Erinnerung an die Pogromnacht in Halle

von 9. November 2010

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1200 Mitglieder zählte die Jüdische Gemeinde in Halle (Saale) noch im Jahr 1933. Im April 1945 waren es gerade einmal noch 27. Auf diese dramatischen Zahlen und die schrecklichen Ereignisse in den Jahren dazwischen wies Halles Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados im Rahmen einer Gedenkstunde zur Reichspogromnacht 1939 am Mahnmal des alten Synagogenportals hin.

Denn auch in der Saalestadt brannte am 9. November 1938 die Synagoge, Innenraum und Dachstuhl brannten aus. Ebenfalls zerstört wurden das Gemeindehaus und die Trauerhalle des neuen Jüdischen Friedhofs. Rund 150 jüdische Hallenser wurden allein in jener “Reichskristallnacht” geschlagen und gedemütigt, ins KZ verschleppt. “Das Vergessenwollen verlängert das Exil und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung”, zitierte Szabados ein altes jiddisches Sprichwort, das heute über der Gedenkstätte in Yad Vashem prangt. Zur Erinnerung gibt es in Halle unter anderem die Stolpersteine. Im der vergangenen Woche wurde der 150. Gedenkstein in den Fußweg eingelassen, erinnert an die einst jüdischen Bewohner in dem Haus dahinter. “Die Leute sollen bewusst zu Boden sehen”, meinte Szabados. Und das im doppelten Sinne. Denn für die Ereignisse von damals sollte man sich auch Generationen danach noch schämen. “Und wir schämen uns.” Erinnerung sei wichtig, damit dies nie wieder passiere.

Für die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Halle sprach der katholische Studentenpfarrer Marco Vogler. Er mahnte mehr Zivilcourage an. Die Menschen sollten mehr den Mund aufmachen, wenn sie auf Hass und Intoleranz stoßen, wenn sie merken das Menschen wegen ihrer Herkunft oder nur weil sie behinderte sind diskriminiert werden. Im August sei er auf Studienreise in Auschwitz gewesen. Zuvor habe er sich noch einmal mit den halleschen Stolpersteinen beschäftigt. Dabei sei ihm einmal mehr klar geworden: “Es waren nicht irgendwelche Leute. Es waren Hallenser, unsere Mitbürger”, die in den KZ ermordet worden seien. Doch auch die Täter seien “aus unseren Reihen” gekommen, so Vogler. “Das zeigt die Schattenseiten der deutschen Geschichte auf.”

Nachdenkliche Worte fand Max Privorozki, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde. Drei mal im Jahr treffe man sich zu Gedenkfeiern, zu schönen Worten und zu Schweigeminuten. “Doch danach geht das Schweigen weiter”, kritisierte er. Zum Beispiel wenn jüdische Friedhöfe geschändet oder jüdische Jugendliche (wie jüngst in Laucha im Burgenlandkreis) verprügelt werden. Auch wenn andere Staaten Israel offen mit der Vernichtung drohen, greife niemand ein. Noch immer sei Deutschland beispielsweise einer der größten Handelspartner des iranischen Mullah-Regimes. “Man muss den Mut finden und laut sagen: diese Missstände hatten wir schon vor 70 Jahren.” Auch damals habe man die Verfolgung von Juden ignoriert, um globale Auseinandersetzungen zu vermeiden. Beispielhaft nannte Privorizki die Geschichte des Schiffs “MS St. Louis” und die Irrfahrt durch die Karibik. Kein Land war bereit, die jüdischen Flüchtlinge aufzunehmen. So wurden diese zurück nach Europa geschickt. Die Hälfte von ihnen starb in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten. Und auch die Eisenbahngleise nach Auschwitz oder Treblinka seien nicht bombardiert worden. So konnten bis kurz vor Kriegsende noch tausende Juden in die Vernichtungslager deportiert werden. Auch heute werde wieder vielfach weggeschaut. Groß sei der Aufschrei gewesen, als ein Pfarrer in Amerika den Koran verbrennen wollte. “Doch das ständige Verbrennen der israelischen Flagge wird wortlos geduldet.” Das sei eine doppelte Moral. Damals hätten sich viele für das vermeintlich “kleinere Übel” entschieden, um das größere zu Umgehung. “Doch der zweite Weltkrieg ist trotzdem gekommen …” Privorozki mahnte deshalb, nicht wegzuschauen.