„Kein Mensch ist kein Mensch“

von 17. Februar 2016

Die Protestteilnehmer scharten sich bei nasskaltem Wetter um einen armeefarbenen Kleinbus, aus dessen geöffneten Heck abwechselnd Reden und harte Rockmusik zu hören waren. Die Rednerinnen und Redner, darunter ein Englisch sprechender Einwanderer, bezeichneten das Asylpaket als unmenschlich. Nicht zuletzt Kranke und Traumatisierte seien den neuen Abschieberegelungen hilflos ausgeliefert. Außerdem werde das Grundrecht auf die Einheit der Familie gefährdet. An die Politiker des Bundestages ging der Appell, gegen die „Asylrechtsverschärfung“ zu stimmen. Im englischen Gastbeitrag war von der „Politik der Isolation“ die Rede, gegen die man protestieren müsse.

Vom Markt ging der Protestzug über die Rathausstraße zunächst bis zum Hansering. Der Protest verlief bis zu diesem Zeitpunkt weitgehend arbeitsfrei für die Polizei, obgleich Guerilla-Aktivist Sven Liebich, nach eigenen Angaben Ex-Rechter, und seit Monaten Redner immer montags bei der „Friedensbewegung Halle“, wütende „Nazis raus“-Rufe auf sich zog, nachdem er sich an die Spitze des Protestzuges gesetzt hatte. Für einige Minuten waren die Straßen auf dem Weg zum Opernhaus gesperrt. Autos stauten sich. Beim Rundgang, der über den Joliot-Curie-Platz und den Universitätsring, durch die Große Ulrichstraße und zurück zum Markt führte blieben die Protestteilnehmer – überwiegend aus dem linken Spektrum – weitgehend unter sich. Nur eine Studentin aus Stuttgart nahm Kontakt zu den wenigen Passanten auf und verteilte Handzettel mit einem fiktiven Brief des „Bundesamtes für Verachtung der Menschenrechte“ (eigentlich Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – BAMF), der das Anliegen der Demo klar machen sollte. Folgendes war in dem Schreiben zu lesen: „Bundesamt für Verachtung der Menschenrechte: Sehr geehrter Mensch, nach oberflächlicher Prüfung Ihres Antrags auf Asyl für sich und Ihre Familie in der Bundesrepublik Deutschland wegen einer Gefahr für Ihr Leib und Leben in Ihrem Herkunftsland durch Krieg, Folter, Verfolgung, Blutrache oder wirtschaftliche Ausbeutung durch die Bundesrepublik Deutschland möchten wir Ihnen mitteilen, dass wir Ihrem Antrag nicht stattgeben, da der deutsche Bundestag beschlossen hat, dass Ihr Herkunftsland ein sicheres Herkunftsland ist. Wir fordern Sie hiermit auf, die Bundesrepublik Deutschland binnen einer Frist von 7 Tagen zu verlassen. Mit diesem Schreiben drohen wir Ihnen gleichzeitig die Abschiebung an, sofern Sie nicht innerhalb der oben genannten Frist freiwillig die Bundesrepublik Deutschland verlassen. Im Sinne einer effektiven Asylpolitik wird Ihnen der genaue Abschiebetermin nicht mitgeteilt. Ihre chronische Erkrankung, Ihre psychische Beeinträchtigung oder suizidale Gefährdung nach traumatischen Erlebnissen betrachten wir nicht als plausibles Indiz einer Reiseunfähigkeit.“ Auf dem Handzettel fanden sich auch Erläuterungen, worum es im Asylpaket II geht und letztlich der Aufruf, sich an der Pro-Asyl-Kampagne gegen das Asylpaket II zu beteiligen. „Für Bleiberecht und das Recht auf Familie! – für alle!“

Protest gegen die „Unmenschlichkeit“

Vor dem Opernhaus stoppten die Umzugsteilnehmer, um weitere Reden „gegen die Unmenschlichkeit“ zu hören. Täglich gebe es neue Hiobsbotschaften von den Menschen auf der Flucht und ihrer Situation in Deutschland. Die AfD müsse gestoppt und die „Mauern der neuen Festung Europa zum Bröckeln“ gebracht werden. Man müsse auftreten „gegen Rassismus und Entrechtungen“. Auf den diversen Transparenten war unter anderem zu lesen: „Kein Mensch ist kein Mensch“, „Flüchtlinge schützen, Rassismus stoppen“ und „Menschenrechte kennen keine Grenzen“. Ebenfalls zu sehen war eine rote Fahne mit der Aufschrift „Rebell“.

Diejenigen in Halle, die das Asylpaket II als unmenschlich ansehen, sind nicht allein. So schrieb etwa die „Zeit“ jüngst unter der Überschrift „Frauen und Kinder zuletzt?“ unter anderem folgenden Satz: „Die Bundesregierung verstößt damit nicht nur gegen die UN-Kinderrechtskonvention, sondern ebenso gegen die EU-Aufnahmerichtlinie.“ Auf den Verfassungsbruch der Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrer parlamentarisch nicht abgestimmten „Wir schaffen das“-Politik folgen nun offenbar weitere Rechtsbrüche. Angesichts des teilweisen Kontrollverlustes über die Einwanderung, der mit den „Flüchtlingen“ teilweise überforderten Kommunen, heftiger Debatten in der Bevölkerung und angesichts des massiven Stimmenzuwachses der Alternative für Deutschland (AfD) – in Sachsen-Anhalt zuletzt 17 Prozent laut Prognose – hat die Bundesregierungskoalition aus CDU und SPD das „Asylpaket II“ beschlossen, das nun dem Bundestag vorgelegt werden soll. In Sachsen-Anhalt, wo ebenfalls CDU und SPD regieren, ist Medienberichten zufolge ein „AfD-Schock“ zu erwarten, was Regierungschef Reiner Haseloff in den vergangenen Wochen zum verzweifelten Flehen in Berlin trieb.

Asylpaket II: Kranke sollen abgeschoben werden können

Wenn es beim aktuellen Einwanderungsniveau bleibt, kommen bis zur Bundestagswahl im Herbst 2017 noch einmal mehr als eine Millionen Asylanträge dazu (laut BAMF waren es im Januar 2016 insgesamt 52.103). Für Merkel möglicherweise könnte das nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge politisch der Todesstoß sein. Doch worum geht es im Asylpaket II? Für Ankömmlinge aus sicheren Herkunftsländern sind „Aufnahmezentren“ geplant, wo Asylanträge innerhalb von drei Wochen bearbeitet und verdächtige Personen abgeschoben werden. Anerkannte Asylbewerber sollen ihre Familie erst nach zwei Jahren nach Deutschland holen können. Weiterhin unzureichend geregelt ist der Schutz von Frauen und Kindern vor sexuellen Übergriffen und Gewalt in Flüchtlingsunterkünften. Auch Kranke sollen nun abgeschoben werden können. Ausnahmen sind nur noch bei besonderer Schwere vorgesehen. Asylbewerber, die eine Ausbildung aufgenommen haben, dürfen diese nun abschließen und danach zwei Jahre arbeiten können. Ferner ist vorgesehen, dass sich Asylbewerber an den Kosten von Integrationskursen beteiligen. Wegen der Zustimmungspflicht im Bundesrat ist die geplante Erweiterung der Liste sicherer Herkunftsländer um die Maghreb-Staaten Algerien, Tunesien und Marokko nicht Teil des Asylpakets. Das Thema soll gesondert behandelt werden.

Wegen der permanenten Demonstrationen zu den Themen Krieg, Flucht und Einwanderung sind Sachsen-Anhalts Polizisten im Dauereinsatz. So sind für Samstag, 20. Februar 2016, ab 10 Uhr ebenfalls auf dem Marktplatz eine Demo der Partei „Die Rechte“ und eine Gegendemo geplant. Schon am Montag, 22. Februar 2016, steht dann wieder die seit Frühjahr 2014 regelmäßig jeden Montag 18 Uhr abgehaltene „Mahnwache für den Frieden“ auf dem Plan. Nach Kundgebungen auf dem Markt und am Riebeckplatz ist zuletzt das „Fahnenmonument“ Mahnwachenort gewesen. Auch zu diesem Termin lieferten sich Vertreter unterschiedlicher politischer Lager immer wieder heftige Auseinandersetzungen, so dass die Polizei mehrfach im Großeinsatz war. In den letzten Wochen lief die Kundgebung jedoch ungestört ab.

Pro Asyl ist aktiv gegen Asylpaket II

https://www.proasyl.de/de/home/asylpaket-ii-stoppen/

das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

http://www.bamf.de

Rebell, der Jugendverband der MLPD

http://www.rebell.info

Medinetz Halle/Saale e.V.

http://medinetz-halle.de/

no lager halle

http://www.ludwigstrasse37.de/nolager/

Antirassistisches Netzwerk Sachsen-Anhalt

http://antiranetlsa.blogsport.de/