CDU und SPD segnen Koalitionsvertrag ab

von 17. April 2011

Nach der CDU hat am Samstag nun auch die SPD dem Koalitionsvertrag zugestimmt. Die 100 Delegierten votierten mehrheitlich dafür, es gab zehn Enthaltungen und es vier Gegenstimmen. “Der Vertrag trägt unsere Handschrift und wird die Umsetzung vieler sozialdemokratischer Inhalte ermöglichen. Ich danke den Delegierten für die breite Zustimmung”, so SPD-Spitzenkandidat Jens Bullerjahn im Anschluss. Der 69-seitige Koalitionsvertrag sieht unter anderem Ganztagsbetreuung für alle Kinder sowie eine Einführung von Gemeinschaftsschulen vor. Die konstituierende Landtagssitzung findet am 19. April statt, dann soll Reiner Haseloff als neuer Ministerpräsident gewählt werden. Doch aus bestimmten Richtungen gibt es auch heftige Kritik am Vertrag.

„Uns stellt sich die Frage, ob die künftige Landesregierung ein gestörtes Verhältnis zu Sozialverbänden hat.“, so der Geschäftsführer des AWO Landesverbandes Sachsen-Anhalt e.V., Wolfgang Schuth. „Das Papier zeugt von wenig Verständnis der Koalitionäre für unsere Arbeit. Die in der Präambel formulierte Werbung um Mitarbeit von Unternehmen und Gewerkschaften, Kirchen, Vereinen, Verbänden und allen aktiven Bürgerinnen und Bürgern scheint nicht viel mehr als eine bloße Worthülse zu sein. In unserer ureigensten Aufgabe als Wohlfahrtsverband, der gesellschaftliches Engagement und Ehrenamt fördert, finden wir uns in dem Koalitionsvertrag nicht wieder. Wir halten die Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft für dringend geboten. Für uns bedeutet Stärkung der Zivilgesellschaft vor allem Stärkung der Verbände und Vereinigungen, soll heißen, Stärkung der Aktivitäten, Strukturen und Bindungskräfte der demokratischen Wohlfahrts-, Sport und Kulturverbände mit ihren Vereinen in Sachsen-Anhalt. Doch davon ist in der 68-seitigen Koalitionsvereinbarung nicht die Rede. Elf Mal kommt in dem Papier das Wort Engagement, zehn Mal das Wort Ehrenamt vor – aber nie im Zusammenhang mit dem Begriff Wohlfahrt. Das Thema Bürgerengagement wird immer mehr zu einem eigenen Politikfeld, und wir Verbände als Original für ehrenamtliches Engagement bleiben außen vor. Statt Meta-Ebenen wie die Landesarbeitsgemeinschaft für Engagement (LAGFA) zu schaffen, sollte das Land eine andere Haltung, ein Leitbild, entwickeln, wie die in der Zivilgesellschaft verankerten und gewachsenen Strukturen gestärkt werden können.“ Enttäuschend findet der AWO-Geschäftsführer auch, dass die von der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege angestoßene Diskussion um Sozialziele für das Land Sachsen-Anhalt in dem Koalitionspapier keinen Eingang gefunden hat. „Unsere Forderung, Sozialpolitik transparenter machen, bleibt damit ungehört“, bedauert Schuth.

„Es ist ein trauriges Schauspiel, das die SPD Sachsen-Anhalts hier bietet. Vergessen die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn, Ignoranz gegenüber der Halbierung des Einstellungskorridors für den öffentlichen Dienst mit all den absehbaren Folgen und und und – das Wahlprogramm der SPD ist endgültig zur Makulatur verkommen. Übrig geblieben sind ein paar Streitereien um ministeriale Kompetenzen”, so der Vorsitzende der Fraktion “Die Linke” im Landtag, Wulf Gallert. “Die SPD mag sich jetzt an ihrer eigenen These berauschen, der Koalitionsvertrag sei doch in ach so sozialdemokratischer Handschrift verfasst – der Text belehrt eines Besseren. Alles, was die SPD vor der Wahl so kämpferisch angesagt hatte, versinkt entweder im Finanzierungsvorbehalt oder in schwammigen Unverbindlichkeiten, wie der Vertragstext höchst anschaulich vermittelt. Schließlich geht es nicht um blumige Überschriften, nicht um sinnentleerte Schlagworte, es sollte eigentlich um konkrete Vorhaben gehen, die Sachsen-Anhalt sozialer und gerechter gestalten können. Aber all das bleibt Fehlanzeige.“ Als Linke werde man nun sozialdemokratische Forderungen und Positionen in die Politik und in den Landtag einbringen, “denn von der hiesigen SPD ist da kaum noch etwas zu erwarten.“

Der Koalitionsvertrag sieht auch vor, den Neueinstellungskorridor für die Landesverwaltung von aktuell 705 für das Jahr 2012 und 823 für das Jahr 2016 auf 400 pro Jahr zu halbieren. Vorgesehen ist aber auch, alle Polizeianwärter zu übernehmen – 180 Stellen pro Jahr. “Damit könnten noch nicht einmal alle bisher vorgesehenen Lehrkräfte eingestellt werden, für die übrigen Bereiche wie Justiz, Verbraucher- und Arbeitsschutz, Umwelt- und Landwirtschaftsverwaltung, Vermessung, Schulaufsicht und andere unverzichtbare Aufgaben würde keine einzige Neueinstellung in den nächsten Jahren möglich sein”, kritisiert die Gewerkschaft Verdi. “Damit wird auf kaltem Weg die Arbeitsunfähigkeit der Landesverwaltung hergestellt. Wenn das das Ziel der Koalition ist, dann hat das mit zukunftsorientierter Politik nichts zu tun“, so Thomas Voß, Landesbezirksleiter der Gewerkschaft. Denn schließlich würde keine einzige Aufgabe der Landesverwaltung entfallen. Sollte diese Abbaupolitik nicht abgeändert werden, sieht die Gewerkschaft die Gefahr einer zunehmenden Privatisierung, um trotz fehlendem Personal die Aufgaben noch bewältigen zu können. „Gerade sozialdemokratische Politik sieht nach unserer Vorstellung komplett anders aus“, sagte Voß. Deshalb fordert Verdi eine an den Aufgaben orientierte ausreichende Personalausstattung.

Wenn der in letzter Minute in die Koalitionsvereinbarung aufgenommene Passus über das „Personalmanagement“ Realität würde, „ist der ganze Koalitionsvertrag nicht das Papier wert, auf dem er steht“, erklärte der GEW-Landesvorstand und bezieht sich wie Verdi auf den Stellenkorridor. Allein aus dem Personalentwicklungskonzept der vorherigen Landesregierung und zusätzlich tariflich bindend vereinbarten Einstellungen würden sich jährlich allein für die Allgemeinbildenden und Berufsbildenden Schulen ca. 400 Neueinstellungen ergeben, heißt es. Damit würden sie schon jetzt noch unter dem tatsächlichen Bedarf von 600 bis 800 jährlich liegen, wenn die Schulqualität nicht massiv schlechter werden solle. Hinzu käme der Ersatz der ausscheidenden pädagogischen Mitarbeiterinnen, der ebenfalls in der Koalitionsvereinbarung steht. „Wer solchen politischen Schwachsinn in die Koalitionsvereinbarung schreibt, kann weder die Schulreformen noch die innere Sicherheit ernst nehmen“, sagte Lippmann. An die Adresse der Koalitionäre von CDU und SPD richtete er die Ansage: „Die im Dienst befindlichen Beschäftigten werden sich nicht zu Mehrarbeit wegen bewusst herbei geführten Personalmangels pressen lassen, dann stehen eben alle Beschäftigten des Bildungsbereichs nicht in den Schulklassen und Hörsälen sondern vor der Staatskanzlei in Magdeburg.“ Wer hoffe, dass die GEW vor vollendeten Tatsachen einknicken werde, wird sich täuschen. Er sollte sich an die Streiks der 15.000 Beschäftigten in der Tarifrunde 2009 erinnern.