„Veränderung beginnt im Hier und Jetzt“

von 4. November 2014

Jebsen, der einst für den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk arbeitete und sich heute von den dortigen Arbeitsmethoden distanziert, hielt eine für ihn typische lange, energiegeladene Rede, in der er immer wieder auf die Medienpropaganda, nicht zuletzt gegen Russland, einging, Kriege als Terrorismus mit einem größeren Budget brandmarkte und Waffenexporte als Angelegenheit aller bezeichnete. Die Nato nannte er ein „Angriffsbündnis, das glaubt, die Wahrheit gepachtet zu haben“. US-Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel seien „Schauspieler“. Jebsen kritisierte einen Mangel an Transparenz und Demokratie in Deutschland und warf den öffentlichen Medien Einseitigkeit vor.

Shahyar behauptete, dass sich alte und neue Friedensbewegung verbündet hätten im Jahresverlauf. (Tatsächlich aber ist der Friedenskreis Halle als ein Vertreter der alten Friedensbewegung weiterhin auf Distanz zur Montagsmahnwache in Halle.) Er nannte 2014 ein Jahr des permanenten Krieges und meinte damit insbesondere die kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien, Ukraine und Nordirak. Er kündigte eine Demo für den 13. Dezember 2014 in Berlin an, wo Friedensaktivisten vor das Schloss Bellvue ziehen wollen um zu sagen: „Herr Gauck, Sie sind nicht unser Präsident. Sie repräsentieren uns nicht.“ Shahyar griff den amtierenden Bundespräsidenten Joachim Gauck an als „militaristischsten Präsidenten seit Hindenburg“. Er fragte, warum angesichts der vielen Kriege und der Ungerechtigkeit nicht viel mehr Menschen auf die Straße gehen und gab gleich die Antwort: Die Menschen tun nichts, weil sie glauben, dass sie nichts ausrichten können. Shahyar erklärte, dass das ein Irrtum ist. Jede Stimme zähle. Aktivismus verändere die Gesellschaft immer. Es sei ein langer Weg in kleinen Schritten. Als Beispiel nannte er die ökologische Bewegung. „Veränderung beginnt im Hier und Jetzt.“

Die Veranstalter der Montagsdemo oder auch Montagsmahnwache in Halle nennen sich selbst „Friedensbewegung Halle“. Auf ihrer Internetseitefriedensbewegung-halle.deerklären sie, wer sie sind: „eine offene, partei- und vereinsunabhängige Bewegung, die sich dafür einsetzt, die Kriegsursachen weltweit zu beseitigen, die Massenmedien zu einer wahrheitsgemäßen Berichterstattung zu bewegen und Konzepte für ein neues, menschliches Gesellschaftssystem auf solidarischer, ökologischer, gesundheitlicher und nachhaltiger Grundlage ohne Staatsverschuldungen und Wachstumszwang zu entwickeln“. Am 28. April 2014 standen sie das erste Mal auf dem Marktplatz vor Halles Ratshof und im Orga-Team sind inzwischen längst nicht mehr nur Hallenser. Ein fester Kern „Unverbesserlicher“ hat in Halle alle Stürme ausgehalten und immer weitergemacht, Montag für Montag, immer ab 18 Uhr.

Die angespannte Lage in der Ukraine und immer neue Konflikte im Nahen Osten, aber auch die Krise der EU, das geplante Freihandelsabkommen mit den USA, die Zinswirtschaft und die Nachwehen der Weltwirtschaftskrise haben Menschen Anfang 2014 auf Deutschlands Straßen getrieben, erst in Berlin und dann in immer mehr Städten in Deutschland, aber auch in anderen Ländern. Nach der euphorischen Anfangswelle ging es immer auf und ab. Einige Mahnwachen spalteten sich, dann gab es wieder Sammlungsbemühungen. Von Anfang an waren die Aktivisten massiven Anfeindungen ausgesetzt, wurden von Gegner als Querfrontler, Neurechte, Antisemiten, Schwarzmaler und Verschwörungstheoretiker bezeichnet. Was die Mehrheit der Kundgebungsteilnehmer an allen Orten verband, war die Sorgen um den Frieden in Europa und der Welt, aber auch um die Zukunft insgesamt. Als Kernthemen etablierten sich Frieden, ehrliche Medien und soziale Gerechtigkeit. Zahlreiche weitere Themen tauchen auch regelmäßig wieder auf, darunter Geo-Engineering, Fracking, die feindliche Haltung des Westens gegenüber Russland sowie Geldsystem und Finanzmanipulation.

An der Spitze der Bewegung etablierten sich unterschiedliche Prominente: zunächst Lars Mährholz, Ken Jebsen, Andreas Popp und Jürgen Elsässer. Später gelang es auch Linken wie Pedram Shahyar und Lea Frings, an die Spitze zu gelangen. Doch ein tiefer Streit um die Auswahl der Themen, deren Interpretation und die Zulassung von Rednern hat die neue Friedensbewegung inzwischen stark dezimiert. Geschnitten wurde zuletzt vor allem Jürgen Elsässer, der immer wieder durch nationale Einsprengsel in seinen Reden bei einem Teil der Demo-Teilnehmer für Verunsicherung sorgte und den Gegnern der Montagsmahnwachen – vor allem linker Nachwuchs und „Antideutsche“ – Munition lieferte in ihrem Kampf gegen die angebliche neue Rechte. Den Linken, die ihn isolierten, wirft Elsässer inzwischen vor, die Berliner Montagsdemo ruiniert zu haben. Elsässer-Befürworter reiben sich vor allem an Pedram Shahyar. Er sei ein Heuchler und Spalter.

Tatsächlich handelt es sich um eine sehr bunte Bewegung, die auch wegen ihrer Vielfalt permanenten Spannungen ausgesetzt ist. Was sicher der Mehrheit der Teilnehmer gemein ist, sind eine Vielzahl Sorgen das tägliche Leben und die Zukunft des Landes betreffend.