Halle und Europa

von 17. Februar 2010

Die Wahlbeteiligung zur Europawahl war so niedrig wie nie. Doch das heißt nicht, dass sich die Hallenser nicht für Europa interessieren. Das zeigte sich am Montag im Stadthaus am Markt. Das Europäische Parlament und die Europäische Kommission hatten zu einem Bürgerforum eingeladen, um mit den Hallensern das direkte Gespräch über die Zukunft der Europäischen Union zu suchen. Und die Hallenser kamen, alle Plätze waren belegt und ein Teil der Besucher musste stehen. Anderthalb Stunden stellten sich die Europaabgeordneten Lothar Bisky (DIE LINKE), Ska Keller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Holger Krahmer (FDP) und Horst Schnellhardt (CDU) sowie der Landtagsabgeordnete Tilman Tögel (SPD) sowie Carsten Lietz, Pressesprecher der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland den Fragen der Bürger. Allerdings lief die Veranstaltung doch etwas gezähmt, die meisten Wortmeldungen waren eher Verständnisfragen. Einzig der Afghanistaneinsatz der Bundeswehr und die Migrantenpolitik ließen dann doch noch so etwas wie eine Kontroverse aufkommen.

Doch der Reihe nach: Zu Beginn begrüßte Halles Sozialdezernent Tobias Kogge Podium und Gäste. Erfreut zeigte er sich über das große Interesse der Stadträte. Unter anderem waren Roland Hildebrandt, Andreas Scholtyssek und Andreas Schachtschneider von der CDU, Ute Haupt, Mohammed Youssif, Swen Knöchel und Rene Trömel (Alle Die Linke), Hans-Dieter Wöllenweber und Martina Wildgrube (beide FDP) und Thomas Felke (SPD) waren gekommen. „Das zeigt: Europa spielt in den Kommunen eine Rolle.“ Auch der Landtagsabgeordnete Marco Tullner (CDU) und die Bundestagsabgeordnete Petra Sitte waren zugegen.

Das Podium
Bevor die Gäste zu Wort kommen durften, stellte Sibylle Quenett, stellvertretende Chefredakteurin der Mitteldeutschen Zeitung, zunächst ihr Podium vor. „Das Europäische Parlament hat mehr Kompetenzen bekommen“, stellte Linken-Politiker Lothar Bisky, seit 2009 im Europaparlament, fest. „Es wird ernster genommen.“ Kritisch bleibe er bei der Aufrüstung. „Ich will ein Europa der Abrüstung“, erklärte Bisky unter den Applaus des Saals. Auch für mehr direkte Demokratie sprach er sich aus, so sei ein Bürgerentscheid zur EU-Verfassung Vonnöten.

Ska Keller (Grüne), ebenfalls seit vergangenem Jahr im EU-Parlament, sprach sich für einen Beitritt der Türkei in die Europäische Union aus. „Wir sollten die Türkei beim Beitritt unterstützen“, so Keller, die die Blockadehaltungen der deutschen und der französischen Regierung kritisierte.

Der FDP-Parlamentarier Holger Krahmer ist schon seit 2004 in Brüssel, sitzt hier auch im Ausschuss für Umwelt und Gesundheit. „Greift Europa zu stark in das Verbraucherleben ein“, fragte ihn die MZ-Moderatorin zum Auftakt. „Ja natürlich greift sie ein“, konnte er da nur noch antworten. „Wir machen viel Gutgemeintes in Europa, was in der Praxis schlecht wirkt“, so Krahmer. Beispielhaft nannte er da das Glühbirnenverbot. Kritikwürdig sei vor allem, wie diese Entscheidung gefallen sei. „Nämlich in der Europäischen Kommission.“ Und diese drohe zu einem Beamtenapparat mit politischer Agenda zu verkommen. „Mein Ziel ist es, dass wir zu weniger bevormundenden Entscheidungen kommen.“

Der SPD-Landtagsabgeordnete Tilmann Tögel, Mitglied im Ausschuss der Regionen, wies auf anstehenden Umverteilungen im Bereich der Landwirtschaft an. Teile Sachsen-Anhalts fallen aus der bisherigen Ziel-1-Förderregion raus. Er hoffe nun, dass diese Gebiete trotzdem auch weiterhin eine Förderung erhalten können.

Das Publikum
Die erste Frage durfte Stefan Lehmann stellen, dem es um die Flüchtlingspolitik ging. Europa werde mehr und mehr zu Festung, bemängelte er. „Flüchtlinge verrecken, wir schotten uns ab.“ Das sah Ska Keller ähnlich. „Es passieren unglaubliche Dinge, das darf nicht sein. Es gibt keine Möglichkeit, legal nach Europa einzuwandern.“ Keller forderte in diesem Zusammenhang eine Reform der Dublin-Konvention. Nach dieser dürfen Flüchtlinge bislang nur Asyl in dem Land der Europäischen Union beantragen, in dem sie ankommen. In Deutschland ist das nicht möglich, weil es hier keine EU-Außengrenzen gibt. Doch auch mit Blick auf die schrumpfende Stadt Halle könne man den Einwohnerverlust mit Hilfe von Migranten verlangsamen oder stoppen.

„Die Gesetze werden mit Füßen getreten“, bemängelte Uli Zabel Verstöße der FFH- und Wasserrahmenrichtlinien. So zum Beispiel bei aktuellen Baumaßnahmen an der Elbe, die eigentlich ein Ausbau seien. Was könne man als Bürger tun, wollten Herr Zabel aber auch Reinhard Lehmann wissen. Der Weg zu den Gerichten sei ein Weg, erklärte der CDU-Abgeordnete Horst Schnellhardt. Man könne sich auch an die Abgeordneten oder den Bürgerbeauftragten der EU wenden. Etwas liberaler sah Holger Krahmer mögliche Verletzungen. Klar gebe es Vertragsverletzungsverfahren. „Aber wir brauchen auch die Möglichkeit für Abwägungen.“ Man könne es sich nicht erlauben, für jede Investition Richtlinien zu hinterfragen.

An den Kommissions-Pressesprecher richtete Karl-Heinz Schindler seine Fragen. Wohin geht Europa, wird es eine gemeinsame Sprach geben, wir Europa zum Zentralstaat? Werden nicht immer mehr Kompetenzen nach Brüssel verlagert? Lietz versuchte solche Bedenken zu zerstreuen. „Eine gemeinsame Sprache ist eher unwahrscheinlich, eine europäische Zentraleregierung will Niemand“, so Lietz. Das ging ohnehin nur, wenn dem alle Regierungen zustimmen würden – und sich damit selbst abschaffen.

Mit großen Zielen war Europa beim Klima-Gipfel in Kopenhagen angetreten. Durchsetzen konnte man sich indes nicht. „Hat Europa dadurch nicht sein Gesicht verloren?“, fragte Christiane Diehl. Europa sei nicht stark aufgetreten, bestätigte Lothar Bisky. Er selbst setzt jetzt auf Lateinamerika und den alternativen Klimagipfel von Boliviens Präsident Evo Morales.

„Die EU-Kommission ist nicht demokratisch gewählt“, merkte Alexander Thiele an. „Das sehe ich auch so“, reagierte der FDP-Abgeordneter Krahmer. „Aber die Kommission ist keine Regierung.“ Jedoch müsse man sehr darauf achten, dass sie kein entfesselter Bürokratieapparat wird.

Ein französischer Gaststudent brachte den Bologna-Prozess ins Spiel, wünschte sich eine europäische Norm für Universitätsabschlüsse. Im Prinzip sei der Bologna-Prozess mit dem Ansinnen Abschlüsse vergleichbar zu machen richtig, so Lothar Bisky. Das Problem sei aber, dass man sich meist nur in Sonntagsreden um die Bildung kümmere, aber sie nicht materiell unterstütze. „Wir müssen mehr in Bildung investieren.“

Um die Stabilität in Europa sorgte sich Bernd Gall, auch mit Blick auf Griechenland mit seinen finanziellen Problemen. „Welche Belastungen kommen da auf uns zu?“, fragte er. Laut Bisky sei die Stabilität gewährleistet. „Aber wir müssen Griechenland helfen.“ Gefährdet sei die Stabilität nur, wenn keine Lehren aus der Finanzkrise gezogen würden.

Für einen Schmunzler sorgte Herr Adam, der Deutschland 17 Bundesländer andichtete. Aber eigentlich ging es ihm in seiner Frage darum, welche Mitsprachemöglichkeiten eigentlich die einzelnen Regionen und Bundesländer hätten. Durch die Landesvertretungen sei das gewährleistet, erläuterte Tilman Tögel. Daneben hätten auch Verbände wie der Städtetag Büros in Brüssel.

Zum Abschluss des Abends spielte dann noch Außenpolitik ein Thema. Mohammed Youssif forderte die Abgeordneten dazu auf, für einen Rückzug der Soldaten aus Afghanistan zu sorgen und erntete dafür Beifall aus dem Publikum. „Diese Kompetenz hat das Europäische Parlament nicht“, so Horst Schnellhardt. Dies liege in der Macht der einzelnen Regierungen. Doch danach verteidigte er die militärische Präsenz am Hindukusch. Dies sei notwendig zum Schutz der Sicherheit in Europa. „Der Angriff auf New York kam aus der Region.“ Anderer Meinung war Lothar Bisky. „Man züchtet mit der jetzigen Politik in Afghanistan erst den Terrorismus.“

Nicht soweit weg vom Thema war dann auch die Frage von Marianne Böttcher nach dem Swift-Abkommen. Bisky lobte hier das Europäische Parlament. Hier seien Parteigrenzen fallen gelassen worden, das Abkommen zu Recht abgelehnt worden.

Das Schlusswort gehört dem aus dem Harz angereisten Swen Schulze. Er bedauerte die geringe Wahlbeteiligung und sah auch die Medien in der Pflicht. Man habe bereits viel getan, erklärte die stellvertretende MZ-Chefredakteurin Sibylle Quenett. „Das ich heute hier sitze hängt auch damit zusammen“, befand sie