Halle ist nicht reif, Hauptstadt zu sein

von 2. Juli 2017

Das Nein des Stadtrats zur Kulturhauptstadtbewerbung der städtischen Propagandaabteilung ist zunächst ein Lehrstück, das OB Bernd Wiegand eigentlich schon Jahre zuvor bei der Diskussion um den Deich am Gimritzer Damm hätte verinnerlichen können: Kooperation bringt mehr als Konfrontation. Doch der Verwaltungschef ignorierte die Lektion und so ist es gut und richtig, wenn seine Alleingänge gestoppt werden. Unabhängig davon war der Schnellschuss für einen zweiten Anlauf als Kulturhauptstadt schon im Ansatz fragwürdig, weil in der ganzen Stadt erst einmal die Erkenntnis reifen müsste, warum Halle den Titel verdiente.

Doch wer sich die Stadtpolitik nicht zuletzt der letzten 20 Jahre anschaut, kann den Eindruck gewinnen, dass in Halle Planieren vor Sanieren geht. Halle an der Saale hatte im Zweiten Weltkrieg vergleichsweise wenig Substanz verloren. Abgesehen von der zu NS-Zeiten geschliffenen Synagoge begannen die herben Verluste in der DDR (Brunoswarte, Gerbersaale, Geiststraße, Riebeckplatz, Am Trödel), doch trotzdem die BRD wirtschaftlich viel stärker ist, hat Halle nach dem Ende der DDR 1990 noch deutlich höhere Substanzverluste erlebt (Schützei, Zuckerfabrik, Schokoladenfabrik Most, Brauereien am Bölli, Deutschlands erste E-Lok-Werkstatt, das alte Neue Theater), so erfreulich wie es andererseits ist, dass zahlreiche Bauwerke gerettet wurden, die sich in einem sehr desolaten Zustand befanden.

Jedoch sind etliche der geretteten Gebäude, wenn man genauer hinsieht und Originalbilder von früher kennt, entehrte, ihres Schmucks und ihrer Seelen beraubte Diven. Die Neubauten sind zudem all zu oft eine Beleidigung für diese Stadt, doch sie entspringen in ihrer Einfalt genau dem Klima, das von geistiger Armut und stilloser Provinzialität geprägt ist. So verfallen schließlich auch die hohen Herren der Stadt in die immer gleichen Kulturbegriffe, die von Händel (neben Bach in Leipzig auf schwerem Posten) und Francke (trieb den großen Universalgelehrten Christian Wolff aus der Stadt) und neuerdings auch Luther (revolutionär, aber 500 Jahre her) geprägt sind. Auf welchem Stand Halles Kultur tatsächlich ist, lässt sich indes am desaströsen Zustand des Opernhauses studieren. Wie dankbar können die Hallenser hingehen sein, dass sich die Kulturinsel samt Puppentheater stets ganz gut gewehrt hat gegen die proletarische Einfalt in dieser Stadt.

Halles Kultur in der zweiten Reihe und das Engagement von Vereinen wie dem Arbeitskreis Innenstadt stehen schließlich für einen Geist, der für die Kulturhauptstadtbewerbung ein gutes Fundament wäre. Derweil gehören zu Halles kultureller Stärke nicht zuletzt Stadt- und Architekturgeschichte. Ehe sich Halle um den Titel bewirbt, ist eine Besinnung auf die wahren Werte erforderlich. Es braucht deutlich mehr Engagement bis hin zur Verwaltungsspitze, um wertvolle Substanz wie etwa die Freybergs-Brauerei (Meisterbräu) endlich zu retten. Auch ist eine breite Bildung der halleschen Bevölkerung erforderlich, damit sie die wahren Werte ihrer Stadt erkennen und den Abriss historischer Bausubstanz nicht mehr als erfreuliche Beseitigung von Ruinen zu betrachten, sondern als Ergebnis von Totalversagen.