Halle und die Zukunft der Hochstraße

von 15. November 2009

Seit 1971 gehört die Hochstraße in Halle (Saale) zum Stadtbild dazu. Gerade in der letzten Zeit wird aber über die Verbindung von Alt- und Neustadt kontrovers diskutiert. Sie zerschneidet die Stadt und verhindert eine Aufnahme der Franckeschen Stiftungen ins UNESCO-Weltkulturerbe, argumentieren die einen. Sie ist wichtig für die Wirtschaft, sagen die anderen. Im Rahmen der Internationalen Bauausstellung IBA 2010 wurde am Samstag ins Stadthaus zu einem Diskussionsforum über die Zukunft der Hochstraße eingeladen.

Im Leitvortrag von Gerd-Axel Ahrens vom Institut für Verkehrsplanung und Straßenverkehr der Technischen Universität Dresden wurden die Randbedingungen und Perspektiven für die Planung von neuzeitlichen Verkehrsvorhaben behandelt. Er lobte die von der Stadt Halle und der Bürgerinitiative gemeinsam herausgegebene Broschüre, welche die Verkehrssituation in Halle bereitwillig darstellt und die Erfahrung verdeutlicht, dass man durch Dialog Zeit gewinnen kann, um die Sünden der Vergangenheit zu überwinden. Während früher die Verkehrsingenieure eine zielorientierte beeinflussende Planung durchführten, bestehe die Hauptaufgabe der heutigen städtischen Verkehrsplanung in einer leistungsgerechten Bündelung des Verkehrs auf einem minimalem Hauptverkehrsnetz und in der Maximierung der verkehrsberuhigten Zonen einschließlich autoarmer Zonen. In Halle müssten dabei zahlreiche Punkte beachtet werden. So dürfe nirgends eine Verschlechterung bei der Einführung neuer Netzformen eintreten, solle mit unter Umständen neuen Straßen eine Entlastung der Hochstraße erreicht werden, eine Schrumpfung privater Autofahrten um 10 Prozent im Jahr 2020 gegenüber 2005. Manch Verkehrsplaner setzt ja Hoffnungen auf den Autobahnring um Halle. Der aber übernehme nur den Fern- und Durchgangsverkehr. Für Halle wird das wohl kaum eine Entlastung bringen, bei einem Anteil des Durchgangsverkehrs von 14 Prozent auf der Hochstraße. Erforderlich sei deshalb eine nachhaltige integrierte Verkehrsplanung in Halle, die von den Bürgern akzeptiert und umgesetzt werden könnte, so Ahrens.

Der Leiter der halleschen Verkehrsplanung, Rainer Möbius, erläuterte aus verkehrlicher Sicht Fakten für die weitere Diskussion – die Bedeutung der Hochstraße, die Zukunft des Verkehrs und Alternativen zur Hochstraße. Auch er bestätigte, dass das Autobahnnetz der A 143 zu weit weg von Halle liegt und daher nicht für eine innerstädtische Verkehrsentlastung in Frage kommt. Die Osttangente könnte dagegen bei Fertigstellung zur Entlastung beitragen. Für die Innenstadterschließung spiele die Erreichbarkeit des Altstadtringes ein große Bedeutung. Und da kommt die Hochstraße wieder ins Spiel, die einzige leistungsfähige Ost-West-Achse. Doch auch hier sind sinkende Werte festzustellen. Auf der Saalebrücke bewegten sich 1997 in Spitzenzeiten 80 000 Kfz/Tag, 2008 dagegen nur noch 70 000 Autos. Noch geringer sind die Werte auf der Hochstraße selbst. 2008 wurden 44 000 Autos in 24 Stunden gezählt. Bei der Verkehrszählung im Frühsommer – sie ging allerdings nur über 16 Stunden – wurde eine weitere Abnahme auf 15 800 Autos in einer Richtung festgestellt. Derzeit laufen Plattenmessungen, um komplette Ergebnisse zu erreichen. Doch wie soll es nun mit der Hochstraße weitergehen? Einfach wegnehmen sei keine Alternative, so Möbius. Eine Tunnellösung sei wegen der Steigungen von über 6% ebenfalls nicht lösbar. Eine weiterer mittlerer Saaleübergang südlich der Pferderennbahn mit Anbindung an den Böllberger Weg würde Probleme im Innenstadtbereich bringen.

Holger Göttner erläuterte das Motto der BI Hochstraße "Wir fördern kreative Stadtentwicklung" und betonte, dass die Hochstraße eine tiefe Wunde in das Stadtbild gerissen habe. "Was der Krieg nicht zerstört hat, haben die Stadtplaner danach getan", so Göttner. Heute gelte es den Zeithorizont für Veränderungen abzustecken, was in den nächsten 30 Jahren geschehen muss. Die historischen Räume des durch die Hochstraße vom Stadtzentrum abgehängten Stadtteiles Glaucha sowie die Franckeschen Stiftungen müssten wieder für Touristen erlebbar gemacht werden.

In der anschließenden Diskussion kamen sowohl Befürworter als auch Gegner der Hochstraße zu Wort, wobei von der BI zur Zeit keine brauchbare Lösungen angeboten werden konnten. Mehrheitlich wurde von der Stadt das Fehlen eines Generalverkehrsplanes sowie die Fortschreibung des verkehrspolitischen Leitbildes der Stadt Halle aus dem Jahr 1997 gefordert sowie die Probleme zu lösen, die an den Hauptverkehrsstraßen, wie der Volkmannstraße, der Paracelsusstraße sowie am Dessauer Platz und an der Dessauer Brücke bei den Anwohnern zu massiven Lärm- und Umweltbelastungen führen. Herr Müller-Gerberding befürchtete ein Verkehrschaos am Franckeplatz, sollte die Hochstraße tatsächlich wegkommen. Auch ein Tunnel sei unrealistisch. Er müsste am Glauchaer Platz 7 Meter unter dem Gelände liegen und vor dem Riebeckplatz wieder die Erdoberfläche erreichen. Allein von der Geologie her sei das nicht zu realisieren. “Ökologisch ist die Hochstraße die beste Lösung, weil der Verkehr fließt.” Ähnlich sah es der Student Benjamin Richter, der ebenfalls eine deutliche Verkehrszunahme am Franckeplatz befürchtet. Ein anderer Student wies hingegen auf den touristischen Wert der Hochstraße hin, man könne von hier aus einen tollen Blick auf die Stadt genießen. Andreas Buhl regte einen kostenlosen Nahverkehr in Halle an, dadurch könnte mehr Autofahrer zum umsteigen bewegt werden. Doch aus Kostengründen will sich die Stadt hier nicht heranwagen. David Tucker vom ADFC bezeichnete die Hochstraße als “Verkehrslösung des letzten Jahrhunderts.” Ein Einwohner aus Neustadt bemängelte, dass immer nur über die Probleme geredet werde, die die Hochstraße für Halle bringe. “Aber niemand spricht über die Probleme, die ein Wegfall für Halle-Neustadt bringt.” Der Mathematiker Malte Bismarck kritisierte, dass Halle ein Konzept für die Zukunft fehle. “Wir können nicht auf eine leistungsfähige Ost-West-Verbindung verzichten”, mahnte Stadtrat Thomas Felke (SPD). Stadtrat Olaf Sieber (Linke) hält einen kompletten Verzicht ebenso wenig für machbar. “Aber vielleicht kann man ja eine Seite wegnehmen.” Ein Vorschlag, der später noch eine Rolle spielen sollte.

Denn als Fazit nach der vierstündigen Diskussionsrunde ließ Planungsdezernent Thomas Pohlack die Bombe platzen. Schon im Stadtentwicklungskonzept von 1995 sei ein Rückbau der Hochstraße vorgesehen gewesen. Aktuelle Verkehrszählung weisen auf eine sinkende Nutzung der Verbindung hin. “Wir wollen deshalb einen schrittweisen Rückbau zum richtigen Zeitpunkt.” Was hier noch verschlüsselt klingt, erläuterte er im Nachhinein. In spätestens fünf Jahren müsse die Hochstraße ertüchtigt werden. Rund 6,7 Millionen Euro koste die Erneuerung der Kappen, so Pohlack auf Nachfrage von HalleForum.de. Und im Vorfeld soll nun geprüft werden, ob tatsächlich beide Brücken saniert werden müssen oder ob eine – die südliche Verbindung – abgerissen werden kann. Der dann entstehende freie Bereich neben den Franckeschen Stiftungen solle fußgängerfreundlich umgestaltet werden. “Und es entsteht genügend Freiraum, damit das Erscheinungsbild der Franckeschen Stiftungen besser wird.” Die zweite Brücke soll optisch ansprechender gestaltet werden. Möglicherweise wird es auch durchsichtige Lärmschutzwände geben. Freude über die Äußerungen des Dezernent bei der BI Hochstraße. Sprecher Hans-Georg Ungefug sagte, man betrachte “diese Entscheidung der Stadt Halle deshalb als einen unerwartet frühen Erfolg ihres seit zwei Jahren laufenden Agierens gegen ein möglicherweise dauerhaftes Fortbestehen des Bauwerkes.”

Allerdings: ein Abriss steht noch keinesfalls fest. Die Stadt wird in den nächsten fünf Jahren die Verkehrsentwicklung genau beobachten. Was solch eine Sperrung der Hochstraße bedeuten kann, können die Hallenser am 30. Mai 2010 hautnah erleben. Dann wird nämlich die Hochstraße unter dem Motto “Hoch-Zeit” für einen Tag für Autos voll gesperrt. Es gibt zahlreiche Aktionen auf den beiden Brücken. Mehr dazu lesen Sie später auf HalleForum.de.