Halle und die Familienfreundlichkeit

von 16. Juni 2009

(ens) „Ein Dank der familienfreundlichen Stadt Halle“ – diesen Spruch hinterließ Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen im Gästebuch der Stadt Halle (Saale). Die Ministerin war nach Halle gekommen, um hier an einer Diskussion der Unternehmerinitiative „Familienfreundliches Halle“ teilzunehmen. Begrüßt wurden die Teilnehmer von EVH-Geschäftsführer Berthold Müller-Urlaub. Er machte auch einen Paradigmenwechsel aus. „Früher ging die Politik auf die Wirtschaft zu, heute ist es umgedreht.“ Nicht ohne Hintergedanken, wie Müller-Urlaub erklärte. So wolle man die Familienfreundlichkeit zum Standortvorteil ausbauen. Zunächst habe es im Unternehmen aber Skepsis gegeben. Mittlerweile habe man aber erkannt: „wenn die Mitarbeiter persönliche Probleme haben, bringen sie nicht die volle Arbeitskraft“, so der EVH-Chef. Im Stadtwerkekonzern gebe es mittlerweile flexiblere Arbeitszeiten und Weiterbildungsangebote. Daneben gebe es für jedes Neugeborene im Unternehmen einen Strampleranzug. Müller-Urlaub bilanzierte, dass sich das Betriebsklima deutlich verbessert habe. „Wir geben den Mitarbeitern das Gefühl, das wir eine große Familie sind.

Als „besonders wichtige Standortfaktoren“ bezeichnete auch Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados die Familienfreundlichkeit. „Und sie wird in Zukunft entscheidend sein.“ Dabei gehe es nicht nur um die reine Kita-Betreuung, sondern auch um die frühkindliche Bildung. Hier sieht das Stadtoberhaupt die Saalestadt schon gut aufgestellt. Die Unternehmerinitiative, zu der neben den Stadtwerken unter anderem auch KSB, die Volksbank und das TGZ gehören, könne der Stadt helfen, die Zukunftsfähigkeit zu stärken.

Das Hauptreferat des Tages hielt Bundesfamilienministerin von der Leyen. Sie warf zunächst einen Blick zurück in die Vergangenheit, wie sich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie entwickelt hat. So habe es in Westdeutschland nur die Möglichkeit als Frau gegeben zu arbeiten oder Kinder zu bekommen. „Das Land betonte eher was mit Kindern nicht geht anstatt zu gucken, wie es mit Kindern gehen kann“, so die Ministerin. Etwas anders war die Situation zwar in Ostdeutschland. Doch auch hier waren die Rollen zumeist klar verteilt – die Frau kümmerte sich um die Kinder, auch wenn sie arbeiten ging. Erst heute ändere sich in ganz Deutschland das Verhältnis. So würden mittlerweile durch die Einführung der Elternzeit bereits 19 Prozent aller Männer nach der Geburt ihrer Kinder zu Hause bleiben. Vorher waren es nur 3,5 Prozent. Auch die Unternehmen sehen dies mittlerweile nach anfänglicher Skepsis als Erfolg an. „Denn bei den Führungsqualitäten prägt das Leben.“

Auch das Thema Vergütung der Erzieher sprach von der Leyen mit Hinblick auf die Streiks an den Kindertagesstätten an. Die jetzige Vergütungsordnung stamme aus dem Jahr 1991. Seit dem habe sich daran nichts geändert, obwohl sich das Gesicht von Kitas geändert habe. Mit dem Wechsel von BAT auf TVÖD mussten die Erzieher auch noch Schlechterstellungen in Kauf nehmen, Aufstiegsmöglichkeiten fielen weg.

Die Bundesministerin begrüßte die hallesche Unternehmerinitiative, die sich trotz Wirtschaftskrise um das Thema Familienfreundlichkeit kümmere. „Das zeigt, dass Sie die Zeichen der Zeit erkannt haben.“ Denn gerade mit Blick auf den demografischen Wandel werde der Fachkräftemangel voranschreiten. Schon jetzt hätten 30 Prozent aller Unternehmen Probleme, ausreichen Fachkräfte zu finden.

Enormen Nachholbedarf sieht von der Leyen bei den Kita-Plätzen. Nur für 13 Prozent aller Kinder in Westdeutschland gebe es Betreuungsplätze. Hier ist Sachsen-Anhalt weit voraus, wie Sozialministerin Gerlinde Kuppe erläutern konnte, hat das Bundesland doch einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz eingeführt. Sie hob auch diverse Landesprogramme hervor, so das Landesbündnis für Familie, den Wettbewerb “Kinder- und familienfreundliche Kommune” und die Familienfreundlichkeitsprüfung in der Landesverwaltung.

Bei der anschließenden Podiumsdiskussion war Bundesministerin von der Leyen nicht dabei. Dabei fielen hier durchaus Anregungen, die auch auf Bundesebene interessant gewesen wären. Unternehmer wünschten sich unter anderem mehr Flexibilität. So könne man die Kinder nur zu bestimmten Zeiten bringen und abholen. Und ein junger Papi nutzte die Möglichkeit auch, um gegen die neue Kita-Gebührensatzung mobil zu machen. Er forderte eine schnellstmögliche Wiedereinführung der Geschwisterermäßigung. Das war sicher auch an Sozialministerin Kuppe gerichtet, die auf Landesebene für die Gesetzesanpassung zuständig ist.