Demokratie darf kein Elfenbeinturm werden

von 2. März 2009

(jul/ens) Das Sicherheitsaufgebot in und um das K&K in Halle (Saale) war groß. Vor dem Kongress- und Kulturzentrum parkten mehrere Polizeiautos und auf dem Weg zum Großen Saal des Kempinski Hotels begegnete man gefühlt mehr Sicherheitsbeamten als Zuhörern, drei Sicherheitskontrollen waren zu überstehen. Voll wurde der Saal trotzdem, immerhin hatte sich Bundesprominenz angekündigt. Dies wollte sich auch die Lokal- und Landesspitze der SPD nicht entgehen lassen und so saßen neben vielen interessierten Bürgern – rund 300 Gäste hat HalleForum.de gezählt – auch Johannes Krause, Thomas Felke, Christa Riemann-Hanewinckel, Gerlinde Kuppe und Dagmar Szabados im Publikum der Veranstaltung, die unter dem Titel „Politik in der Zeitenwende“ stand.

Als erster Redner des Abends betrat Everhard Holtmann, Politikprofessor an der MLU Halle-Wittenberg, das Podium und skizzierte in wenigen Minuten die vielfältigen Problemstellungen, die es für die Politik im neuen Jahrzehnt zu lösen gilt. Für ihn stehen schwere „Zeiten in der Zeitenwende“ bevor, ein Fazit, das der Hauptredner des Abends nicht teilen konnte. Gerade aus Scharm El-Scheich (Ägypten) von einer Nahost-Wiederaufbaukonferenz zurückgekehrt, stand Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Montagabend als Kanzlerkandidat der SPD in Halle auf der Bühne. Als Auftakt seiner Rede wählte Steinmeier dann auch gleich die problematische Lage in Israel und Palästina und die Fragestellung, wie man Frieden im Nahost schaffen könne. Inhaltlich sagte er dabei nicht viel Neues, verwies jedoch vehement auf sein eigenes Bemühen und warb bei den Zuhörern um Vertrauen und Verständnis. „Wer jetzt den Glauben daran aufgibt, handelt zynisch, weil er die Menschen im Stich lässt“ lautete Steinmeiers politisch korrektes Credo. Gerade die Deutschen dürften sich mit Blick auf die eigene Geschichte nicht aus der Verantwortung stehlen.

Politisch korrekt – das galt auch für viele andere Themen, die er in den etwas mehr als 60 Minuten abhandelte und die so ziemlich die gesamte Breite aller populären Diskussionen der letzten Wochen abdeckten. Dabei kam Steinmeier natürlich auch ausführlich auf die Finanz-, Wirtschafts- und mittlerweile auch Gesellschaftskrise zu sprechen die er als „tiefsten Einschnitt seit dem Fall der Mauer“ begreift. Doch nicht um alles, was nun zusammenbricht, sei es schade, führte Steinmeier weiter aus. Und so macht der Kanzlerkandidat in den verheerenden Folgen der Krise auch Möglichkeiten aus und fordert unter dem Applaus der Zuschauer, „dieses Jahr nicht ungenutzt verstreichen zu lassen, ohne zu regeln, was wir regeln müssen.“ Es sei ein Irrtum zum glauben, dass sich am Ende alles selbst regelt. Ein seiner Meinung nach erster Schritt ist die „Philosophie des Ellenbogens“ hinter sich zu lassen und eine „Philosophie der ausgestreckten Hand“ zu etablieren. Die Ursachen der Krisen müssten nun ernsthaft angegangen werden. „Und auch die Urheber der Krise sollten sich an der Aufarbeitung beteiligen.“ Ziel sei es, zu einer schnellen Rettung zu kommen, weitere Unfälle zu verhindern und vor allem die Verantwortlichen auch zur Verantwortung zu ziehen.

Verantwortlich, das sind für Steinmeier die Manager, die auf kurzfristige Renditen aus sind. Eine Leistungsprämie sollte nur der bekommen, der sich für die langfristige Zukunft eines Unternehmens einsetzt, so Steinmeier, der auch Handlungsbedarf bei der zukünftigen Gestaltung der Managergehälter sieht. In den 80ern habe ein Managergehalt das 17fache eines Facharbeiters betragen, in den 90ern das 40fache und heute teilweise mehr als hundertfache. „Diese Gehaltsexzesse tragen die Gefahr in sich, die Gesellschaft zu spalten.“ Deshalb müssten die Gehälter auch ein vernünftiges Maß zurückgefahren werden. Es folgte eine Kritik an den Bankern, die trotz drohender Pleiten Millionengehälter kassieren („Als ob Selbstbedienung auf Kosten der Allgemeinheit keine Scham kennt.“) und ein Hinweis auf die Notwendigkeit der finanziellen Unterstützung des Autobauers Opel. Schließlich sei die Autoindustrie das Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft und es gehe um 100.000e Arbeitsplätze. „Wir müssen Verantwortung übernehmen. Da kann und darf sich die Politik nicht wegducken.“ Er wisse zwar nicht, ob die Rettung von Opel gelinge. Aber mit dem Gefühl, nicht das menschenmöglichste für eine Rettung des Autobauers getan zu haben, wolle er keine Politik machen.

Armut, durch die Finanzkrise ist dieses Thema auch wieder in die öffentliche Diskussion gerückt. Als „Brücke über die Gräben zwischen Arm und Reich“ sieht Steinmeier die Bildung. Es rege ihn auf, dass 80.000 Schüler im Jahr die Schulen ohne Abschluss verlassen. Diese hätten so gut wie nie die Chance, einmal mit einer geregelten Arbeit in Kontakt zu kommen. Wir müssen daran arbeiten, dass niemand mehr ohne Abschluss die Schule verlässt und keiner mehr ohne Berufsausbildung da steht.“

Am Schluss gab es noch die Forderung nach aktiver Mitarbeit in den demokratischen Strukturen Deutschlands. Deshalb werde er, sollte er im Herbst zum Kanzler gewählt werden, als erstes nach Draußen gehen und die Bürger auffordern, sich einzumischen. „Demokratie kann nur gewinnen, wenn sich Demokraten mit Engagement zur Verfügung stellen.“ Genau das aber sieht Steinmeier in Gefahr, in einigen ostdeutschen Kommunen hätten es die Parteien immer schwerer, Menschen zu einer Mitarbeit begeistern zu können. „Demokratie darf kein Elfenbeinturm werden“ sagt er – eine der wichtigeren Botschaften des Abends.