist kurzfristig nicht zu erwarten“

Aus der empirischen Gerechtigkeitsforschung geht laut Fehmel hervor, wovon die Bereitschaft zur sozialen Umverteilung und die Höhe der Transfers abhängt: von der Annahme der Geber, welchen Bedarf die Nehmer haben, von der Bereitschaft zu Gegenleistungen, von der Frage, ob die Hilfsbedürftigkeit verschuldet oder unverschuldet entstanden ist und davon, ob der Empfänger aus derselben sozialen Gruppe stammt wie der Geber. „Entscheidend ist die Einstellung der Nettozahler. Der gesellschaftspolitische Status von Erwerbseinkommen ist höher als von Sozialeinkommen.“ Das Fazit aus Fehmels Sicht: Das BGE ist kurzfristig nicht zu erwarten. Es besteht kein Änderungsdruck. Das BGE ist „zu radikal und zu diffus“. „Wir werden nicht morgen und auch nicht in zehn Jahren ein Grundeinkommen haben.“

Jetzt sind die Zuhörer an der Reihe, Fragen zu stellen oder eigene Gedanken zum Thema vorzutragen. Auf der Computermesse CeBIT war Thema, dass die Robotorisierung der Arbeitswelt weitere Arbeitsplätze kosten wird, so dass es ohne BGE nicht mehr geht, berichtete eine Frau. Fehmel sieht in dem Verweis auf die Roboter dieselbe Debatte über die Arbeitsgesellschaft wie in den 1980er Jahren. „Es wird in den nächsten 20 Jahren nicht zur Befreiung von der Arbeit kommen.“ Zu den Befürwortern des Grundeinkommens gehören Telekom-Chef Timotheus Höttges, der ehemalige DM-Chef Götz Werner und der ehemalige Ministerpräsident Thüringens, Dieter Althaus (CDU). Ihre Ansätze sind jedoch nicht emanzipatorisch; die bestehende Ungleichheit würde weiter steigen.

Ein Bürger sorgt sich, dass das BGE von findigen Geschäftemachern gleich abgeschöpft wird. Ein junger Mann wirft ein: Das BGE ist nicht radikal mit Blick auf die Missstände des Kapitalismus. Es unterstützt Entspannung und Selbstbestimmung. „Zum Menschen gehört eine Beschäftigung.“ Eine Frau mahnt den vernünftigen Umgang mit der Umwelt an. Außerdem gibt sie zu bedenken, dass das BGE wahrscheinlich nicht isoliert in einem Land eingeführt werden kann, sondern nur global. Fehmel antwortet, indem er an die 80er Jahre erinnert, wo die Ökologie noch ein zentrales Thema war.

Blog über das Ende der Arbeitsgesellschaft

http://goodimpact.org/blog/das-ende-der-arbeitsgesellschaft

Das Ende der Arbeitsgesellschaft | Good Impact

goodimpact.org

Im Grunde sind es vier Veränderungstreiber, die die Zukunft unserer Arbeit bestimmen werden: Sharing Economy, Künstliche Intelligenz/Deep Learning, Software …

basic income world network about the experiment in Finland

http://www.basicincome.org/news/2015/12/finland-basic-income-experiment-what-we-know/