Hallenser arbeiten an Nanotechnik-Kunstknochen

von 21. November 2011

Künstliche Knochenimplantate kommen in der Medizin vielfältig zum Einsatz. Bei Unfällen oder nach Befall mit Krebstumoren müssen häufig Knochenteile ersetzt werden. Außerdem steigt durch den demografischen Wandel der Bedarf. Aber der Knochenersatz hat nur eine begrenzte Haltbarkeit. Eine fünfköpfige Forschergruppe an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg will jetzt die Eigenschaften der Implantate mit Hilfe von Nano-Teilchen deutlich verbessern. Bislang werden Implantate entweder aus körpereigenen Knochen hergestellt oder es werden natürliche Fremdknochen verwendet, die aber vom körpereigenen Gewebe nur umkapselt werden und damit immer auch ein Fremdkörper bleiben.

Nano kommt aus dem Griechischen und bedeutet sinngemäß Zwerg. Die Angabe bezeichnet den Millionsten Teil eines Millimeters oder bildlich veranschaulicht, arbeiten Nanotechnologien mit Strukturen, die 80.000 Mal kleiner sind als der Durchmesser eines menschlichen Haares.

"Wir verwenden als Trägermaterial für den Knochenersatz Polymere, also Kunststoffe, weil sie mit organischen Substanzen wesensverwandt sind und verändern mit Hilfe von Nanoteilchen die Eigenschaften", sagt der Forschungsleiter und Vorstandsvorsitzende des Institutes für Polymerwerkstoffe der Universität Halle, Goerg Michler. "Im Versuchslabor werden Nano-Calciumphosphat-Keramikteilchen in Kunststofffäden versponnen." Diese Substanz kommt auch im natürlichen Knochenmaterial vor.

Eine gleichmäßige Verteilung der winzigen Teilchen im Kunststoff werde mit einer einmaligen und mittlerweile patentierten Technik erreicht. Das Patent gehöre der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Die Fäden bilden zunächst eine dünne Folie, welche anschließend zu einem zylinderförmigen, etwa acht bis zehn Zentimeter langem Knochenimplantat gerollt wird. "Die Keramikeinlagerungen machen die Fäden steif, das erhöht die Belastung des Materials", sagt Michler.

"Weil die Nanoteilchen im künstlichen Knochen so extrem klein sind, ist der Körper in der Lage, das Knochenimplantat vollständig in eigene Knochensubstanz umzubauen und damit vollständig in den Skelettverband zu integrieren", sagt der Arzt und Mitglied der Forschergruppe, Jörg Brandt. In den Versuchen seien Nanoteilchen von zehn Nanometern Dicke und 50 Nanometern Länge optimal vom Körper aufgenommen worden. "Alles was kleiner oder etwas größer war, konnte der Körper nicht umwandeln, das Forschungsprojekt soll auch die Frage beantworten, warum das so ist", sagt Michler.

"Das ist ein sehr hoffnungsvoller Ansatz", sagte der Materialwissenschaftler Roland Dersch von der Universität Marburg. Seine Gruppe arbeitet an ähnlichen Möglichkeiten eines nanobasierten künstlichen Knochens, allerdings mit anderen Substanzen. "Über Nanofasern wird viel geforscht, aber es ist bislang noch nicht gelungen einen komplexen künstlichen Knochen zu entwickeln, der vom menschlichen Körper angenommen wird", sagt Dersch.

In Deutschland kommt es laut Brandt jährlich zu etwa 35.000 Hüftfrakturen und Oberschenkelhalsbrüchen, meist bei alten Menschen. Deshalb soll im Zuge des Forschungsprojektes auch geklärt werden, warum Knochen im Alter überhaupt brechen. "Viele Wissenschaftler nehmen an, dass sich zum Beispiel alte Menschen den Oberschenkelhals bei Stürzen brechen. Ich glaube eher, dass sie sich den Oberschenkelhals bereits gebrochen haben und als Folge stürzen", sagt Brandt. "Kennen wir die Abläufe im echten Knochenmaterial, wissen wir auch welche Eigenschaften die Knochenimplantate haben müssen."

Untersuchungen haben gezeigt, dass den Knochenbrüchen mikroskopische Rissbildungen voraus gehen. Dabei existieren ohnehin in den menschlichen Knochen feinste Risse, welche der Körper aber in jungen Jahren durch seine Selbstheilungskräfte im Griff hat. "Es gibt erste Hinweise, dass wir mit Hilfe der Nanoteilchen dem künstlichen Implantaten eine Fähigkeit zur plastischen Deformation gegeben können, das bedeutet verbesserte Zähigkeit des Kunststoffes", sagt Brandt.

Das zunächst auf zwei Jahre angelegte Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG/Bonn) mit rund 300.000 Euro gefördert. Derzeit laufen Materialuntersuchungen. "Die einzelnen Komponenten des Kunstknochens sind bereits in Tierversuchen auf Verträglichkeit getestet worden. Die Einsatzfähigkeit des Kunstknochens, welcher ja ein Verbund aus den Komponenten ist, müssen jetzt klinische Studien belegen", sagt Michler. Mit dem Einsatz der neuen Implantate ist nach Angaben der Forscher in etwa acht bis zehn Jahren zu rechnen.
(Thomas Schöne, dpa)