“CETA ist TTIP durch die Hintertür”

von 17. Mai 2016

Im Podium saßen: Mike Nagler (Mitglied im Koordinierungskreis von Attac Deutschland, war Kandidat für Die Linke), Campact-Pressesprecher Jörg Haas, Arne Lietz (SPD, seit 2014 Mitglied des Europaparlaments, Mitglied der Atlantik Brücke) und Karamba Diaby (SPD-Bundestagsabgeordneter aus Halle).

Jörg Haas beschrieb die Sorge vieler Menschen, bei TTIP Einschränkungen hinnehmen zu müssen. Lietz meinte, es geht jetzt darum, das Erkämpfte zu verteidigen. Als Beispiel dafür erwähnte er unter anderem die Standards für Lebensmittel und die Gentechnik, Arbeitnehmerschutz, fair produzierte Textilien und Umweltschutz etwa beim Rohstoffabbau. Zugleich verwies der Europaabgeordnete darauf, dass die Gewerkschaften in den USA gerne bei den Gewerkschaften in Europa kopieren würden. Haas konterte mit dem Verweis auf eine Eine Studie: Mit CETA wäre diese Standards nicht garantiert. Die SPD hat in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften eine “rote Linie” gesetzt, erklärte Lietz darauf. Die neuen Standards sollten auf keinen Fall unter den deutschen Standards sein. Diaby ergänzte: “Wenn die Standards nicht eingehalten werden, dann gehört das in den Papierkorb.” Haas kam auf die rote Linie der SPD zurück und meinte, dass die Einhaltung der roten Linie mit Blick auf die TTIP- und CETA-Inhalte bedeuten muss, die gegenwärtigen Vertragsentwürfe gar nicht weiter zu verhandeln.

Wer schreibt die Vertragstexte? Nicht die Parlamentarier

Nagler unterstützte diese Position: Wenn die rote SPD-Linie gilt, dann kann CETA nicht unterschrieben werden. Auch weil es schon Vorbilder und Erfahrungen mit derlei Handelsabkommen gebe, etwa die Regelungen mit südamerikanischen Staaten von 2012/2013 und mit der Ukraine von 2015. Das seien Verträge, die in Kraft sind, ohne von allen ratifiziert worden zu sein. Es würden Fakten geschaffen. Später erst werde die demokratische Diskussion zugelassen – wenn überhaupt. Vergleichbare Abkommen bisher seien eine Anpassung nach unten gewesen. Nagler nannte NAFTA (North American Free Trade Agreement), das Freihandelsabkommen von USA, Kanada und Mexiko, sowie den Vertrag zwischen der EU und Kolumbien. Für das 1994 geschlossene NAFTA seien schon die selben Argumente ins Feld geführt worden wie bei TTIP und CETA: “Die Freihandelsabkommen sind Wirtschaftsmotor und schaffen Arbeitsplätze. Alle werden profitieren.” Tatsächlich aber profitierten nur die Großen und hunderttausende Arbeitsplätze gingen verloren, so Nagler. In Mexiko seien die Lebensmittelpreise stärker gestiegen als die Löhne. “Das ist die Natur des Kapitalismus: Der Stärkere setzt sich durch.” Dem freien Markt müssten daher Grenzen gesetzt werden. Wer schreibe die Vertragstexte? Die Parlamentarier seien es nicht.

Lietz würdigte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Der habe Druck gemacht, damit die Parlamentarier überhaupt in die Vertragsunterlagen reinschauen können. Erst durch Widerstand sei also dieser Einblick möglich geworden. Sonst hätten immer alle Einblick. Diaby ergänzte: “Die Vorlage muss in den Nationalparlamenten beraten werden.” An das Publikum gerichtet sagte er: Laden Sie ihre Abgeordneten ein und fragen Sie sie! Besuchen Sie ihre Büros! Dazu sind die Abgeordneten da. Die Schiedsgerichte (einer der neuralgischen Punkte in den “Freihandelsabkommen”) stehen in TTIP und CETA nach wie vor drin, mahnte Nagler. Schiedsgerichte gebe es auch andernorts, zum Beispiel bei der IHK, doch dort stünden sich Unternehmen gegenüber, während sich jetzt Unternehmen und Staaten gegenüberstehen würden. Haas fügte hinzu, dass es in den Vertragspapieren weiter einseitige Rechte für Konzerne gibt: Konzerne können klagen, Staaten nicht. Lietz bezeichnete die Schiedsgerichte als den Dreh- und Angelpunkt. Sie kritisch zu beleuchten, sei sinnvoll. Sicherheit müsse vor Schnelligkeit gehen. Diaby warnte an der Stelle vor unnötigen und heftigen Diskussionen. Noch sei nichts beschlossen.

“1600 Seiten – wer soll das lesen?”

Als das Publikum an der Reihe war, schossen zahlreiche Arme nach oben. Der Künstler Till Brömme wollte wissen, woher die Intransparenz (bei TTIP und CETA) kommt und wo die Bürger mitreden können. Der ehemalige CDU-Stadtrat Martin Bauersfeld sprach den Umfang von TTIP und CETA an. 1600 Seiten wären durchzuarbeiten. “Wer soll das lesen?” Um das zu lesen, müsse man Fachenglisch können und zudem juristisch fit sein. Die deutsche Übersetzung komme erst im Juni 2016. Nach dem derzeitigen Inhalt der Verträge hätten die Parlamente auf einige Punkte keinen Einfluss. Eine Bürgerin stellte fest, dass es bei TTIP und CETA letztlich um alle Bereiche des Lebens geht, also auch um Kultur, Bildung und kommunale Versorgung. “Das soll alles privatisiert werden, soweit ich das mitbekommen habe.” Sie wollte nun wissen, welche Einflussmöglcihkeiten Politiker haben? Die Verträge seien in der jetzigen Form ein “No go” auf der ganzen Linie. “Wenn Gesetze ohne Parlamente möglich sind, wozu gibt es dann noch Parlamente?” Ein Bürger berichtete von seinem Besuch einer AfD-Veranstaltung, wo es um exakt das gleiche Thema ging. Er wollte wissen: “Wie grenzen wir uns von diesen Leuten ab?”

In einer ersten Antwortrunde begann Diaby, dass er sich nicht ernst genommen fühle als Abgeordneter, wenn er Dokumente (wie jetzt bei TTIP) nicht ohne Beobachtung lesen darf. Die Bürger hätten kein Vertrauen mehr. Auf den Einwand von Bauersfeld sagte er, dass kein Mensch 1600 Seiten liest, sondern dass es immer Experten für verschiedene Teile der Verträge gibt. Ferner habe TTIP keinen Einfluss auf den öffentlichen Bildungssektor. Haas hingegen erklärte: Da wo heute schon öffentliche Hand und Privatwirtschaft im Wettbewerb stehen, greift TTIP ein. Damit wäre es künftig auch möglich, gegen die Förderung der Volkshochschulen vorzugehen. Auch an Universitäten wäre das denkbar.

Aufpassen, dass das Land nicht nach rechts abdriftet

Lietz ging auf die Frage ein, warum die Übersetzung der TTIP-Unterlagen so lange dauert. Es handele sich um fachjuristische Texte. Übersetzungsfehler könnten verheerend sein. Beim Lesen arbeite man in Ausschüssen. “Einer alleine kann das gar nicht lesen.” Die Parlamente müssten die Punkte verhandeln, die sie betreffen. Anders als die SPD habe die CDU an der Stelle keine rote Linie und sie wolle auch nicht öffentlich verhandeln. Bildung und Kultur seien aus TTIP ausgeklammert. In Hinblick auf die kommunalen Belange habe der Deutsche Städte- und Gemeindebund Druck gemacht. Zur AfD erklärte Lietz: “Wir müssen aufpassen, dass unser Land nicht nach rechts abdriftet.”

Nagler widersprach der Annahme, wonach die Amis nach Europa kommen und dort alles übernehmen wollen. Die Proteste gegen TTIP liefen in den USA schon viel länger. Die AfD habe die Rolle übernommen, die Unzufriedenen zu binden. Das Problem der “Freihandelsabkommen” sei die Dominanz der Wirtschaft über die Politik. Schon in den 90er Jahren sei ein Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA in Arbeit gewesen. Doch nachdem Einzelheiten vorab bekannt wurden, die Widerstand auslösten, sei das Abkommen “eingestampft” worden. Mit dem Lissabon-Vertrag habe sich einiges geändert. Seitdem bewegten sich derlei Abkommen auf EU-Ebene, nicht auf Bundestagsebene.

“Noch ist nichts verloren. Es lohnt sich zu kämpfen”

In der zweiten Publikumsrunde sprach eine Bürgerin von der Bürgersorge, TTIP könnte über CETA durchkommen. “Bei TTIP sitze ich hier und habe nicht einmal einen Text.” Ein Bürger pflichtete ihr bei und plädierte dafür, sich mehr auf CETA zu konzentrieren, denn das sei die Hintertür für TTIP. Lietz bestätigte, dass CETA eine Hintertür sein könnte. Er appellierte an die Bürger, ihn zu diesen Fragen zu kontaktieren, in sein Büro zu kommen, denn er sei ihr Europaabgeordneter. Haas erklärte seine Hoffnung, dass die SPD CETA ablehnt, auch wenn Sigmar Gabriel zustimmen will. “Noch ist nichts verloren. Es lohnt sich, weiter zu kämpfen.” Man müsse sich jetzt auf CETA konzentrieren und die Protestbewegung tue das bereits.

Nagler widersprach indes der Aussage, wonach etwa die Kultur vom Freihandelsabkommen nicht betroffen ist: “Die Kultur ist ausgeklammert, aber nicht ausgenommen.” Im Vertrag müsse genau aufgelistet werden, was nicht hinein soll. Schließlich schloss der Mann von Attac, dass man die SPD wieder zur SPD machen muss. Haas resümierte nun das aktuelle Ausmaß des Protestes gegen TTIP und CETA. Bei der Europainitiative gegen TTIP lägen 3,5 Millionen Unterschriften vor. Rund 300 deutsche Kommunen hätten sich bereits der kommunalen TTIP-Initiative angeschlossen. Was er nicht sagte: Es handelt sich dabei um eine Initiativevon Attac und das Kampfziel heißt: 10.000 TTIP-freie Kommunen. Attac wolle den Katholikentag in Leipzig gezielt nutzen, um den Protest weiter voranzutreiben und noch mehr Menschen damit zu erreichen. Auch in Halle wolle man das Netzwerk weiter ausbauen.

Hintergrund: Im Parteikonvent vom 20. September 2014 hat die SPD ihre Haltung zu TTIP beschlossen. Im Beschluss heißt es: “Zu einem Abbau von wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Standards darf es durch ein transatlantisches Freihandelsabkommen nicht kommen.” Weiter heißt es fast am Ende des fünfseitigen Papiers: “Ein Freihandelsabkommen darf nicht dazu führen, dass europäische Standards etwa im Arbeits- und Umweltrecht, beim Daten- oder Verbraucherschutz in Frage gestellt oder Investoren vor internationalen Schiedsstellen rechtsstaatliche Standards und demokratische politische Regelungen zum Schutz von Gemeinwohlzielen aushebeln können.”

Im Herbst 2015 protestierten 250.000 Menschen in Berlin. Im April 2016 waren erneut Zehntausende Menschen gegen TTIP auf der Straße, diesmal in Hannover. Am 28. Mai 2016, ab 12 Uhr, wird in Leipzig protestiert unter dem Motto „TTIP, CETA und Co stoppen – Für einen gerechten Welthandel!“.

TTIP wird seit Juli 2013 verhandelt immer im Wechsel in der Europäischen Union (EU) und in den USA. Im Juli 2016 steht die 14 Verhandlungsrunde an. Dann ist wieder die EU Gastgeberin. Im Juni soll endlich die deutsche Übersetzung der Verhandlungsunterlagen vorliegen.

CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) wurde seit dem Jahr 2009 unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt. Verhandlungspartner sind die EU und Kanada.

Kurzinfo gegen TTIP und CETA

https://stop-ttip.org/de/wo-liegt-das-problem/

Kurzinfo – Stop TTIP (de)

stop-ttip.org

Diese Kurzinfo fasst die wichtigsten Gründe gegen TTIP und CETA zusammen und erklärt, warum sie eine Bedrohung für so viele wichtige Errungenschaften sind – in …

CETA auf der Seite der Europäischen Kommission

http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-13-911_de.htm

kritische Analyse zum Investitionsschutz-Kapitel im EU-Kanada-Freihandelsabkommen (CETA)

http://power-shift.de/wordpress/wp-content/uploads/2016/05/Powershift-Campact-TTIP_Unfairhandelbar-Analyse-ISDS_CETA_final.pdf

der 2007 geschlossene Vertrag von Lissabon (EU)

http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=OJ:C:2007:306:FULL[&]from=DE

mehr zum Protest in Leipzig

http://vorsichtfreihandel.blogsport.de

Kritik zur Atlantik Brücke

https://lobbypedia.de/wiki/Atlantik-Br%C3%BCcke