Gedenken an Erfinder des “ewigen Roggens”

von 15. April 2010

Er hat die Agrarwissenschaften geprägt. Am Mittwoch jährte sich der Todestag von Julius Kühn zum 100. Mal. Fast 50 Jahre lehrte er an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU), an der er die erste landwirtschaftliche Lehr- und Forschungsstätte Deutschlands errichtete. Mit einer Kranzniederlegung auf dem halleschen Nordfriedhof und einer Straßenschildereinweihung in der Julius-Kühn-Straße wurde am Mittwoch an Kühn erinnert. Die Schilder weisen auf die Bedeutung Kühns hin. Gespendet wurden sie von der Gesellschaft zur Förderung der Agrar- und Ernährungswissenschaften an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg e.V.

"Julius Kühn war in allen Fragen der Landwirtschaft führender Experte. Mit seiner Berufung an die hallesche Universität begann im Jahr 1862 ein neuer Abschnitt in der Geschichte der universitären Ausbildung", sagt Prof. Dr. Olaf Christen, Prodekan der Naturwissenschaftlichen Fakultät III der MLU. Das von Kühn nach eigenen Plänen errichtete landwirtschaftliche Institut, dem er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1909 treu blieb, wurde das berühmteste Deutschlands. Kühn trieb die landwirtschaftliche Forschung voran, um Lösungen für die Praxis zu etablieren. Unter anderem legte er das "Julius-Kühn-Versuchsfeld" – eine 115 Hektar große Versuchsfläche – an, auf dem seit 1878 der weltweit einzigartige Dauerdüngungsversuch "Ewiger Roggen" fortläuft.

Julius Kühn wurde am 23. Oktober 1825 in der sächsischen Oberlausitz als ältester Sohn eines Wirtschaftsinspektors in Pulsnitz geboren. Dort erhielt er seine Grundschulbildung. Obwohl sich seine Familie in finanziellen Schwierigkeiten befand, ermöglichte sie ihm eine Ausbildung am Polytechnikum in Dresden.1841 ging er in die landwirtschaftliche Praxis. Als Lehrling, Gehilfe und Gutsverwalter erwarb er sich umfassende landwirtschaftliche Kenntnisse. Ab 1848 übernahm er als Amtmann das Gut in Groß-Krausche bei Bunzlau. Hier konnte er viele praktische Erfahrungen sammeln und studierte mit modernen Methoden wie der Mikroskopie intensiv die Krankheiten der Kulturpflanzen und veröffentlichte darüber mehrere wissenschaftliche Arbeiten zur Phytopathologie und zum Pflanzenschutz.
1855 immatrikulierte er sich an der Landwirtschaftlichen Lehranstalt in Bonn-Poppelsdorf. Aus finanziellen Gründen musste er das Studium nach zwei Semestern abbrechen. Er promovierte jedoch im März 1857 an der Universität Leipzig mit der Dissertation „Über den Brand des Getreides und das Befallen des Rapses und über die Entwicklung des Maisbrandes“. Im gleichen Jahr habilitierte er sich an der Landwirtschaftlichen Akademie Proskau. Nach nur einem Semester Lehre ging er als Verwalter der niederschlesischen Güter des Grafen Egloffstein in Schwusen/Glogau zurück in die Praxis.

1858 veröffentlichte er sein bahnbrechendes Werk „Die Krankheiten der Kulturgewächse, ihre Ursachen und ihre Verhütung“. Große Resonanz rief auch sein 1861 veröffentlichtes Buch über die Ernährung von Rindern hervor, „Die zweckmäßigste Ernährung des Rindviehs vom wissenschaftlichen und praktischen Gesichtspunkte“. Die aktiven und erfolgreich absolvierten Lebensabschnitte haben Julius Kühn für eine akademische Lehr- und Forschungslaufbahn heranreifen lassen. Er hatte als praktischer Landwirt große Anerkennung erworben und sich gleichzeitig einen ausgezeichneten Ruf als Wissenschaftler auf verschiedenen Gebieten erarbeitet. Der einflussreiche Landwirt und Tierzüchter Hermann von Nathusius aus Hundisburg setzte sich entschieden für die Nominierung Kühns ein.

1862 wurde Julius Kühn zum ersten ordentlichen Professor für Landwirtschaft an der Universität Halle ernannt. Im Wintersemester 1862/63 gründete er das „Landwirtschaftliche Conservatorium“, aus dem das heutige Corps Agronomia Hallensis zu Göttingen hervorging. Damit gab er Studenten Gelegenheit, sich in der freien Rede und der öffentlichen Besprechung wissenschaftlicher und fachlicher Gegenstände zu üben.

1863 erhielt er die ministerielle Genehmigung zur Errichtung eines selbstständigen Instituts, das er in den folgenden vierzig Jahren zur bedeutendsten agrarwissenschaftlichen Lehr- und Forschungsstätte Deutschlands ausbaute. Beispielhaft für die Wissenschaftsdisziplin hat Julius Kühn sein Programm für das Studium der Landwirtschaft aufgebaut. Er setzte seine Idee um, „daß die Landwirthschaftslehre, unbeschadet ihrer inneren Einheit und organischen Gliederung, als angewandte Naturwissenschaft und Volkswirtschaftslehre erscheint.“ Die Zahl der Landwirtschaftsstudenten in Halle war 1890 (Wintersemester 1890/91) mit 281 deutlich höher als die der anderen preußischen Universitäten (Breslau, Göttingen, Kiel und Königsberg) und der Landwirtschaftlichen Akademie Poppelsdorf zusammen, die zur gleichen Zeit 238 Studenten hatten. Auch außerhalb Deutschlands überflügelte Halle sämtliche höheren landwirtschaftliche Lehranstalten in den Ländern Österreich-Ungarn, der Schweiz, Niederlande, Belgien, Frankreich, Dänemark und Schweden um das Doppelte.

Seine praktischen Versuche setzte er im Pflanzgarten und im Haustiergarten des Instituts fort. Er legte ein Versuchsfeld mit mehreren Parzellen an, zum Beispiel in der heutigen halleschen Julius-Kühn-Straße, eine Versuchsstation und Laboratorien an. Der 1878 begonnene Dauerfeldversuch „Ewiger Roggen“ wird noch heute weitergeführt. Galt es damals in den Versuchsanfängen hauptsächlich noch die Richtigkeit der von Justus von Liebig entwickelten Mineralstofftheorie in der Praxis zu beweisen, stehen heute vor allem die Langzeitwirkungen unterschiedlicher Düngung auf Pflanze, Boden und angrenzende Umweltbereiche im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Kühn’s Anstrengungen zur Behebung der so genannten Rübenmüdigkeit mündeten 1889 in eine Station zur „Nematodenvertilgung“. Der Haustiergarten und eine veterinärmedizinische Abteilung komplettierten das nach seinen Vorstellungen konzipierte Institut. Dass sein privates Vermögen in den Ausbau des Instituts einfloss, war für ihn selbstverständlich.

Rufe nach Göttingen, Berlin, Hohenheim und Wien lehnte er ab. Rückschauend ist interessant, dass Julius Kühn’s Institut auch betriebswirtschaftliche Fragen behandelte, da er keinen Gegensatz zwischen Wissenschaft und Praxis zu erkennen vermochte. Doch nicht nur darin war Julius Kühn modern, er setzte häufig nicht nur auf seine eigene – durch mehr als 300 Veröffentlichungen zu allen Gebieten der Landwirtschaft untermauerte – Kompetenz, sondern förderte auch zahlreiche Talente, die aus kleinen Verhältnissen stammten oder gebrochene Biografien aufwiesen. Er verstand es, Freiräume zu eröffnen und Forschungsgebiete zu fördern, die noch nicht umfassend anerkannt waren. Nicht zuletzt deshalb wurden viele seiner Schüler auf Lehrstühle berufen, an denen ebenfalls Pionierarbeit geleistet wurde. Sie bauten in ganz Deutschland Institute nach halleschem Vorbild auf, gingen aber nicht selten andere Wege als den von Julius Kühn aufgezeichneten, universalistischen.

Offensichtlich als Alterssitz erwarb Julius Kühn 1898 das Gut „Lindchen“ bei Spremberg. Hier untersuchte er die Möglichkeiten, auf sehr leichten Sandböden den Anbau von Kulturpflanzen zu verbessern. 1909 wurde Julius Kühn emeritiert. Am 14. April 1910 starb Julius Kühn in Halle. Die Grabanlage seiner Familie befindet sich auf dem Nordfriedhof der Stadt.

Mit seiner Vision – Aufbau eines Landwirtschaftlichen Institutes und dessen Eingliederung in eine Universität – hat er sich ein bleibendes Denkmal geschaffen. Die größte Ausstrahlung erreichte Julius Kühn durch sein Schrifttum. So begründete er schon 1892 die „Berichte aus dem physiologischen Laboratorium und der Versuchsanstalt des Landwirtschaftlichen Instituts der Universität Halle“. Bereits im Gründungsjahr des Instituts begann er mit einer zwanglosen Folge von Mitteilungen. Kühns Nachfolger F. Wohltmann sorgte dann mit dem Verlag Paul Parey dafür, dass die wissenschaftliche Berichterstattung 1911 unter dem „handlichen“ Titel „Kühn-Archiv“ seine Fortsetzung fand.

Julius Kühn erhielt zu seinen Lebseiten zahlreiche hohe akademische und staatliche Ehrungen. Er war Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, aus Anlass seines 70. Geburtstages 1895 wurde Julius Kühn das Ehrenbürgerrecht der Stadt Halle verliehen. Seit 1905 trägt eine Straße im Viertel Am Wasserturm in Halle seinen Namen.

Quelle: Webseite der Landwirtschaftlichen Fakultät der MLU Halle, Museum für Haustierkunde