„Ich wollte wissen, was das soll“

von 4. August 2016

In der Ankündigung seitens der Justiz heißt es dazu unter anderem: „Dem im Januar 1953 geborenen Angeklagten wird – teils schwerer – sexueller Missbrauch von zwei Mädchen zur Last gelegt.“ Gemäß der Anklage begannen die Handlungen 2005 und 2007. Zu der Zeit waren die Kinder sieben und acht Jahre alt. Zu den Taten soll es in den Jahren 2005 bis 2009 sowie 2015 bis zur Anzeige 2016 gekommen sein. „Die Ermittlungen wurden durch eine Strafanzeige der Mutter des zweiten Mädchens im Februar 2016 ausgelöst. Über Fotos, die der Angeklagte in seinen privaten E-Mail-Account hochgeladen haben soll, seien dann die Taten zum Nachteil des ersten Mädchens bekannt geworden.“ Im Falle einer Verurteilung geht das Gericht von einer Gesamtstrafe von 25 Monaten bis 15 Jahren aus.

Im Raum 123 dauert es noch etwas. Die Sonne scheint durch die großen Fenster auf der Ostseite. Es ist warm in dem prächtigen Saal aus der Kaiserzeit. An den Wänden ringsum ist ein hoher, roter Holzsockel. Ornamente, Stuck, über der Tür eine große, runde Uhr mit Goldrahmen. Leicht verspätet wird der Angeklagte in Handschellen hereingeführt. Er ist klein und kräftig, hat kurze, graue Haar, einen Vollbart und trägt eine Brille. Seine Oberarme sind tätowiert. Vor sein Gesicht hält er krampfhaft einen grauen Gerichtsordner, um sich vor einer Fotografin zu verbergen. Neugierig spät er durch das Handloch des Ordners ins Publikum und zur Richterbank. Dann verharrt er, atmet schwer und zappelt unruhig herum. Schließlich kommen sechs Frauen herein. Es ist 9.10 Uhr; die Verhandlung beginnt.

Die Ehefrau des Angeklagten hat im Zeugenstand Platz genommen und neben ihr eine enge Vertraute. Sie ist Gebäudereinigerin, 64 Jahre alt und lebt inzwischen offenbar in Trennung. Der Richter belehrt sie, dass sie die Wahrheit sagen muss, aber auch schweigen kann. Er verweist auf die familiären Verbindungen, die sich möglicherweise auf Tatsachendarstellungen verfälschend auswirken könnten. Frau S. ist sich sicher: „Nein, ich möchte aussagen!“ Sie redet leise, wenig und mit teils großen Pausen. Sie ist oft schwer zu verstehen und versteht selbst nur schwer, was der Richter sagt. Die Akustik im Saal lässt sehr zu wünschen übrig. Ihr Mann sollte sich um Nachbarskinder kümmern. Es ging um Schularbeitenbetreuung, Zoo-Besuche, Eis essen. Ihr sei nie was aufgefallen und die Kinder hätten nichts gesagt. Die Kinder seien auf ihren Mann fixiert gewesen. Einmal habe ihr Mann den Kindern ein Geschenk gemacht, von dem sie nichts wusste. „Ich wollte wissen, was das soll.“

Als es dann zur Anzeige kam, habe er erklärt, alles sei erstunken und erlogen. Die Kinder, sagt Frau S., waren regelmäßig da und ihr Mann war öfter mit ihnen allein. Er habe sich als Kinderbetreuer angeboten. „Ich war damit erst nicht einverstanden.“Auf die Frage nach dem Grund schweigt sie. Ihr Mann habe dem Mädchen oft was geschenkt. Sie hätte nichts ordentliches anzuziehen. Die Zeugin beschreibt das Kind als lebhaft und liebevoll. „Sie konnte aber auch bockig sein.“ Das Kind sei sehr kuschelbedürftig gewesen. Thema ist nun auch der Alkoholkonsum des Mannes. Das war früher extrem schlimm, dann besser, erklärt sie. Trotz mehrerer Nachfragen: Mehr sagt sie dazu nicht.

Der Richter spricht im Laufe der Verhandlung von den Paragraphen 176 (sexueller Missbrauch) und 184 (Verbreitung pornografischer Schriften). Strittig ist nun die Frage, inwieweit er Fotos von den Kindern verbreitet oder in der Absicht, sie zu verbreiten, angefertigt hat. Diverse Rechner, Tablets und Handys wurden untersucht. Die Anwaltschaft verweist auf eine Gesetzesänderung im Jahre 2015, wie Herstellung, Verbreitungsabsicht und Verbreitung pornografischen Materials zu werten ist. Schließlich gibt der Richter den Hinweis, dass ist schwierig und nicht immer sehr klug ist, Kinder zu zeitlichen Abläufen und Häufigkeiten von Ereignissen zu befragen. Man wolle sich auf den Kern der Sache konzentrieren.

Als weitere Verhandlungstermine sind der 5. und 12. August 2016 angesetzt. Beginn ist jeweils 9 Uhr im Landgericht Halle (Hansering), Raum 123. Interessierte Bürger können als Zuhörer teilnehmen. Die Zahl der Stühle ist begrenzt. Am 5. August soll eine weitere Zeugin gehört werden, am 12. August ein Gutachter.

Nachtrag: Für den sexuellen Missbrauch von Kindern sähen einige Menschen am liebsten die Todesstrafe. Tatsächlich sieht das Strafgesetzbuch (StGB) bis zu zehn Jahren Haft vor. Im Paragraph 176 StGB Absatz 1 steht: „Wer sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.“ Da „Kinderschänder“ in der Gefängnishierarchie ganz unten stehen, kann dieses Strafmaß noch härter sein, als es erscheint.

Sexueller Missbrauch im StGB

https://dejure.org/gesetze/StGB/176.html

Verbreitung pornographischer Schriften

https://dejure.org/gesetze/StGB/184.html

Update 25,08,2016

Der Angeklagte hat viele der ihm zur Last gelegten Taten, in einem Sitzungsabschnitt unter Ausschluß der Öffentlichkeit gestanden.

Das Urteil lautet: Freiheitssrafe von 4 Jahren.