“Damals wurde Geschichte geschrieben”

von 3. Oktober 2010

Am Samstagnachmittag hat die Stadt Halle (Saale) mit einem Festakt in der Ulrichkirche an die Wiedervereinigung Deutschlands vor 20 Jahren erinnert. Eröffnet wurde die Feierstunde vom Jugendblasorchester Halle und dem Jugendorchester Karlsruhe mit der Europahymne.

In Radio, Fernsehen und in den Zeitungen könne man derzeit über Rückblick, Diskussionen, Meinungen und Erinnerungen zum Gefühl vor 20 Jahren hören, sehen oder lesen, so Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados in ihrer Begrüßungsrede. “Damals wurde Geschichte geschrieben”, so das Stadtoberhaupt. “Der Traum von Deutschland einig Vaterland ist wahr geworden.“ Lange Zeit hätte Deutschland nur mit Panzern und Kanonen von sich reden gemacht, Europa in Trümmern hinterlassen. Heute präsentiere sich Deutschland als friedliches Land. Deshalb müsse man auch den anderen Völkern für ihr Vertrauen bei der deutschen Einheit danken. Am 3. Oktober 1990 feierten viele Hallenser auf dem Marktplatz. Auch die heutige Oberbürgermeisterin war dabei. “Wir war ganz schwindelig vor Freude und Glück, wir hatten Tränen in den Augen”, beschrieb sie die damalige Situation. “Wir sollten uns diese Erfolgsgeschichte nicht klein reden lassen”, so Szabados, “auch wenn es Ungerechtigkeiten gab. Wir haben einen Grund stolz auf uns zu sein.” Der 3. Oktober 1990 sei ein Glückstag. “Leben wir die Freude über ein geeintes Vaterland. Lassen Sie uns die Freude zeigen.”

Ein Glückstag war der 3. Oktober 1990 für einige kleine Familien im doppelten Sinne. 12 Kinder in Karlsruhe und 9 in Halle erblickten an jenem Tag das Licht der Welt. Manuel Kohn und Falko Koblenz waren stellvertretend für die 27 damals Geborenen gekommen. Ihnen übergab Dagmar Szabados das Buch “Schritte zur Freiheit”. Die heute 20jährigen lebten wie selbstverständlich in der Freiheit, so Szabados, die in diesem Zusammenhang auch die Städtepartnerschaft mit Karlsruhe hervorhob. Die sei etwas ganz besonderes. “Wir haben Karlsruhe viel zu verdanken für die Aufbauhilfe.”

Grußworte aus Halles Partnerstadt überbrachte Bürgermeister Wolfram Jäger. In den letzten 20 Jahren hätten sich Familien wieder gefunden, seien neue Freundschaften entstanden. “Es waren zwei Jahrzehnte, in denen Spannungen überwunden wurden und werden.” Nun sei es gemeinsame Aufgabe, die restlichen Ressentiments abzubauen. Jäger lobte die Städterpartnerschaft Halle-Karlsruhe als eine der Lebendigsten. Deshalb sei sie auch als gutes Beispiel kürzlich von Innenminister Thomas de Maiziere bei einer Tagung vorgestellt worden. So gebe es einen regelmäßigen Azubiaustausch zwischen beiden Städten.

Die Festrede hielt Halles langjähriger Oberbürgermeister Klaus Rauen. Er erinnerte daran, dass sich vor 20 Jahren eine “hochgesicherte Grenze” durch Europa zog und sich zwei verfeindete Machtblöcke hier gegenüber standen. Die Mauer sei vom Osten zur Disziplinierung der eigenen Bevölkerung gebaut worden. Die Wende sei nach dem Ende der Terrorherrschaft der Nationalsozialisten für ihn bedeutsamste Ereignis in seinem Leben. “Die gewaltlose Zusammenführung war wie ein Wunder.” Mit Blick auf den auslaufenden Solidarpakt sagte Rauen, der Prozess der Annäherung und wirtschaftlichen Angleichung müsse komplett durchgezogen werden, auch wenn es weitere Gelder koste. Dass die Einheit nicht so schnell gehen werde, genau davor hätten Leute wieder Hans-Dietrich Genscher gewarnt. So habe Genscher gesagt, es werde ein langer und steiniger Weg. “Doch wir wollten lieber die Bilder von blühenden Landschaften hören”, so Rauen. Die gebe es inzwischen regional doch. “Und die sind inzwischen so selbstverständlich, dass sie kaum wahrgenommen werden. Mittlerweile sei die Produktivität im Osten bei 70 Prozent des Westniveaus angelangt, 1990 seien es gerade einmal 30 Prozent gewesen. “Die Wirtschaft der DDR lag am Boden.” Allerdings seien, so Rauen, beim wirtschaftlichen Sanierungsprozess auch Fehler gemacht worden. 53 Prozent aller Ostdeutschen hätten in den letzten zwei Jahrzehnten ihren Arbeitsplatz verloren, trotzdem sei für 57 Prozent die Einheit ein Grund zur Freude.

Indes musste die Ehrung des früheren Leopoldina-Präsidenten Volker Ter Meulen ausfallen. Ihm sollte der Ehrenbecher der Stadt übergeben werden, so wie es der Stadtrat im August beschloss. Allerdings war seine Frau kürzlich verstorben, am Freitag fand die Beerdigung statt. Ter Meulen hatte den Übergabetermin deshalb abgesagt.