Halle und die Bildung

von 6. Oktober 2009

Es ist ein brisantes Papier, das die Stadträte in diesem Monat vorgelegt bekommen. Unter der Überschrift „Familienberichterstattung – 2. Teilbericht Bildung“ hat die Stadtverwaltung eine Bestandsaufnahme zur aktuellen Bildungssituation in Halle (Saale) zusammengestellt.

Seinen Anfang nimmt der Bericht mit der Situation der frühkindlichen Bildung in den 103 Kindertagesstätten und 35 Horten. Er spricht dabei von einem drohenden „gravierenden Fachkräftemangel“. Allein im Eigenbetrieb Kita sind 40% der Fachkräfte 50 Jahre und älter. Die große Befürchtung deshalb: 90 Mitarbeiterinnen werden hier in Altersteilzeit gehen und fehlen anschließend in der Betreuung der Kinder. Doch auch steigende Kinderzahlen, die Zahl der Geburten ist wieder auf über 2000 pro Jahr angestiegen, während es Mitte der 90er nur um die 1500 waren. Durch den derzeit gültigen Betreuungsschlüssel müsse man deshalb 54 weitere Vollzeit-Erzieher einstellen, so der Bericht. Und sieht diesen Nachwuchs gefährdet. Denn auch an den Berufsschulen drohen Einschnitte durch einen Lehrermangel. „Die Zahl der Ausbilder, die in den Ruhestand gehen, nimmt zu und die Einstellung von neuem Lehrpersonal wird dadurch erschwert, dass das Kultusministerium nur sehr wenige entsprechende Ausschreibungen vornimmt. Der Fachkräfte- bzw. Lehrermangel ist hier bereits jetzt ein Problem, welches sich in den nächsten Jahren noch vergrößern wird.“ Auch an der Integration mangelt es. Nur 14 Prozent aller Kitas nehmen behinderte Kinder auf, Familien mit Migrationshintergrund nehmen die Kita-Angebote nur selten wahr.

Dabei ist eine gute Betreuung der Kinder wichtig. Denn in den Plattenbauvierteln hat jedes dritte Kind sprachliche und jedes fünfte Kind motorische Auffälligkeiten. Immerhin, der Bericht macht hier Vorschläge. So soll das Projekt „Haus der kleinen Forscher“ ausgedehnt werden. Vorgesehen sind auch die Ausbildung von 50 Fortbildungsreferenten sowie die „Stärkung der Elternkompetenz in Zusammenarbeit mit Familienbildungszentren“. Bleibt abzuwarten, wie diese Ideen in der Praxis dann tatsächlich umgesetzt werden. Auch eine stärkere Kooperation zwischen Kitas und Grundschulen ist angedacht. So soll der Übergang für die Kinder erleichtert werden. Dazu soll es zum Beispiel gemeinsame Fortbildungen von Lehrern und Erziehern geben.

Groß auch der Handlungsbedarf bei 43 der 75 Schulen in der Saalestadt. Marode Gebäude, nicht ausreichender Brandschutz – die notwendigen Investitionen liegen bei 96 Millionen Euro. Schon in den vergangenen Jahren gab es immer wieder Fusionierungen und Schließungen, auch wegen baulicher Mängel. Diese bringen, so der Bericht, „in vielen Fällen auch deutliche Einschränkungen und Nachteile, wie z.B. längere Schulwege.“ So existiert im halleschen Osten der Stadt Halle keine weiterführende Schule mehr. Gleiches Problem droht auch dem Süden der Stadt. Eine Änderung wird es wohl nicht geben. „Größere Investitionen müssen stärker in innerstädtische, zukunftsfähige Bereiche gelenkt werden, um Fehlinvestitionen zu vermeiden“, führt der Bericht aus.

Einen schlechten Ruf haben die Sekundarschulen. Viele Eltern wollen ihre Kinder deshalb möglichst an Gymnasien unterbringen. Rund 54 % aller halleschen Schüler, damit weit mehr als der Landesdurchschnitt, erhalten eine Empfehlung zum Besuch des Gymnasiums. Nicht selten ist das auch auf gewissen Druck aus dem Elternhaus auf Lehrer zurückzuführen. Zwei negative Beispiele nennt der Bericht. So wechselte von der Rosengarten-Grundschule kein einziges Kind auf ein Gymnasium. Bei der Grundschule Kröllwitz hingegen wurde 84,5 Prozent aller Kinder die Empfehlung erteilt. Das spiegelt sich auch in den späteren Zahlen wieder: kein einziges Kröllwitzer Kind geht auf eine Sekundarschule. Drohende Gefahr dann: die Kinder fühlen sich auf dem Gymnasium überfordert. Der Bericht führt aus, es gehe hervor, „dass die Großwohnsiedlungen Halle-Neustadt und Silberhöhe im Vergleich zu anderen Stadtteilen sowie im Vergleich zum Städtischen Durchschnitt nach der vierten Klasse die wenigsten Übergänge zum Gymnasium aufweisen.“ Und wegen künftig langer Wege droht dieser Anteil auch weiter zu sinken. Christian-Wolff- und Südstadtgymnasium könnten wegen zu geringer Schülerzahlen vor der Schließung stehen. „Eine klare Segregation innerhalb der Gründerzeitviertel und dem Innenstadtgebiet gegenüber den Großwohnsiedlungen ist deutlich zu erkennen“, so der Bericht weiter.

Immer größer ist der Andrang auf die Gesamtschulen. „Aufgrund einer gesteigerten Nachfrage konnten in den Schuljahren 2007/08 und 2008/09 nicht alle Bewerberinnen und Bewerber an einer Gesamtschule aufgenommen werden“, merkt der Bericht an. „Eine Reihe von Schülerinnen und Schülern erhielt eine Ablehnung und stattdessen ein Platzangebot an Schulen einer anderen Schulform.“ Und die Situation wird dramatischer. „Mit dem in den nächsten Jahren zu erwartenden Anstieg der Schülerzahlen wird die vorhandene Kapazität noch weniger den Bedarf decken können.“ Eine notwendige Bedarfserfassung zur Genehmigung einer weiteren Gesamtschule hatte die Stadtverwaltung bereits vorgeschlagen, doch mit den Stimmen von CDU und SPD wurde diese Erfassung im Stadtrat abgelehnt.

Weitere wichtige Zahlen: 126 Schüler haben im letzten Jahr die Schule ohne Abschluss verlassen, hinzu kommen 209 Schulverweigerer. Den Biologieunterricht an der Zooschule konnten knapp 5.600 Kinder nutzen, 8.300 Schüler wurden in der Botanikschule im Botanischen Garten gezählt, 4000 Kinder in der Ökoschule in der Franzigmark. Knapp 10.000 Schüler nutzten die Angebote im Planetarium. Und: die sogenannte „Materielle Armut bedeutet auch Einschränkungen hinsichtlich außerschulischer Bildung bzw. des Erlernens von Fähigkeiten und Fertigkeiten (Sport, Kunst, Kultur u.a.)“, so der Bericht. Er schlägt die regelmäßige Förderung und Finanzierung von Angeboten für Kinder und Jugendliche vor.