Der deutsche Wolf im Schafspelz

von 13. März 2016

Gefälschte Wahlplakate, Anschläge auf Fahrzeuge und Büros der Partei, die teilweise flächendeckende Entfernung und Zerstörung der AfD-Wahlplakate, Diffamierungen in Medien und sozialen Netzwerken sowie Dauerfeuer auf die Spitzenkandidaten in diversen Talkrunden. Die AfD hat die politische Landschaft ordentlich durcheinander gewirbelt, viele Unzufriedene aufgesogen und zugleich die Gegnerschaft der anderen herausgefordert. Die einen hoffen auf Veränderung, auf Gehör, auf die Lösung ihrer Probleme, die anderen fürchten einen Rechtsruck und lesen die AfD als völkisch, rassistisch und demokratiefeindlich.

Laut der Titelseite der März-Ausgabe des “Compact”-Magazins wäre die AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry die bessere Kanzlerin. “Das Merkel-System muss abgewählt werden, wenn Deutschland eine Überlebenschance haben will”, sagte Compact-Herausgeber Jürgen Elsässer in einem Interview Ende Februar 2016. Hallelife hat sich das Programm der AfD Sachsen-Anhalt angeschaut. Sicher ist: Die Töne von AfD-Gründer Bernd Lucke, der jetzt die neue Partei Alfa anführt, sind wesentlich leiser und bewegen sich im Rahmen des allgemeinen Diskurses der demokratischen Parteien. Beim kurzen Überfliegen des Wahlprogrammes der AfD wird deutlich: Die AfD hat sehr genau zugehört und eifrig mitgeschrieben an den Stammtischen, auf den Montagsdemos, bei Pegida und in den sozialen Netzwerken. Auf den ersten Blick nimmt sie sich brennender Themen an. Doch wer verstehen will, wie die AfD tickt und was von ihr zu erwarten ist, muss genau lesen und die Zwischentöne hören. Dann wird schnell klar, dass sie sich in ihren Reden und Schriften in Art und Inhalt in der Tradition von DVU und Schill-Partei bewegt.

Das erste Thema der AfD sind die Flüchtlinge, wie bei vielen Bürgern auch. Sie will strenge Regeln für die Einwanderung und die eigenen Bedürfnisse in den Fordergrund stellen. Das sagt, bei aller Merkelei, im Grunde auch die CDU. Die AfD will die Einwanderer als Ein-Euro-Jobber verpflichten. Im Klartext: Sie spricht einem Zwangsarbeitersystem das Wort und ist damit noch unerschämter als die von anderer Seite gemachte Forderung, den Mindestlohn abzuschaffen. Wer sich die Hände reibt bei der Dressur der Neuankömmlinge, der vergisst, dass diese auf dem Wege des Lohndumpings zu seinen erbitterten Konkurrenten auf einem ohnehin schwierigen Arbeitsmarkt werden. Die in der rechten Szene verbreitete Ansicht, Ausländer nehmen Deutschen die Arbeit weg, würde dann wirklich eintreten. Die AfD fordert eine Anpassung an die “deutsche Leitkultur”. Damit greift sie eine uralte CDU-Forderung auf. Das Problem dabei: Was genau die Leitkultur sein soll, darauf müsste sich dieses Land erst einmal festlegen. Was zu dem Thema zu hören und zu sehen ist, legt allerdings den Verdacht nahe, eine nicht geringe Zahl “Deutscher” würde an dieser Leitkultur scheitern. Prinzipiell ist jedoch nichts gegen den Ansatz einzuwenden, den allgemeinen kulturellen Verfall Deutschlands aufzuhalten. Die AfD meint, das Asylrecht diene nicht der Einwanderung. In der Tat spiegelt das Asylrecht die Erfahrungen der NS-Zeit wider und war nicht als Wirtschaftsbelebung gedacht. Hier widerspricht sich die AfD in ihren Thesen. Die Asylpolitik der AfD mündet in Abschottung und Sozialdarwinismus und tritt damit die Freiheit und Solidarität mit Füßen. Die These von der Bringschuld der Einwanderer liegt zwar nahe, da diese ja ohne Eigenleistung Sozialtransfers vom deutschen Steuerzahler bekommen, sie vergisst jedoch, dass diese Situation erst durch das deutsche Asylrecht entstanden ist. Deutschland ist, de facto, ein Einwanderungsland und genau das wird im Asylrecht nicht abgebildet.

Die AfD will “junge Familien fördern”, hat dabei allerdings ein völlig antiquiertes Bild von der dauerhaften Verbindung von Mann und Frau. Zugegeben ist das ein überall, insbesondere in der Werbung, gezeichnetes Idealbild. Aber auch hier würde die Freiheit der Menschen aufgegeben. Mit der Idealfamilie will die AfD “unser Volk erhalten”. Die AfD will die Sexualisierung der Kinder stoppen. Damit müsste sie sich zuerst an die Medien- und Werbewirtschaft sowie den Zeitschriftenhandel wenden und an Eltern, die ihren Kindern Smartphones geben und sie im Internet surfen lassen. Sexualkundeunterricht soll es in Grundschule und Kindergarten nicht geben, sagt die AfD. Doch am Ende der Grundschule sind die Kinder zehn Jahre alt. Mit Geschlechterfragen werden sie bis dahin auch schon ganz ohne Sexualkunde konfrontiert und dabei geht es nicht um Ringelreihe. Die AfD will Kindergeld nur noch Deutschen geben und die Ausgabe mit dem Besuch der Schule koppeln. Direkt neben dieser Forderung schreibt die AfD, Eltern müssen ihre Kinder auch Zuhause unterrichten können. Ein Widerspruch!

Wie alle anderen Parteien ist der AfD die Bildung wichtig. Mit einem feinen Unterschied: Ihr geht es um “deutsche Bildung”. Zu Recht kritisiert die AfD Schulschließungen insbesondere auf dem Lande, große Klassen und Lehrermangel. Die AfD will die Zahl der Sportstunden verdoppeln. Dass schon seit Jahren über den aufgeblähten Fächerkanon gestritten wird, ist ihr offenbar entgangen. Die AfD fordert mehr Geld für Kultur. Das ist gut und richtig, allerdings wäre das offenbar nicht zuletzt für AfD-Spitzenkandidat André Poggenburg völlig nutzlos, da der, nach seinem letzten Theaterbesuch befragt, in seinem Kopf jahrelang zurückblättern musste und sich gar nicht richtig erinnern konnte. Die AfD will Magister und Diplom wieder einführen. Auch wenn es der Partei wohl eher um das Deutsche geht, wäre dieser spezielle Schritt zurück richtig. Denn quer durch alle politische Lager ist von den Problemen mit dem Bachelorstudium zu lesen. Unter anderem ist von unmenschlichem Druck die Rede.

Die AfD will den Mittelstand fördern und singt damit einen Kanon mit allen anderen Parteien. Mit ihrer Forderung, die Sanktionen gegen Russland zu beenden, ist sie zumindest auf Bundesebene weitgehend allein. Im Land Sachsen-Anhalt fordert das auch Katrin Budde (SPD). Der Bürokratieabbau ist ein ebenso populäres Thema. Die Lippenbekennisse von Politikern zu dem Thema sind zahlreich. Ob die AfD den Dschnungel wirklich lichten würde und könnte? Die angekündigte Förderung von Selbstständigen statt Großkonzernen klingt sicher gut in den Ohren der Betroffenen, doch an den Lobbyisten kommt auch die AfD nicht vorbei. Dass die AfD das PPP-Modell, also die Kooperation von Staat und Privatwirtschaft bei Bauvorhaben, beenden will, ist zu begrüßen, allein es stellt sich wieder die Frage nach den Lobbyisten. Von denen könnte sich die Politik nur dann etablieren, wenn sie die öffentlichen Haushalte in den Griff bekäme. Bei den angehäuften Außenständen dürfte das schwer werden.

Die AfD zweifelt an der These vom menschengemachten Klimawandel. Damit ist sie nicht alleine. Zum Beispiel Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) ließ diese Ansicht durchblicken. Die Deutsche Bahn soll nicht privatisiert werden, sagt die AfD. Das ist eine mehrheitsfähige Auffassung. Auf Autobahnen soll kein generelles Tempolimit gelten. Ist das nicht schon so? Die AfD begründet das mit der Entlastung von Städten und Dörfern. Im Umkehrschluss heißt das: Weitere Autobahnen müssten gebaut werden. Dass die Autobahn, wie behauptet, der schnellste und sicherste Verkehrsträger ist, darf bezweifelt werden. So bilanzierte der ADAC das Jahr 2014 so: 475.000 Staus mit einer Gesamtlänge von 960.000 Kilometer auf deutschen Autobahnen. Seitdem hat der Verkehr weiter zugenommen. Allerdings muss dabei gesehen werden, dass 2014 auf 12.917 Kilometern Autobahn (1,8 Prozent des gesamten Straßennetzes) fast ein Drittel des Straßenverkehrs floss.

“Sicherheit darf zu keinem privaten Gut werden, das sich einige leisten können und andere nicht”, sagt die AfD. Gut so. Sie will die Polizei wieder aufstocken. Das wollen nun auch CDU und SPD. Die AfD will Bürgerwehren einführen. Da sie gleichzeitig die Polizei ausbauen will, bleibt das ungute Gefühl, es könnte um Polizeistaat und Denunziantentum gehen. Sicherheit ist nur in Freiheit möglich, ist bei der AfD auch zu lesen. Das passt alles nicht so recht zusammen.

Die AfD sieht sich “als Erneuerungsbewegung für unsere Demokratie”. Sie will mehr direkte Demokratie. Wie Die Linke. Sie will die Zeit bis zur nächsten Landtagswahl in Sachsen-Anhalt von fünf auf vier Jahre senken, damit der Bürger häufiger abstimmen kann. Klingt gut. Mehr Transparenz in Politik und Verwaltung ist im Parteiprogramm zu lesen. Auch das klingt gut. Die AfD will die Rundfunk-Zwangsgebühr abschaffen und dafür einen kleinen, neutralen öffentlichen Rundfunk aufbauen. Allerdings müsste der den übrigen Prämissen der Partei nach wohl in “deutschen” Angelgenheit sehr wohl Partei ergreifen.

Fazit: Die AfD tritt, nimmt man ihr Programm, ihr Personal, öffentliche Auftritte und die Klientel, die sich von ihr besonders angezogen fühlt, zusammen, als Wolf im Schafspelz auf. Für die etablierten Parteien wäre es indes relativ einfach, die guten Ansätze im Parteiprogramm schadlos zu übernehmen und so ihr Schreckgespenst aufzulösen.