Ehrenhallenser ist mit 89 entschlafen

von 1. April 2016

Genscher wurde 1927 in Reideburg, damals ein Dörfchen im Saalkreis östlich der Stadt Halle (Saale), geboren. 1933 zog die Familie nach Halle, wo ihr Sohn schließlich das Städtische Reformrealgymnasium besuchte und später, genauer gesagt 1946, Jura und Volkswirtschaft zu studieren begann und schon bald darauf von der Tuberkulose, einer damals vielfach tödlichen Krankheit, die zumeist die Lunge betrifft, heimgesucht wurde. Nach dem Abschluss 1949 arbeitete er beim Amtsgericht Halle. Zu der Zeit war er bereits seit drei Jahren bei den Liberalen politisch aktiv. Ende August 1952 verließ er die DDR in Richtung Westen, wo er seine juristischen Studien weiterführte und schließlich in der FDP schnell Karriere machte.

Seit 1965 saß Genscher im Deutschen Bundestag. 1969 war er maßgeblich an der Bildung der sozialliberalen Koalition beteiligt, ebenso 1982 bei deren Verrat und dem Wechsel in ein Regierungsbündnis mit der CDU unter Helmut Kohl. Von 1974 bis 1992 war Genscher deutscher Außenminister. In dieser Funktion war er so viel in der Welt unterwegs, dass der Außenminister der Sowjetunion, Edward Schewardnadse, einmal gescherzt haben soll: „Wann immer sich zwei Flugzeuge über dem Atlantik begegnen, Genscher in beiden sitzt.“ Mit seinen Ost-West-Verhandlungen 1989/90 und insbesondere mit seinem Auftritt vor den DDR-Flüchtlingen in der völlig überfüllten Prager Botschaft ging hat der längste deutsche Außenminister endgültig in die Geschichte ein. 1991 allerdings, kurz vor seinem Rücktritt, zog er mit der vorzeitigen Anerkennung von Slowenien und Kroatien international Kritik auf sich. Beobachter waren sich mehrheitlich darin einig, dass dieser Akt den Zerfall Jugoslawiens beförderte und direkt in die brutalen Balkankriege mündete, an denen schließlich 1999 unter Rot-Grün auch die Bundeswehr militärisch teilnahm in einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Serbien.

Gleichwohl galt Genscher vielen Menschen als warmherziger Mensch und vertrauenswürdiger Politiker. Nicht zuletzt mit seinem Humor gewann er immer wieder die Sympathien seiner Zuhörer. So bekam er nicht eben zufällig bereits 1978 den „Orden wider den tierischen Ernst“ vom Aachener Karnevalsverein (AKV) verliehen. Mit Halle blieb Genscher zeitlebens verbunden. Schon vor der politischen Wende in der DDR fädelte er einen Deal mit der Volkswagenstiftung zur Rettung der Franckeschen Stiftungen ein. Auch beeinflusste er maßgeblich die Transformation des SED-Bezirksorgans „Freiheit“ 1990 zur „Mitteldeutschen Zeitung“ in den Händen des Kölner Verlagshauses Dumont. Später kam Genscher in dem Blatt wiederholt mit einer eigenen Kolumne zu Wort. Im Dorint Hotel Charlottenhof stieg der Mann mit dem gelben Pullunder am liebsten ab, womit Hotel-Chef Bertram Thieme gerne kokettierte. 1993 kam Genscher mit Michael Gorbatschow, dem gestürzten Präsidenten der untergegangenen Sowjetunion, nach Halle an der Saale. Im Jahr 2000 kamen die beiden Prominenten nochmals in die Händelstadt und besuchte unter anderem das Gasthaus „Schad“ am Reileck, was dort noch heute an der Fassade zu lesen ist. Auch in den folgenden Jahren war Genscher wiederholt in seiner Heimatstadt. So unter anderem 2002, als die ARD zur Geburtstagsgala in die Eissporthalle am Gimritzer Damm einlud. Genscher wurde damals 75.

Erneut in Halle war der Ex-Außenminister im September 2009 zur Übergabe seines sanierten Elternhauses in Reideburg, wo er die ersten sechs Jahre seines Lebens verbracht hatte. Das Anwesen war zuvor jahrelang verfallen. Dass es schließlich saniert und zur „Gedenkstätte Deutsche Einheit“ ausgestaltet wurde, ging auf eine Initiative von FDP-Parteifreundin Cornelia Pieper zurück. Wem die Wiederbelebbarkeit des Hauses scheinbar auch zu verdanken war, erzählte Genscher bei der Übergabe: Volkskammerpräsident Horst Sindermann. Der sprach mit Genscher 1984 am Rande der Beerdigung der ermordeten indischen Ministerpräsidentin Indira Gandhi in Neu-Delhi und erklärte, man habe Kohle gefunden, sich aber gegen den Abriss des Genscher-Hauses entschieden. „Naja, vielleicht wird das ja mal eine Art Erinnerungsstätte. Wie die allerdings aussieht, das hängt davon ab, ob wird das machen oder sie.“ Wie sich später herausstellte, war jedoch das Geburtshaus von Genschers Vater in Klepzig, heute ein Ortsteil der Stadt Landsberg im Saalekreis, gemeint. Der gab es bereits 1971 Pläne zum Abbau von Braunkohle. Nach Probebohrungen 1981 wurde für den Ort ein Baustopp verhängt. Der Abbau hätte 1993 beginnen sollen, heißt es auf der Internetseite der Stadt Landsberg.

Übergabe des Genscher-Hauses 2009 in Reideburg (Video auf Youtube)

https://www.youtube.com/watch?v=_CbmrTM3ccM

CNN berichtet über Genschers Tod

http://edition.cnn.com/2016/04/01/europe/germany-genscher-dies/index.html

Todesmeldung bei der BBC

http://www.bbc.com/news/world-europe-35943728