22. Tätigkeitsbericht der Landesbeauftragten für Stasi-Unterlagen

von 1. März 2016

Die Landesbeauftragte fordert in ihrem Bericht die Verbesserung der Entschädigung und eine verbesserte Anerkennung der Verfolgten der SED-Diktatur.

Die Lebensleistungen der Opfer der kommunistischen Diktaturen müssen besser anerkannt werden

Die Studie „Zivilcourage würdigen“, die am 13. November 2015 im Auftrag der Europäischen Kommission veröffentlicht wurde, berichtet zur Lage der Opfer des Kommunismus in den Staaten der EU. In keinem untersuchten Land ist die Lage befriedigend.

In Deutschland besteht eine Diskrepanz zwischen der politischen Intention der Rehabilitierung und den gesetzlichen Normen. In den Beratungen erleben wir Menschen, die in Grenzfällen oder „Gerechtigkeitslücken“ stecken, deren Verfolgung nicht rehabilitierbar ist, weil sie nicht ‚schwer genug‘ geschädigt worden sind oder weil ihre Fallkonstellation in den Gesetzen nicht abgebildet ist. Die Gerechtigkeitslücke entsteht durch eine faktisch verweigerte Anerkennung der Lebensleistung SED-Verfolgter und der Wiederholung von Konflikten mit staatlichen Stellen.

Die Landesbeauftragte fordert hier weitere Anstrengungen zur Verbesserung des Gesetzesvollzugs und der Anpassung der gesetzlichen Normen. (s.S. 6ff und S. 136f.)

Die weitere Anerkennung ehemals politisch Verfolgter in Sachsen-Anhalt durch Entschädigung und öffentliche Aufmerksamkeit ist für die Betroffenen selbst und die politische Kultur in unserem Land unerlässlich. Dazu sind Verbesserungen der gesetzlichen Norm und ein transparenterer Vollzug notwendig.

Der anerkennende Umgang mit ehemals politisch Verfolgten ist auch für die Ermutigung zu Zivilcourage heute bedeutsam.

Die Erinnerungskultur muss verbessert werden

Zu den Herrschaftsinstrumenten in der SED-Diktatur gehörten die fehlende Öffentlichkeit, die Kontrolle der Presse und die Schweigegebote über politische Verbrechen. Bis heute ist es häufig mit großen Schwierigkeiten und Anstrengungen verbunden, die historische Wahrheit in der Öffentlichkeit einer Kommune auszudrücken.

Die Erinnerungskultur und das Gedenken an die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft muss in der Öffentlichkeit mehr Platz finden. Die Landesbeauftragte unterstützt verschiedene zivilgesellschaftlichen Initiativen zur Errichtung von Erinnerungsorten: in der ehemaligen Strafvollzugseinrichtung Naumburg; zur Errichtung eines Begegnungs- und Dokumentationszentrums in einem ehemaligen Jugendwerkhof in Sachsen-Anhalt sowie die Initiativen für die Erinnerungstafeln für Opfer kommunistischer Gewalt u.a. in Tangermünde und Zeitz.

Die Aufarbeitung von SED-Unrecht in Sachsen-Anhalt ist nicht abgeschlossen

Schwerpunkte der Tätigkeit im Berichtszeitraum war die Aufarbeitung der Strukturen und Wirkungen des MfS in der ehemaligen DDR.

Dazu gehörte auch der Aufruf an die kommunalen Mandatsträger (ausführlich dazu im 21. TB) hinsichtlich der Überprüfung auf eine Zusammenarbeit mit dem MfS der ehemaligen DDR. Dazu kann kurz gefasst berichtet werden: von 3.374 Mandatsträgern wurden 989 Überprüfungsanträge eingereicht (ca. 29% aller Mandatsträger), von 598 Auskünften sind 572 (96,5%) ohne Hinweise auf eine Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit ergangen. In 21 Fällen (3,5%) gab es Hinweise auf eine Zusammenarbeit.

Die Anträge auf Auskünfte aus dem Stasi-Archiv sind ein Beitrag zu mehr Transparenz. Bis 2019 sind Überprüfungen bislang möglich. Die Landesbeauftragte setzt sich für eine Entfristung ein. Die bis heute andauernde Geheimhaltung von Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst und daraus resultierendes Misstrauen richten weiter immensen Schaden an.

Der Bericht enthält Informationen zu den Zahlen zu Akteneinsichtsanträgen (9640 in Sachsen-Anhalt), zur Beratung von Betroffenen, zu den Schwerpunkten der Forschungs- und Bildungsprojekte, zum Stand der Rehabilitierung und Entschädigung von Verfolgten der SED-Diktatur und Informationen über die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Institutionen des Landes und mit den Landesbeauftragten der anderen Bundesländer.

Unterstützung von Forschungsprojekten zur Aufarbeitung

Die Landesbeauftragte publizierte Ergebnisse zum System der Spezialheime und der Jugendhilfe in Sachsen-Anhalt, zum System der Zwangsarbeit politischer Häftlinge in Sachsen-Anhalt sowie zum Umgang mit gesundheitlichen Folgeschäden von SED-Verfolgten und ihr Menschenrecht auf Gesundheit. Die Repression Jugendlicher, die politische Instrumentalisierung der Medizin und die politisch motivierte Umordnung der Landwirtschaft und des ländlichen Raums finden ebenso besondere Beachtung.

Das Jahr 2015 war für die weitere Aufarbeitung der SED-Diktatur in Sachsen-Anhalt von besonderer Bedeutung. Der Landtag von Sachsen-Anhalt beschloss am 12.November 2015, dass die Arbeit der Landesbeauftragten ab 2017 neu ausgerichtet werden soll.

Neufassung des Gesetzes über die Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen

Nach parlamentarischer Beratung, mit einer Anhörung des Bundesbeauftragten, der Bundesstiftung Aufarbeitung, von Verfolgtenverbänden und Aufarbeitungsinitiativen, Stiftungen und Einzelpersonen am 23. Mai 2014, beschloss der Landtag von Sachsen-Anhalt in seiner 100. Sitzung am 12. November 2015 das Gesetz über die Beauftragte des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (AufarbBG LSA).

Die Gesetzesänderung war nötig geworden, weil sich der Auftrag der Landesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit stärker auf die Aufarbeitung der Gesamtheit des staatlicher Verfolgung und Repression beziehen sollte, bei der die Staatssicherheit eine zentrale Rolle spielte, aber eben Auftragnehmer der autokratisch regierenden Partei SED war, die eine ‚Diktatur des Proletariats‘ errichtet hatte. Die Erweiterungen der Aufgaben der Landesbeauftragten bestehen in der Aufarbeitung des Gesamtsystems der SED-Diktatur einschließlich der SBZ-Zeit. Die Landesbeauftragte soll verstärkt die Bildung und Forschung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur unterstützen sowie psychosoziale Beratung realisieren. Der Gesetzgeber hatte sich zwischenzeitlich bereits durch die Zuweisung von Haushaltsmitteln an der Verstärkung der Beratung von SED-Verfolgten und der Unterstützung der politischen Bildung insbesondere bei schulischen Projekten beteiligt. Eine weitere wesentliche Entscheidung betrifft die Zuordnung der Landesbeauftragten ab 2017 zum Landtag.

Die Neuregelungen werden auch dokumentiert durch die neue Bezeichnung des Amtes als Beauftragte des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Das Gesetz tritt am 1.1.2017 in Kraft.

Um eine bessere Vergleichbarkeit zu gewährleisten, orientiert sich der 22. Tätigkeitsbericht im Wesentlichen an der Struktur der früheren Berichte.