Fußball-Krawalle: Hallenser freigesprochen

von 7. April 2011

Als Hannover 96 am 9. August 2008 in der ersten Runde des DFB-Pokals den Halleschen FC verdient mit 5:0 deklassierte, richtete sich der Fokus auf das Geschehen auf den Rängen. Ab der 78. Minute kam es zu einem Gemenge zwischen Fans der beiden Mannschaften. Einige Halle-Anhänger stürmten einen Pufferblock, warfen Fahnenstangen und Sitzschalen. Mehrere Gästefans wurden verletzt. Der Schiedsrichter musste die Partie für zehn Minuten unterbrechen, bis die Polizei die Lage im Griff hatte.

Vergangenen Montag im Sitzungssaal 230 des Leipziger Landgerichts: Von dem Trubel auf den Rängen, fliegenden Sitzschalen und brennenden Bengalfeuern war hier nichts mehr zu spüren. Der Angeklagte Benjamin B., damals 19 Jahre alt, war in Begleitung seines Anwalts zur Berufungsverhandlung erschienen. Die Staatsanwaltschaft legte ihm zur Last, sich aktiv an den Ausschreitungen beteiligt zu haben. Über ein Jahr dauerte es, bis der Fall am 1. September letzten Jahres das erste Mal verhandelt wurde. Nicht in Halle, sondern aufgrund B.'s Alter vor dem Amtsgericht in Grimma. Damals wurde der Heranwachsende freigesprochen. Und auch in der zweiten Instanz tat sich die Anklagevertreterin schwer, ihm eine Beteiligung an den Randalen nachzuweisen.

Zwei Beweisvideos ließen nicht zweifelsfrei erkennen, inwieweit sich der Angeklagte an den Auseinandersetzungen beteiligt hatte. Zwar ist auf einer Aufnahme zu sehen, wie er eine Wurfbewegung vollführt. Auch die Vernehmung mehrerer Zeugen, darunter ein szenekundiger Polizist, lieferte keinerlei Aufschluss über die Rolle, die B. auf den Videos spielte. Ein Bekannter B.'s, der seinerzeit mit in den Pufferblock stürmte, sagte bereits vor dem Amtsgericht aus, dass sich sein Freund nicht an den Krawallen beteiligt hatte. Für die Staatsanwältin hat die Beweisaufnahme den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung dennoch bestätigt. Seine Gestik deute eindeutig darauf hin, dass er während der "ausgesprochen gewalttätigen Exzesse" sein Ziel getroffen habe, führt sie in ihrem Plädoyer aus. In jedem Fall aber habe er sich aufwieglerisch verhalten, weshalb er zumindest wegen Landfriedensbruch zu verurteilen sei.

Der Angeklagte nahm ihre Ausführungen mit gelassenem Blick zur Kenntnis. Mit der Feststellung, sein Mandant sei "ganz gewiss kein Mauerblümchen" gewesen, löste Verteidiger Curt-Matthias die Sunnyboy-Fassade auf, die sich der braungebrannte 21-Jährige mit kurzgeschorenen Haaren und hellblauer Jacke einer unter Neonazis beliebten Modemarke während des Prozesses geschaffen hatte. Zuvor führte die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe die schwierigen Lebensumstände auf, unter denen B. seine Jugend verbracht hat. Die Trennung der Eltern im Kindesalter und das schwieriges Verhältnis zum neuen Lebensgefährten der Mutter prägten seine Kindheit. Früh kam er mit dem Fußball in Berührung. Erst als Spieler, ab dem Jahr 2003 als Fan von Lok Leipzig. Seine Leidenschaft brachte ihn in Kontakt mit der rechten Szene und dem Hooligan-Milieu. Zeitweilig hielt er sich im Umfeld der wegen ihrer Gewaltexzesse verschrienen Ultra-Gruppe "Scenario" auf. Wegen des Verdachts, eine Gewalttat begangen zu haben, saß B. zeitweilig in U-Haft. Das Verfahren wurde eingestellt. Die Zeit im Gefängnis habe ihn, so die Jugendgerichtshilfe, "nachhaltig beeindruckt." Seit seiner späten Jugend bestreitet der Azubi erfolgreich Wettkämpfe im Freefight – und wird nach seinen Siegen von der gewaltaffinen Lok-Szene als einer der ihrigen gefeiert. Das verschweigt die Jugendgerichtshilfe. Stattdessen schilderte ihre Mitarbeiterin, dass der Wurzener, mittlerweile glücklicher Vater eines Sohns, ein neues Leben begonnen habe.

Angesichts der dünnen Beweislage hatte sein Verteidiger leichtes Spiel. Sein Mandant habe keinen gefährlichen Gegenstand geworfen haben können. Sein Wurf hätte zwei 2,30 Meter hohe Zäune im Abstand von mindestens sechs Metern überwinden müssen. Der freudige Gesichtsausdruck genüge nicht für eine Verurteilung. "Das beim Fußball geschrien und geplärrt wird, ist völlig normal", erklärte Engel. Der Vorwurf der Staatsanwältin, er habe einen Stein geworfen, sei ohnehin viel zu weit hergeholt. Die Polizei hatte seinerzeit kein Beweismittel sichergestellt. Benjamin B. besuche weiterhin ab und zu Fußballspiele. Jedoch sei er nicht mehr, wie von der Staatsanwältin behauptet, in der Fanszene aktiv. "Er hat seine Prämissen im Leben anders gesetzt", konstatierte Engel und verwies auf die U-Haft, die bei seinem Mandanten einen Reifeprozess ausgelöst habe.

Die 2. Strafkammer schloss sich der Bewertung des Verteidigers an. "Ausreichende Verdachtsmomente, dass sich der Angeklagte der versuchten gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht hat, haben wir nicht", konstatierte ihr Vorsitzender Richter Michael Dahms und sprach Benjamin B. frei.

[Patrick Limbach]