„Merkel muss weg“-Rufe unter der Wirmer-Flagge

von 21. Oktober 2015

Aus der Ferne klingen Polizeisirenen. Der Umzug der am Hallmarkt begonnenen Demo der AfD durch Halles Innenstadt wird von den Gegner attackiert. Im Vorfeld hatten die Teilnehmer klare Weisungen erhalten, was erlaubt ist und was nicht. ” Ausländerfeinlichkeiten und Beschimpfungen haben hier nichts zu suchen, genau so wenig wie rechtes Gedankengut und Parolen, es wird keinerlei Volksverhetzung geduldet, weder im Wort noch im Symbol” nur einige der Regeln, die aus einem Megafon schallten.

Noch ist die mit zwei Deutschlandfahnen dekorierte AfD-Bühne auf dem Markt verwaist. Aus einigen Polizeifahrzeugen ragen Kameramasten. Hier wird alles aufgezeichnet, mögliches Beweismaterial gesichert.

Als der Demonstrationszug der AfD auf dem Marktplatz eintrifft, ist es vorbei mit der Ruhe. Einige Leute auf beiden Seiten des Zaunes sind sehr aggressiv und pöbeln sich gegenseitig an. Die AfD-Gegner haben Trillerpfeifen und skandieren eingeübte Sprüche. Immer wieder im Laufe der Kundgebung sind unter anderem „Haut ab“ und „Nationalismus aus den Köpfen“ zu hören. Über den Köpfen des überwiegend dunkel gekleideten AfD-Gefolges schwingt jemand eine große Wirmer-Flagge, ein gold umrandetes schwarzes Kreuz auf rotem Grund. Es ist die Fahne, die auch bei Pegida immer wieder gesichtet wurde. Auf der AfD-Seite des Zaunes, aber deutlich getrennt vom eigentlichen Kundgebungsvolk steht Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegand einige Minuten an der Nordostecke des Stadthauses und hört, was von der AfD-Bühne über den Platz schallt. Bei ihm verweilen für den Moment seine Büroleiterin Sabine Ernst und sein Grundsatzreferent Oliver Paulsen. Unweit der AfD-Versammlung sind kurz auch die Stadträte Johannes Krause (SPD) und Hendrik Lange (Die Linke) zu sehen.

André Poggenburg, Sprecher der AfD Sachsen-Anhalt, tritt als erster ans Mikrofon. Er betont: „Wir stehen ganz fest auf dem Boden des Grundgesetzes.“ Im Gegensatz zur Bundeskanzlerin Angela Merkel, die mit ihrer Flüchtlingspolitik ihren Amtseid verletzt habe. Sie sei dem deutschen Volk verpflichtet, denn das sei der Souverän. Der werde sie nun aus dem Amt fegen. Poggenburg gratuliert Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper zum Austritt aus der SPD. Das sei der richtige Schritt. Trümper wollte sich von SPD-Landeschefin Katrin Budde nicht länger vorschreiben lassen, wie er sich zum Flüchtlingsthema äußert. An passenden Stellen in seiner Rede motiviert der AfD-Mann die Massen zu Sprechchören: „Wir sind das Volk“ und „Merkel muss weg“. Es sind jene Slogans, die auch bei Pegida und bei Aktionen der Montagsmahnwache anläßlich zweier Kanzlerbesuche in den den vergangenen Wochen zu hören waren.

Alexander Gauland, Sprecher der AfD in Brandenburg, ruft zu Gewaltfreiheit auf. Der Protest gehöre nicht vor die Asylbewerberheime, sondern vor die Parlamente. Damit verfolgte der Bundesvize jene Linie, die den Landesvorstand Sachsen-Anhalt jüngst bewegte, gegen AfD-Mitglied René Augusti, der wiederholt zu Gewalt aufgerufen habe, ein Parteiausschlussverfahren einzuleiten. Gauland spricht von der Asylflut. Die wenigsten, die kommen, seien echte Flüchtlinge. Echten Flüchtlingen wolle man anständig helfen, so lange die Gründe für ihre Flucht vorlägen. Ansonsten wollten die Deutschen unter sich bleiben, in ihrem Land, in ihrer Heimat und nicht irgendwo anders. Die Medien seien instruiert, nur noch positiv über die Flüchtlinge zu berichten und die Probleme auszublenden.

Poggenburg lädt zur nächsten großen AfD-Kundgebung ein am 29. Oktober 2015, ab 19 Uhr, in Dessau-Roßlau. Dort wird die Bundesvorsitzende Frauke Petry erwartet. Zum Abschluss holt Poggenburg einen Sänger ans Mikrofon, der in Opernmanier das Deutschlandlied singt. Aus den Reihen der Gegendemonstranten erhebt sich zeitgleich ein Konzert aus Trillerpfeifen und Buhrufen. Dann ist Schluss.

Über die Leipziger Straße wird die AfD-Festung evakuiert. Die Abziehenden laufen Spießrouten durch ein Spalier Gegendemonstranten, die in Sprechchören ihre tiefe Ablehnung zum Ausdruck bringen. In den Nebenstraßen laufen sich Leute vom einen und vom anderen Lager über den Weg und pöbeln sich wieder gegenseitig an. Es bleibt bei Drohungen. In der Schmeerstraße stoßen Menschen, die nach Hause wollen, erneut auf Polizeisperren. Ziel des Abends bleibt für die Polizei, verfeindeten Gruppen auseinander zu halten. Dass die AfD-Fraktion bereits über die Leipziger Straße abgezogen ist, weiß niemand in der Schmeerstraße. Derweil nutzen die Gegendemonstranten die Ruhe auf dem Marktplatz, um nun eine eigene Kundgebung abzuhalten. Sie feiern sich als Sieger. Sie haben, so scheint es, mit 2:1 klar gewonnen. Denn, sagt Polizeisprecher Ralf Karlstedt gerade dem mdr in die Kamera: Bei der AfD standen 500 Leute, auf der Gegenseite waren es 1000. Gegenüber Hallelife ergänzt er, dass das Schätzungen sind. Was er nicht mit eingerechnet hat: Nicht alle Menschen, die außerhalb des Zaunes standen waren Gegendemonstranten. Unter ihnen befanden sich auch zahlreiche Passanten und zeitweise sogar Sympathisanten der AfD.

Erklärung, wer Josef Wirmer war

https://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Wirmer

Aussagen der Amadeu Antonio Stiftung zur Wirmer-Fahne und ihrer Verwendung

http://www.netz-gegen-nazis.de/artikel/service-was-ist-das-eigentlich-immer-f%C3%BCr-eine-fahne-mit-kreuz-bei-pegida-und-co-9970