Bürger sehen Katastrophe in der Schulstraße

von 19. Oktober 2016

Nach langem Stillsitzen während des offiziellen Berichts von der Baustelle hagelt es Kritik wegen des Arbeitsstils der Baufirma, vager Zusagen, der Dauer der Baustelle, fehlender Kommunikation und wegen der Sicherheitsmängel auf dem Baustellengelände. Worte des Ärgers und der Enttäuschung sind zu hören. Von Zumutungen, finanziellen Verlusten und Schadensersatzklagen ist die Rede. Die meisten Kritiker kommen aus der Schulstraße, die am schwersten betroffen und seit Monaten voll gesperrt ist. Für einen der Betroffenen ist das die zweite große Baustelle binnen weniger Jahre. Warme Worte reichen nicht mehr.

Unternehmer beklagt „Kommunikationskatastrophe“

Gerhard Oppenhorst, mit der IT-Firma ESC seit 1993 in Halle und Hausbesitzer an der Schulstraße, klagt zuerst und am intensivsten. Immer wieder meldet er sich. Man sieht: Es gärt in ihm. Er spricht von Mietausfällen in fünfstelliger Höhe. Unter anderem hat der Blumenladen parterre in seinem Haus vor Monaten schon dicht gemacht. Wegen der Dauerbaustelle. Oppenhorst ist klar, „dass nicht alle Pläne hinhauen“. Doch die Verantwortlichen würden sich in ihren Erklärungen zu den Bauverzögerungen nur verteidigen und nicht erwähnen, was vor allem schief lief: „Die Kommunikation!“ Der Bau begann bereits deutlich verspätet. Die erste Info kam 2012. Dann sollte 2015 Fertigstellung sein, dann im Sommer 2016. Oppenhorst hat alles notiert und zahlreiche Fotos von dem gemacht, was ihn wahnsinnig aufregt. Er erwartet, von Vorhaben, Änderungen und Zeitplänen zuverlässig und rechtzeitig informiert zu werden, um sich darauf einstellen zu können. Das ist offenbar nicht passiert. Vielmehr musste er selbst nachhaken und landete bei der Wirtschaftsförderung Halle, die jedoch keinerlei Infos hatte. „Das ganze ist für mich eine Kommunikationskatastrophe.“ Dadurch seien wachsende Schäden entstanden. Eigentlich sollte die Schulstraße längst fertig sein, stattdessen ist sie seit nunmehr sieben Monaten voll gesperrt. Wegen der schlechten Sicherung der Baustelle entlang der verbliebenen schmalen Wege zu den Hauseingängen, sei kein Kundenverkehr mehr möglich. Oppenhorst will wissen, wer für die Kommunikation zuständig ist. Schweigen! Dann heißt es: Das Dienstleistungszentrum Wirtschaft und Wissenschaft ist zuständig. Später wird Baudezernent Uwe Stäglin ergänzen, dass das DLZ Ansprechpartner für Unternehmer und Gewerbetreibende ist, während sich die normalen Anwohner an den Fachbereich Bauen wenden sollen. Die monatelange Vollsperrung kommt einer Enteignung gleich, sagt Oppenhorst, verweist auf Grundgesetz-Artikel 14 (Eigentum) und kündigt eine Schadensersatzklage an.

Blumenladen und Brillengeschäft leiden unter Endlosbaustelle

Jana Hoffmann, Inhaberin zweier Blumengeschäfte, musste im Juli 2016 ihren Laden in der Schulstraße schließen, weil sie ihren Kunden den gefährlich Weg über die Baustelle nicht mehr zumuten konnte und weil die Passage ohnehin komplett verboten ist; wegen der Sicherheit und der Haftung im Falle eines Unfalls. Den mangelhaften Informationen der für den Bau zuständigen Stellen entnahm sie die vage Annahme, dass sie mit längeren Bauverzögerungen wird rechnen müssen und entließ kurzfristig zwei Mitarbeiterinnen. Das Kostenrisiko war ihr zu hoch. Sie sollte recht behalten. Nun will sie wenigstens das Weihnachtsgeschäft mitnehmen und am 1. November 2016 ihr Blumeneck wieder öffnen. Auch einstellen will sie und ist verärgert, nun wieder nur schwammigen Informationen zu bekommen.

Auch Michael Schrodke, Inhaber mehrerer Brillengeschäfte, ist not amused über die Defizite auf der Baustelle und dabei vor allem über die Dauer der Bauarbeiten. Seine „Brillenwelt“ ist von den Bauarbeiten in der Schulstraße ebenfalls betroffen, weil sich einer seiner Läden genau auf der Ecke zur Großen Ulrichstraße befindet, die bis zum Juni 2014 ebenfalls eine Dauerbaustelle war. Durch die Bauarbeiten neben seinem Geschäft ist die sensible optische Vermessung der Augen der Kunden nicht mehr wirklich möglich. Es geht um verlorene Aufträge und Einkünfte und schließlich um Existenzen. Was hier passiert, ist in dem Umfang nicht hinnehmbar, so Schrodke. Sein Fazit des Abends: „Das Vertrösten, das hier stattfindet, damit kann ich nicht zufrieden sein.“

Bauüberwacher Albrecht: Risiken jetzt überschaubarer

Uwe Albrecht, der zuständige Planer und Bauüberwacher aus einem privaten Planungsbüro, ist optimistisch: „Die Risiken sind jetzt überschaubarer.“ Er meint, dass der schwerste Teil geschafft ist und die Gefahr weiterer, baubedingter Verzögerungen daher geringer. Für ihn als hängt jetzt alles vom Wetter ab. Sein Vorschlag zur Güte: Anfang Dezember 2016 setzt man sich wieder mit den Bürgern zusammen zur aktuellen Lage. Zu spät, revoltiert ein Betroffener. Als ein Bürger noch mit der Frage kommt, wie er nun eine Kohlenlieferung eintakten kann, greift Stäglin ein und verspricht, das Thema in die nächste Bauberatung zu geben. Zu seinem Versprechen gehört auch eine Rundmail Anfang November an alle Beteiligten und Betroffenen zum konkreten Zeitplan.

Der schöne Einstieg in die Veranstaltung ist vergessen und der deutlich später dazugestoßene Baudezernent ringt sichtbar mit seinem Ärger über die Defizite, die so viel Klagen ausgelöst haben. So hatte Albrecht die Baustelle eingangs erklärt: Der Zustand der Fahrbahnen ließ zu wünschen übrig. Auch die Medienversorgung war unzureichend. Daher war es sinnvoll, darauf mit einer Komplexmaßnahme zu reagieren. Die Gesamtlänge der Baustelle beträgt 235 Meter. Es wird grundhaft ausgebaut. Die Fahrbahn wird 3,50 Meter breit, sie bekommt eine gebundene Betonsteinpflasterdecke mit Edelsplittvorsatz, Bord drei Zentimeter. Der Gehweg wird mindestens 1,50 Meter breit, überfahrbar und bekommt ein Granitplattenband sowie ein Mosaikpflaster im Traufstein. Unter die Erde kommen Medien für Telefon, weitere Telekommunikation, Gas, Wärme, Beleuchtung, für Trinkwasser und Abwasser. Wegen der Enge der Straßen ist die Konzentration der Medien dort sehr hoch. Dieser allgemeinen Einleitung schickte Albrecht Erklärungen zur Verzögerung des Baus hinterher: Zunächst verzögerte sich die Ausschreibung und Vergabe des Vorhabens. Dann musste das Sicherheitskonzept in der Schulstraße nachgebessert werden, weil wegen der Enge der Baustelle die Gefahr bestand, dass Passanten in den Schwenkbereich der Bagger kommen. Dann stießen die Bauleute auf einige Überraschungen im Untergrund. Leitungen lagen teilweise anders, als angenommen, so dass Gas und Wasser nur nacheinander gelegt werden konnten. Beim Kanalbau stieß man auf Felsgestein und auf archäologische Funde. „Die Archäologen fanden eine Holzwasserleitung und freuten sich. Dann fanden sie einen Brunnen und freuten sich nochmal.“ Schließlich war der Zustand der alten Leitungen an den geplanten Anschlussstellen für die neuen Leitungen zu schlecht, so dass man sich mit den örtlichen Versorgern zu erweiterten Bauarbeiten entschloss. Weitere Verzögerungen entstanden aus Sicht von Albrecht wegen der Baufirma. „Die Besetzung der Baustelle ist nicht zufriedenstellend.“ Mehr als Mahnen sei nicht möglich. Die Verzögerungen hätten sich auf 15 Wochen summiert. An anderer Stelle sprach Albrecht von rund vier Monaten. Dann kam der Ausblick auf den weiteren Bauverlauf: Der Tiefbau ist weitgehend abgeschlossen. Der Leitungsbau soll bis Mitte November 2016 erledigt sein. Ende November ist der Fertigstellungstermin für das Pflaster und die Gehwege zwischen Universitätsplatz/Barfüßerstraße und Joliot-Curie-Platz. Bis Mitte Dezember soll die Fahrbahn zwischen Universitätsplatz und Großer Steinstraße durchgängig befahrbar sein. Die komplette Fertigstellung wird je nach Witterung für die Zeit zwischen März und Juni 2017 in Aussicht gestellt. In diesem Jahr wird bis maximal 23. Dezember gearbeitet, dann folgen die freien Tage über Weihnachten und den Jahreswechsel.

Baufirma zur unterbesetzten Baustelle: „Wir schaffen das!“

Der Annahme, dass 2017 nach dem 6. Januar weitergebaut wird, widersprach ein Anwohner. Nach seinen Informationen pausiert die Baufirma über den Jahreswechsel für drei Wochen. Außerdem reagiert er auf die Antwort auf die Frage, seit wann die Planer von der fast viermonatigen Bauverzögerung wissen. Seit Ende September war gesagt. Der Bürger will schon im August davon gehört haben. Die Klagen konzentrieren sich letztlich auch auf den Baubetrieb: Zu wenige Leute sind vor Ort, es wird teilweise langsam oder gar nicht gearbeitet, der Sachstand wird zu spät durchgestellt. Die Frage kommt auf, warum der Bau so vergeben worden ist. Antwort aus dem Podium: Es war der preiswerteste. „Wer billig baut, baut teuer“, schallt es aus dem Publikum. Aus dem Podium kommt die Erwiderung, dass das preiswerteste Angebot in der Regel auch das wirtschaftlichste ist. Hinweise auf Leistungsschwächen habe es nicht gegeben. Es handele sich um einen großen Baubetrieb mit guten Referenzen, mit dem man bereits gute Erfahrungen hatte. Jetzt sei die Lage neu zu bewerten. Eine Vertragsstrafe werde erwogen. Vor dem Abschluss der Bauarbeiten und der Endabrechnung seien dem Auftraggeber jedoch die Hände gebunden. Die Baufirma bereits angeschrieben werden wegen der aus Sicht der Beobachter zu geringen Zahl an Bauleuten. Im Antwortschreiben stand laut Albrecht quasi die Versicherung: „Wir schaffen das!“