Durch die Welt im Auftrag des Herren, Reisen von Pietisten im 18. Jahrhundert

Durch die Welt im Auftrag des Herren, Reisen von Pietisten im 18. Jahrhundert
von 20. März 2018

Gereist wurde entweder mit dem Schiff, mit der Kutsche, auf einem Pferd oder zu Fuß. Die wichtigste und häufigste Fortbewegungsart blieb aber weiterhin das Reisen zu Fuß, denn dem größten Teil der Bevölkerung fehlten die finanziellen Mittel, um sich eine Postkutsche oder Schiffspassage zu leisten. Obwohl Wasserwege in der Frühen Neuzeit dem Landverkehr vorgezogen wurden, kommt der Post hier eine besondere Bedeutung zu. Denn erste Fahrpläne und Postroutenhandbücher boten die Möglichkeit, Dauer und Kosten einer Reise abzuschätzen. War man erst einmal unterwegs, lauerten überall Gefahren, so etwa Überfälle, Unfälle, Krankheiten oder Naturgewalten aller Art. Dennoch unternahm man bereits damals weite Reisen in entfernte Länder, die oft unter schwierigsten Umständen durchgeführt wurden.

Die Jahresausstellung der Franckeschen Stiftungen 2018 zeigt, wie der Hallesche Pietismus den Weg zu einer modernen Reisekultur vorbereitete. Voraussetzung dafür war Wissen und eine detailreiche Planung. Dazu ließ man sich von den halleschen Emissären Listen schicken, die alle dringend benötigten Utensilien, etwa für die Schiffsreise nach Indien, enthielten. Akribisch geführte Tagebücher, die nach Halle gesendet wurden, machten mit den alltäglichen Reiseabläufen und möglichen Gefahren bekannt. Das rechtzeitige Erlernen der Fremdsprachen ermöglichte einen verlässlichen Kontakt zur Bevölkerung vor Ort. Zahlreiche Wörterbücher, zweisprachige Texte und Dialoge sowie Übersetzungen für den Verlag des Waisenhauses zeugen noch heute von der zentralen Bedeutung, die das Erlernen von Fremdsprachen für den Halleschen Pietismus hatte. Vor Ort wurden Gegenstände gesammelt und mit einer ausführlichen Beschreibung nach Halle geschickt. Nicht selten sind sie in die Sammlung der Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen eingegangen. Hier dienten sie dem Lernen an August Hermann Franckes Schulen und der Repräsentation zugleich. So entstand in der einzigartigen Sammlung ein Abbild der Welt, das gleichzeitig Abbild des pietistischen Kommunikations- und Netzwerkes war. Man reiste im Auftrag Gottes, um Fürsprecher für den Pietismus zu gewinnen, Wissen zu generieren, sich auszutauschen und für die universellen Anliegen Franckes und dessen Anstalten zu werben.

Reisende Waren: Die Medikamenten-Expedition der Franckeschen Stiftungen

Neben den Reisen von Weggefährten, Mitarbeitern und Schülern August Hermann Franckes wirft die Ausstellung auch einen Blick auf die reisenden Waren. Der weltweite Handel der Medikamenten-Expedition half den Halleschen Pietisten, gleichermaßen auf Körper und Geist der Menschen Einfluss zu nehmen: »Arzeneyen in weit entlegenen Ländern, und zum theil auch in andern theilen der Welt […] vertreiben, so ist im geringsten nicht zu zweiffeln, daß durch dieselbige allenthalben der allerbequemste Eingang in die Gemüther und gleichsam eine Thür, die Seelen Gott zu zuführen, erlanget werden könnte«. (August Hermann Francke). Die Medikamenten-Expedition verkaufte Systeme der Selbstmedikation in Verbindung mit einer Anleitung zur Selbstbehandlung, die der Anstaltsarzt Christian Friedrich Richter (1676–1711) verfasst hatte. Schnell dehnte sich der Handel auf das protestantische Europa aus. Aber auch in nichtprotestantischen Ländern waren die Arzneien sehr gefragt. So bildete Russland einen wichtigen Absatzmarkt, wobei die dort lebenden Lutheraner eine große Rolle für den Vertrieb spielten.

Jenseits von Europa wurden die in Indien wirkenden Missionare mit Medikamenten aus Halle beliefert. Diese gingen weniger in den Verkauf, sondern wurden – genauso, wie es in Halle üblich war – zumeist unentgeltlich an bedürftige Kranke abgegeben. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden Georgia und Pennsylvania in Nordamerika, wo hallesche Pfarrer lutherische deutsche Auswanderer betreuten, zum wichtigsten Absatzmarkt für die Arzneien der Medikamenten-Expedition. Auch hierher wurde ein Teil der Medikamente unentgeltlich zur Verteilung an bedürftige Kranke geliefert. Große Mengen wurden auch kommerziell vertrieben, vor allem von den Pfarrern und ihren Familienangehörigen. Im Archiv der Franckeschen Stiftungen sind zahlose Briefe erhalten, in denen die Arzneimittel und deren gute Wirkung gepriesen werden. Die weltweite Versendung von Medikamenten der »Marke Waisenhaus« verhalf ihr zu internationalem Renommee.

(Quelle:Franckesche Stiftungen zu Halle)