„Irgendwann muss man auch machen“

von 20. Januar 2016

Hohe Säle inklusive Küche, Lange senkrechte Glasröhren mit grellem Neonlicht, neongelbe Treppenaufgänge, ein Betonlabyrinth aus Büroräumen, ein großer Innenhof zum Parken und umzugsbedingt mit Holzfaserplatten ausgeschlagene Fahrstühle – so erleben die Gäste aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft am Abend des 20. Januar 2016 die Innenräume des neuen Finanzamtsgebäudes, das, im Bauloch an der Spitze stehend, mit seiner langen, brachialen Festungsfassade schon seit Monaten unübersehbar ist und für heftige Debatten sorgte. Doch am Mittwoch zur Schlüsselübergabe mit konzertanten und kulinarischen Häppchen ist alles einfach nur schön. Die „Macher“ triumphieren.

Klaus Papenburg vom gleichnamigen Bauunternehmen, das im Auftrag der politischen Führung Sachsen-Anhalt, den Neubau errichtet hat, steht als Erster am Mikrofon. Schon in den 1970er Jahren gab es Baupläne für dieses Gelände, erinnerte er. Kurz vor der Wende hatte die DDR mit den Gründungsarbeiten für den so lange angekündigten Kulturpalast begonnen, doch dem Aus für den Sozialismus 1990 kam auch das Aus für den Palast in der Bezirksstadt. Papenburg blickt zurück: Vor zehn Jahren wurde sein Unternehmen von der damaligen Oberbürgermeisterin Ingrid Häußler angesprochen, die Fläche zu übernehmen. Vor zwei Jahren dann kam der Vertrag mit dem Land Sachsen-Anhalt zustande. 23 Monate wurde gebaut für 30 Millionen Euro. 80 Prozent der am Bau beteiligten Unternehmen kamen aus der Region, so Papenburg.

Finanzminister Bullerjahn lobt schnellen Bauabschluss

Nächster Redner ist Sachsen-Anhalts Finanzminister Jens Bullerjahn. Seit 2006 ist er Herr über die Finanzen und inzwischen beim zweiten CDU-Landesvater auf dem Stellvertreterposten. Auch nach der Landtagswahl 2016 will er Finanzminister sein (falls ihm die AfD keinen Strich durch die Rechnung macht; Anm. d. Red.). Über die Architektur wurde lange diskutiert, beginnt Bullerjahn. Er sei kein Mann dafür, so etwas zu entscheiden. Er sei Elektroingenieur, Finanzer und Fußballfan. „Ich bin froh, dass das ganze Thema zu Ende gebracht wurde.“ Auch erzählt nun die Baugeschichte: 2006 fiel die Entscheidung, die Finanzverwaltung des Landes an wenigen Standorten zu konzentrieren. Das hat insgesamt zehn Jahre gedauert. In den nächsten zehn Jahren werde sicher niemand mehr die Struktur anfassen. Andere hätten gesagt, das Geld sei in der Universität Halle besser aufgehoben. Doch der Neubau an der Abderhaldenstraße sei gleich beschmiert gewesen, was er sehr schade finde. „Wir haben viel gebaut“, sagt Bullerjahn und zählt unter anderem Schulen und Kindergärten auf. Der Neid habe dabei immer mitgespielt und Unterstellungen seien ständige Begleiter gewesen. Schließlich dankt er der Firma Papenburg für den Finanzamt-Neubau in Halle: „Unfallfrei und in der Zeit.“ Halle könne sich nicht beschweren. Für die Stadtentwicklung sei es gut, wenn bis zum Jahr 2020 alles erledigt ist, denn dann werde es nicht mehr so viel Geld geben. Zum Schluss würdigt der Minister seine Mitarbeiter: Im Finanzamt säßen die, die das Geld eintreiben, das andere schon längst ausgegeben haben. Es würden alle Menschen anständig als Steuerbürger behandelt. Die Hallenser müssten keine Angst haben, dass Akten verloren gingen. Die lückenlose Bearbeitung sei gesichert.

„Die Stadt ist stolz auf das Finanzamt“, beginnt Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegand. Er sieht den Neubau als Teil der Wirtschaftsentwicklung der Stadt. Man arbeite seit einige Zeit intensiv an Ansiedlungen für Große Ulrichstraße, Leipziger Straße und Riebeckplatz. Wiegand will weitere Hotels ansiedeln. Schließlich würdigt er den Neubau des Finanzamtes. Er schließe sich gut an das bestehende Ensemble der Spitze an. Es gebe immer jemanden, der was besser weiß, „aber irgendwann muss man auch machen“. Bundesweit sei noch nie so schnell ein Finanzamt gebaut worden wie in Halle. Das sei Werbung für die Stadt und ihre Verwaltung. Den Finanzbeamten wünscht er zum Schluss viel Erfolg beim Auffinden aller Steuerschuldner.

Lob für bessere Arbeitsbedingungen, Kritik an Parkplatzmangel

Vor der symbolischen Schlüsselübernahme kommt noch Finanzamtschefin Brigitte Berking zu Wort. Sie freut sich: Endlich sind die Arbeitsbedingungen verbessert. Die Bedingungen im Gebäude am Gimritzer Damm (einst ein Objekt der Hauptverwaltung Halle es Ministeriums für Staatssicherheit der DDR) hätten sich ständig verschlechtert. Es habe undichte Fenster und viel Reparaturbedarf gegeben. Zum Glück seien viele Akten bis zum April 2013 von dort weggeschafft und andernorts gesichert worden, denn nachdem des Grundwasser schon beim Hochwasser 2011 in die Keller drückte, stand es im Juni 2013 bis zu 1,60 Meter hoch. Der Neubau biete gute Arbeitsbedingungen und gute Arbeitsbedingungen seien bekanntermaßen gut für die Mitarbeiter-Motivation. Frau Berking erwähnt auch einen Wermutstropfen: Für 460 Mitarbeiter stünden nur 190 Parkplätze zur Verfügung. Sie hoffe nun, dass der Standort gut erreichbar ist mit dem Öffentlichen Nahverkehr. Das Gebäude an der Spitze werde künftig auch Aus- und Fortbildungsstätte sein. Steuereinnahmen seien schon seit Jahrhunderten Grundlage für das gedeihliche Zusammenleben, denn wo es keine Einnahmen gebe, seien auch keine Ausgaben möglich.

Nach der Schlüsselübergabe ging es zur angeregten Unterhaltung ans Buffet. Zu den Eröffnungsgästen gehörten unter anderem Bernhard Bönisch (CDU Landtagsabgeordneter und Vorsitzender der CDU-Stadtratsfraktion in Halle), Karamba Diaby (SPD-Bundestagsabgeordneter), Michael Schädlich (Geschäftsführer des Instituts für Strukturpolitik und Wirtschaftsförderung Halle, HFC-Präsident), Matthias Lux (Stadtwerke-Geschäftsführer), Hendrik Lange (Stadtratsvorsitzender, Die Linke), Thomas Felke und Katja Pähle (SPD-Landtagsabgeordneter), Uwe Stäglin (Dezernent Planen und Bauen), Egbert Geier (Finanzdezernent), Christian Feigl (Stadtrat der Grünen, engagiert im Denkmalschutz), Angela Papenburg (Geschäftsführerin im Papenburg-Baukonzern), Wilfried Klose (Ex-Stadtwerke-Chef), Alfred Reichenberger (Leiter Öffentlichkeitsarbeit beim Landesamt für Denkmalpflege in Halle) und Johannes Krause (Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes Sachsen-Anhalt/Süd und SPD-Stadtrat).

Baugeschichte an der Spitze und des neuen Finanzamtes

Das Gelände sollte schon unter Halles Oberbürgermeister Klaus Rauen (1991-2000) komplett bebaut werden. Bis zur Jahrtausendwende wollte die HKO Immobilien Entwicklungsgesellschaft Halle Spitze GbR, später HKO Immobilienentwicklungsgesellschaft Halle-Spitze Köllmann GmbH [&] Co. OHG, mit dem 4,8 Hektar großen Areal fertig sein. Zunächst haftete das deutsche Traditionsbauunternehmen Philipp Holzmann AG (1849-2002), das im Herbst 1999 seine Überschuldung feststellte und 2002 in Insolvenz ging. 2001 übernahm die Köllmann-Gruppe die Haftung. 2005 war endgültig Schluss und Köllmann pleite. Gebaut waren das Stadtwerke-Gebäude, das MDR-Funkhaus und die Händelhalle samt Tiefgarage. Doch für das ebenfalls geplante Hotel reichte es am Ende nicht. Seit dem Jahr 2000 versuchten Stadtverwaltungsspitze und Stadträte, das Land davon zu überzeugen, das geplante Geistes- und Sozialwissenschaftliche Zentrum an der Spitze zu bauen. Doch das Land wollte zunächst freiwerdende eigene Immobilien der Universität Halle dafür nutzen. Aus Regierungskreisen war schließlich zu hören, dass für das Vorhaben kein Geld da sein, man für eine realistische Fremdfinanzierung jedoch offen ist. Mit der Aussicht auf ein lukratives Baugeschäft kaufte Papenburg das Gelände von der Gläubigerbank und bekam schließlich nach langem Warten und Diskutieren eine mundgerechte Ausschreibung präsentiert, bei der Wettbewerber um den Neubau des Finanzamtes keine Chance hatten. Ebenso chancenlos waren die Bemühungen von Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados, das Land zur Sanierung der landeseigenen Hochhausscheibe C in Halle-Neustadt zu bewegen. Nach einer Prüfung der Baukosten hieß es, mit 23 Millionen Euro sei das Vorhaben zu teuer. Beim Spitze-Deal mit Papenburg schloss das Land einen 25 Jahresvertrag ab, der am Ende voraussichtlich 70 Millionen Euro kostet. Mit der Posse schaffte es der Finanzminister beim Bund der Steuerzahler in das „Schwarzbuch 2014“, wo die größten Steuergeldverschwendungen des Jahres erfasst waren. Neben der schließlich zum Verkauf ausgeschriebenen Hochhausscheibe C hätte das Land möglicherweise auch das ehemalige Polizeipräsidium vis á vis zum Neubau an der Spitze sanieren und beziehen können. Das historische Gebäude stand seit dem Umzug der Polizei in den Neubau an die Merseburger Straße jahrelang leer. Bei der Grundsteinlegung des Neubaus stießen die prominenten Gäste auf Studenten, die lautstark gegen die Kürzungen an der Universität Halle protestierten und etliche Anwesende mit Wasser bespritzten.