Gefühlte finanzielle Unterlegenheit fördert Fremdenfeindlichkeit

von 9. September 2016

Der Umgang mit Zuwanderung ist aktuell eines der zentralen Themen für Europas Politiker. Neben Integrationsfragen sind es aber vor allem auch die ökonomischen Auswirkungen der Immigration, die im Zentrum der Debatten stehen. Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Coburg haben die Ursachen für unterschiedliche Einstellungen gegenüber Fremden untersucht. Insbesondere gingen die Forscher hierbei der Rolle des „sozialen ökonomischen Vergleichs“ nach. Dahinter steht die Idee, dass Empfindungen wie beispielsweise Glück oder Zufriedenheit mitunter vom Einkommen abhängen. Was dabei aber besonders brisant ist: Nicht nur die absolute Höhe des Einkommens spielt eine Rolle, sondern vielmehr die Höhe des Einkommens im Vergleich zu Familie, Freunden und Bekannten (peergroup). Vergleicht eine Person also beispielsweise ihr Einkommen mit dem ihrer Freunde und schneidet dabei schlecht ab, wirkt sich diese Tatsache negativ auf ihre Zufriedenheit aus – selbst dann, wenn sie eigentlich zu den Besserverdienenden gehört. Fällt der Vergleich jedoch positiv aus, scheint es kaum Auswirkungen auf die Zufriedenheit zu geben, wie zahlreiche Studien belegen. Die Forschergruppe um Lutz Schneider und Walter Hyll ging nun der Frage nach, ob sich das relative Einkommen auch auf die Einstellungen gegenüber Ausländern auswirkt. Ihre Ergebnisse scheinen diesen Zusammenhang zu bestätigen: Eine gefühlte „Schlechterstellung“ wirkt sich stark auf den Grad der Sympathie gegenüber Ausländern aus. Fühlen sich Personen gegenüber ihrer peergroup ökonomisch im Nachteil, sind sie mit einer höheren Wahrscheinlichkeit gegen Rechte für Ausländer, politisch stärker rechtsorientiert und hegen eine stärkere Antipathie gegen Ausländer, insbesondere jene aus Niedriglohnländern.

Um diese Effekte identifizieren zu können, machten sich die Forscher das „Langzeitexperiment“ der Teilung und Vereinigung Deutschlands zunutze. Direkt nachder Wende wurde eine Wohlstandsdifferenz zwischen der DDR und der BRD offensichtlich – die Voraussetzung für ökonomische Vergleiche. Um die soziale und damit relative Komponente abzudecken, flossen in die Untersuchungsgruppe nur diejenigen Ostdeutschen ein, die in der Zeit der Teilung Deutschlands über eine peergroup im Westen verfügten. Zunächst mag es nicht besonders einleuchten, dass ein sozialer Vergleich der Einkommen von Ost- und Westdeutschen einen Einfluss auf deren Einstellung Fremden gegenüber haben könnte, die vor allem gar nicht Teil der peergroup sind. Doch die Forscher identifizierten mögliche Kanäle wie folgt: Nach der Wende befanden sich Ost- und Westdeutsche plötzlich abrupt auf demselben Arbeitsmarkt. Ostdeutsche waren aufgrund der Lohnunterschiede daraufhin in einer schlechteren ökonomischen Situation als vorher. Potenzielle Migranten traten damit in einer völlig neuen Art und Weise mit ihnen in Wettbewerb, sowohl bezüglich der Arbeitsplätze und des Lohns als auch in Bezug auf soziale Transferleistungen und öffentliche Güter. Ein weiterer Kanal betrifft den Handel. Durch den Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft konnten ab 1990 viele Industriezweige der DDR nicht mehr mit denen aus anderen Ländern konkurrieren. Insbesondere Niedriglohnländer drückten die Preise und damit auch die Löhne. Ausländer könnten damit als Bedrohung der eigenen Position relativ zum Westen empfunden worden sein.

Die Daten der Untersuchung basieren auf einer repräsentativen Umfrage des Zentralinstituts für Jugendforschung Leipzig vom September 1990 auf dem Gebiet der DDR. Zu diesem Zeitpunkt war die Währungsunion bereits abgeschlossen, die politische Vereinigung hingegen noch nicht vollzogen. In der Umfrage wurde die Bevölkerung zu ihrer politischen Einstellung allgemein, ihren Standpunkten zu Ausländern sowie zur gefühlten Diskrepanz zwischen Ost- und Westdeutschland befragt. Die Grundgesamtheit der Untersuchung umfasste (bereinigt) ca. 1 000 Personen.