Anders als vermutet, gehen die meisten Lobbyisten in den Ministerien aus und ein und nicht im Deutschen Bundestag, erklärte Lange. Sehr bedenklich sei, dass durch die Lobbyisten die Interessen einiger Weniger durchgesetzt werden. Hackmack bestätigte die Bedenklichkeit. Es gehe um 6000 Lobbyisten und einen jährlichen Umsatz von einer Milliarde Euro. Das sei bedenklich, weil keiner von denen Vertreter der Allgemeinheit ist. Auf diesem Wege habe sich der Reallohn der Mehrheit der Menschen verringert, während der Wohlstand zu dem einen Prozent nach oben wandert. Man kenne das Muster aus den USA, aber in Deutschland sei das wahrscheinlich noch schlimmer. Aus den Verwerfungen ergebe sich eine schwerwiegend Radikalisierung mit der AfD in Deutschland und Donald Trump, dem Präsidentschaftskandidaten der Republikaner in den USA.
Gesetzestexte teilweise wörtlich von Lobbyisten
Biselli kritisierte die Intransparenz. Die Informationen, was hinter den verschlossenen Türen passiert, blieben kleinen, privilegierten Gruppen vorbehalten. Gesetzestexte würden teilweise wörtlich aus den Federn der Lobbyisten übernommen. Sitte ergänzte, das neben den Unternehmensverbänden das Who is who der großen Firmen durch die Türen von Regierungen und Parlamenten aus- und eingingen. Gallert erklärte, dass sich der Lobbyismus in Sachsen-Anhalt etwas unterscheidet von der Bundesebene, aber ebenso problematisch ist. Im Lande wisse im Grunde jeder, wer was mit wem macht. Die engen Kontakte einiger Abgeordneter zu bestimmten Firmen seien bekannt. Es gebe mehr Transparenz. Wenn sich alle kennen, dann kennen sich alle. Das führe dann durchaus zu millionenschweren Absprachen ohne Papier, nur per Handschlag. Die Kenntnis voneinander schaffe nur eine andere Form von Lobbyismus.
Der Bundesrat (also die Vertretung der Länder auf Bundesebene) sei die letzte Chance für Lobbyisten, etwas zu bewegen, wenn es mit der Einflussnahme im Bundestag nicht geklappt hat, so Lange. Man stellt sich die Arbeit der Lobbyisten immer im Geheimen vor, sagte Hackmack. Doch es werde auch mit öffentlichem Druck gearbeitet. Hackmack fand, dass nicht alles im Bundestag entschieden werden sollte. So lobte er denn auch das Referendum in Hamburg, wo das Volk gefragt war, darüber abzustimmen, ob im Jahr 2024 in ihrer Stadt die Olympischen Spiele stattfinden sollen. Die Lobbyisten hatten die Zustimmung zu Olympia bereits im Landesparlament durchgesetzt, doch das Volk stoppte das Ansinnen. Das fragte sich schließlich, was das für Hamburg bedeutet und wer davon profitiert. Und Hackmack nannte noch ein Beispiel aus der Freien Hansestadt, das ihm zusagte. Verträge ab einem Wert von 100.000 Euro müssen seit dem Beschluss des Transparenzgesetzes 2012 veröffentlicht werden. Wir haben aus dem Informationsrecht der Menschen eine Informationspflicht der Behörden gemacht“, hatte Hackmack damals dem Spiegel gesagt.
Schwache Kommunen sind privaten Geldgebern ausgeliefert
Das Stichwort für einen weiteren Aspekt des Lobbyismus gab Sitte, als sie auf die Mittelknappheit des Landes Sachsen-Anhalt verwies. Der Ball ging an den Bewerber um den Ministerpräsidenten-Posten Wulf Gallert. Die schwache öffentliche Hand sei den privaten Geldgebern ausgeliefert. Das ist mit Transparenz nicht mehr auszugleichen. Als Beispiel erzählte Gallert von einer fingierten Ausschreibung, um ein Bauloch einem bestimmten Bauunternehmen zuzuschanzen (gemeint war der Bau des Finanzamts an der Spitze in Halle durch die Günter Papenburg AG, doch Gallert vermied den Namen). Es gebe eine Machtlosigkeit der Politik gegenüber privaten Interessenvertretern. Zum Geldmangel komme nicht selten noch der Kompetenzmangel. Doch selbst die Kenntnis der Wahrheit mache die Leute nicht mehr wach; für Gallert das Ende der Demokratie.
Die Öffentlichkeit muss informiert werden, fand Biselli. Eine kritische Presse sei gefragt. Themen würden oft nur von einer Seite erklärt. Den schlanken Staat nannte Lange ein Ergebnis des Wirkens neoliberaler Kräfte. Sie würden nach Kräften fördern, den Staat zu schwächen, um so den Einfluss der Lobbyisten zu erhöhen. Daher seien Transparenz und starke Abgeordnete nötig. Beliebte Ziele von Lobbyarbeit seien Kitas und Schulen. Denen werde Hilfe in der Not offeriert, die dann in Form von Gütern und Materialien zur Verfügung gestellt würden, der der aktiven Einflussnahme dienen. Sitte bekannte an der Stelle, so auch schon mit guten Lobbyisten zusammengearbeitet zu haben. Was sie nicht ausführte: Vor Jahren organisierte sie für eine Schule in Halle-Neustadt Computer. Ein Klassiker zum Beispiel für den Software-Giganten Microsoft.
Für die politische Ebene Europäische Union (EU) merkte Gallert an: Je früher ein Lobbyist Einfluss nimmt, desto weniger Kraft braucht er, um sich durchzusetzen. Idealerweise kennt man die Sachbearbeiter, die das jeweilige Thema auf den Tisch bekommen. Dort sind Erfolge wahrscheinlich. Whistleblower, also Geheimnisverräter, müssten hingegen mit harten Strafen rechnen. An die brisanten Informationen zu kommen, ist nicht nur im Falle von Geheimdiensten schwierig, meinte Biselli. Auch bei den Behörden gebe es zahlreiche Hürden. Mal verweisen die auf Interessen Dritter, dann wieder wollen sie hohe Gebühren dafür, dass sie die gewünschten Informationen zusammenstellen. Es müsse Standard werden, Informationen rauszugeben, nicht erst auf Nachfrage.
Wissenschaftliche Dienste endlich öffentlich zugänglich
Indes konnte Hackmack auf Erfolge hartnäckigen Nachhakens verweisen. So unterhalte der Bundestag Wissenschaftliche Dienste, bei denen Abgeordnete Gutachten abfordern dürfen. Wenn das Ergebnis der gutachterlichen Arbeit dem Auftraggeber jedoch nicht passe, verschwänden die Ergebnisse ungesehen in der Schublade. Inzwischen sei gerichtlich bestätigt, dass die Veröffentlichung aller derartigen Anfragen zu veranlassen ist. Dagegen sträubte sich zunächst die Bundesverwaltung, doch inzwischen werden diese Abfragen schrittweise auf der Internetseite des Bundestages eingestellt. Es gehe um Tausende Gutachten. Die wissenschaftliche Expertise, die mit Steuergeldern finanziert werde, sei nun der Allgemeinheit zugänglich.
Die Medien sind aus Sicht von Gallert kein Transparenzersatz. Oft hätten die Medien eigene Interessen und nähmen Vorgänge selektiv wahr. So habe ein Landtagsabgeordneter zehn Jahre an der Aufklärung eines Lobbyismusfalls gesessen, ohne das Thema bei den Medien unterbringen zu können. Schließlich kam ein Klimawandel und plötzlich wurde berichtet. Lange bezeichnete starke, unabhängige Fachorgane als wichtig. Medien könnten Druck ausüben. An der Stelle verteidigte Hackmack die öffentlich-rechtlichen Kanäle, die in eine tödliche Konkurrenz mit den Privaten geraten sind. Das Problem an den Privaten sei, dass sie in der Hand Superreicher sind, die zu dem bereits erwähnten einen Prozent gehören und die eben in eigener Sache als Lobbyisten auftreten. Gallert nannte Friede Springer (Bild-Zeitung und Co) und Hubert Burda (Focus, Superillu, Chip und Co).
Nachtrag: An der Eingangstür des Puschkinhauses wiesen die Veranstalter darauf hin, dass sie sich gegenüber Rechtsextremen und deren Sympathisanten die Option offen halten, vom Hausrecht Gebrauch zu machen. Die Linke hat schon Erfahrung mit entsprechenden Besuchern. Auch diesmal ließ sich ein stadtbekannter Guerillakrieger nicht davon abhalten, mit seiner Actioncam das Haus zu betreten und so viel Lärm zu schlagen, dass er den Flur hoch bis in den Veranstaltungsraum zu vernehmen war. Veranstaltungsteilnehmer und schließlich auch die Polizei hielten den Störer in Schach, der jedoch das Ende des Abends abwartete und Petra Sitte mit der Frage konfrontierte, ob es das ist, was sie unter Demokratie versteht. Drei Videos, die beweisen sollen, dass die Linke undemokratisch ist, kursierten schon bald darauf im Internet.
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