„Wir wollen, dass die Menschen hier ankommen“

von 29. Mai 2015

Unter anderem Halles Integrationsbeauftragte Petra Schneutzer, Torsten Bau vom Evangelischen Kirchenkreis, Olaf Ebert, Sven Weise, Karen Leonhardt und Katja Pähle von der Freiwilligen-Agentur Halle-Saalkreis, Baununternehmerin Angela Papenburg, Johannes Krause vom DGB, Kay Senius von der Arbeitsverwaltung, Halles Grundsatzreferent Oliver Paulsen, Superintendent Hans-Jürgen Kant, Penelope Willard von den Franckeschen Stiftungen und der frisch installierte Flüchtlingskoordinator Sören am Ende saßen zusammen. „Das Thema Flüchtlinge war bei uns lange nicht auf dem Schirm“, stieg Kant in die Runde ein. Bis zum Frühjahr 2014 schien es so, als wäre nichts zu tun. Medienmeldungen änderten das und ein Gespräch mit Frau Schneutzer, die darauf hinwies, dass Leute helfen wollen, was koordiniert werden muss. Der Kirchenkreis und die Landeskirche berieten das Thema und einigten sich darauf Geld zu geben und eine Koordinierungsstelle „Engagiert für Flüchtlinge“ einzurichten. Darüber hinaus sind unter anderem die Paulus-, die Luther- und die Domgemeinde in weiteren Flüchtlingsprojekten aktiv, so Kant.

„Wir sind bei der Stadt offene Türen eingerannt“, leitete Bau zu Paulsen über. Der nannte aktuelle Zahlen: 840 Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften, 682 Flüchtlinge in eigenen Wohnungen. Derzeit kommen nach Halle 100 Flüchtlinge im Monat. Mit der steigenden Zahl der Flüchtlinge wächst auch das Engagement der Menschen, so Paulsen. Hilfe bei Behördengängen und der Sprache nannte er wichtige Aufgabenfelder. „Wir wollen, dass die Menschen hier ankommen.“ Bisher gab es keine Anlaufstelle für Menschen, die wissen wollen, was sie tun können, was gebraucht wird und wo sie sich engagieren können.

„Immer mehr Menschen kommen auf uns zu“, erklärte Ebert. Bildungs- und Willkommenspaten wollen sich engagieren. Inzwischen existiert eine erste Liste, wo welches Engagement möglich ist. Dafür gibt es die Koordinierungsstelle Flüchtlinge mit einem Büro in der Leipziger Straße 82 (Telefon: 0345/ 200 28 10, E-Mail:soeren.amende@kirchenkreis-halle-saalkreis.de). Ebert schränkte ein: „Die Koordinierungsstelle kann nicht alle Probleme lösen.“ Sie soll vor allem Ansprechpartner für hilfsbereite Bürger sein.

Wie der Koordinator sagte, geht es zurzeit um die Vernetzung, wobei die Strukturen der Freiwilligen-Agentur genutzt werden. Man wolle auch in Firmen um Engagement werben und Flüchtlinge unterstützen, die sich ebenfalls engagieren wollen. Als Möglichkeiten, wie die Hallenser den Flüchtlingen helfen können, nannte er drei Punkte: 1. Migrantenfamilien im Alltag begleiten, 2. Sprachangebote und Sprachpatenschaften und 3. Willkommenspatenschaften für Flüchtlingskinder, Hausaufgabenhilfe und so weiter.

Ein Mann aus dem Publikum beklagte, dass es sehr schwer gewesen ist, die Flüchtlinge in den Heimen einmal aufzusuchen. Er beschrieb auch schwierige Verhältnisse wie Sprachprobleme, mangelhafte Wohnungen und bürokratische Hürden, mit denen schon Deutsche zu kämpfen haben. Die Beschäftigungslosigkeit erzeugt bei den Menschen Frust, so der Kritiker. Außerdem müssen die Neuankömmlinge für die Deutschkurse an den Euroschulen einen Euro pro Stunde dazuzahlen, was sich bei 100 Stunden im Monat auf eine für Mittellose erhebliche Summe addiert.

Paulsen merkte an, dass man auch die Privatsphäre der Flüchtlinge achten muss. Für die Finanzierung von Sprachkursen werden Fördermöglichkeiten geprüft. Schneutzer erwähnte das erste Treffen der Sprachbegleiter am 2. Juni in Halles Stadthaus am Markt. Gefragt sind vor allem Arabisch und Französisch. Für Flüchtlinge ohne entsprechenden Status bei der zuständigen Bundesbehörde gibt es niedrigschwellige Deutschkursangebote. Zugleich warnte die Integrationsbeauftragte vor Aktionismus: Nicht alles, was Menschen glauben, was sie Gutes tun können, wird wirklich gebraucht. „Vielleicht gibt es Dinge, die wir heute noch gar nicht sehen.“ Man muss sehen, was gebraucht wird und wo die Grenzen für die Hilfe sind. Es geht schließlich auch um Traumata, mit denen man umgehen können muss.

Bauunternehmerin Papenburg verwies auf die neue Aufgabe der Unternehmen. Jedenfalls gibt es in ihrem Haus bisher keine Ausländer. Daher muss in der Mitarbeiterschaft erst eine Willkommenskultur entwickelt werden. Senius sah dahingehend auch Handlungsbedarf in den Behörden. Er regte eine Stärkung der interkulturellen Kompetenzen an und fragte nach entsprechenden Kursen.

Mancherorts wie in Zwickau am Sachsenring-Werk wohnen die Ankömmlinge in Containerdörfern mit Stacheldraht und Überwachungskameras. In Halle finden sie ungenutzten Wohnraum vor, mal mit den Standards einer Kaserne ausgestattet, mal ohne ordentliche Wohnverhältnisse. Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ist die Zahl der „Zuzüge“ von rund 476.000 im Jahre 2010 kontinuierlich auf 1,15 Millionen im Jahr 2014 gestiegen. Die Fortzüge eingerechnet blieb zuletzt ein Plus von 676.730 Menschen. Etwa die Hälfte der Zugezogenen kam aus nicht EU-Ländern; 2014 waren das 518.802, von denen 337.421 blieben. Im selben Jahr wurde 64.518 Drittstaatsangehörigen der Aufenthalt zur Erwerbstätigkeit erteilt.

Halle hat seit 1. Mai 2015 Flüchtlingskoordinator Sören am Ende, eine halbe Stelle für zunächst zwei Jahre. Der 29-jährige, der für Halle seine sächsische Heimat Burgstädt verließ, hat an der Fachhochschule in Freudenstadt Beratungspsychologie studiert. In Halle ist er schon länger tätig. Sein alter Chef ist auch sein neuer, denn bisher hatte Am Ende in Halle-Neustadt eine Stelle in einer psycho-sozialen Begegnungsstätte der Diakonie, ebenfalls eine Einrichtung unter der Regie der Evangelischen Kirche. Das Flüchtlingsthema ist für den Sachsen beruflich neu, privat kann er von konkreten Erfahrungen berichten. In Freudenstadt traf er Menschen, die aus dem Iran geflohen waren. Dabei kam es zu einer Begegnung, die Am Ende als anderthalbstündiges Gespräch mit Händen und Füßen beschreibt. Jeder zeigte auf einen Gegenstand und nannte das Wort dazu in seiner Muttersprache. Überraschende Erkenntnis: Einige Worte ähnelten sich. Der Flüchtlingskoordinator ist gerade dabei, Kontakt zu den Sozialarbeitern in den Flüchtlingsheimen aufzunehmen. Hilfsbereite Hallenser sprachen in bisher besonders oft auf Patenschaften an. Dass den Menschen aus Krisengebieten geholfen werden muss, steht für Am Ende außer Frage. Er weiß, dass es auch ablehnende Worte gibt und möchte Mitgefühl erzeugen. Die Menschen, um die es geht, so sagt er, haben Gewalt und Diskriminierung erfahren. Aus ihren Herkunftsländern bringen sie erschütternde Geschichten mit.

Die Koordinierungsstelle ist laut Bau für drei Jahre beschlossen. Nach zwei Jahren will man noch einmal schauen. (SB)

Mehr zur Koordinierungsstelle auf der Kirchenkreis-Internetseite unter „Nächstenliebe: Seelsorge [&] Diakonie“

http://www.kirchenkreis-halle-saalkreis.de/lilac_cms/de/1472,,/NaechstenliebeSeel/Koordinierungsstelle.html