Halles Unternehmen setzen auf Familienfreundlichkeit

von 19. Januar 2012

Noch immer gibt es viele Arbeitslose in der Region. Doch ein Trend ist absehbar. Vor allem der demografische Wandel spielt dabei eine gewichtige Rolle. Deshalb stehen die Firmen immer mehr im Wettbewerb um gut ausgebildete Fachkräfte. Und die kann man nur an sich binden, wenn man ihnen ein angenehmes Umfeld schafft. In Halle (Saale) hat sich deshalb vor gut dreieinhalb Jahren die Unternehmerinitiative “Familienfreundliches Halle” gegründet. Hauptakteure sind dabei die EVH, KSB, Papenburg, das TGZ am Weinberg Campus, die GWG und das Dorint Hotel. Am Donnerstag hat die Initiative nun ein Fazit über die bisher geleistete Arbeit gezogen.

Die Grundlagen für das Netzwerk wurden schon 2002 gelegt, wie Halles Dorint-Chef Bertram Thieme erläuterte. Damals begann das Werben um eine Zertifizierung beim Audit für Beruf und Familie. “Da wird man richtig geprüft, es wird genau hingeschaut”, so Thieme. Dreimal ist sein Hotel seit dem zertifiziert worden. Übrigens als einziges Hotel bundesweit. Das so entstandene gute Arbeitsklima wirke sich positiv auf das Unternehmen aus. Der Krankenstand liege seit 15 Jahren unter einem Prozent, so Thieme. Man lege viel Wert auf die Familie. So beschäftigt das Dorint eine eigene ausgebildete Erzieherin, die sich bei Bedarf um Mitarbeiterkinder kümmert.

Als man damals die Initiative gegründet habe, hätte man nicht damit gerechnet, welchen Stellenwert das Thema Familienfreundlichkeit heute besitzt, sagte EVH-Chef Berthold Müller-Urlaub. Doch für ihn ist klar: “Die Menschen müssen sich wohl fühlen auf Arbeit.” Nur so könnten sie beispielsweise im Unternehmen gute Serviceleistungen für Kunden erbringen. “Denn Wettbewerb um die guten Köpfe gewinn man nur, wenn man fair mit seinen Mitarbeitern umgeht”, führte Müller-Urlaub aus. Außerdem sei die Effizienz größer, wenn ein Unternehmen familienfreundlich geführt wird.

Doch was macht die Initiative nun genau? Zum dritten Mal wurde 2011 der mit 3.000 Euro dotierte Elternpreis ausgelobt, mit dem Eigeninitiativen von Eltern beispielsweise an Kitas und Schulen gewürdigt werden. “Wir wollen damit Hilfe zur Selbsthilfe geben”, sagte Müller-Urlaub. Unternehmen bieten Arbeitszeitkonten an, flexible Kinderbetreuungsangebote, Gesundheits-Checks und vieles mehr. Doch auch um das miteinander geht es. So wurde vom TGZ am Weinberg Campus ein Weihnachtsmarkt organisiert. Auch ein Schülerlabor gibt es hier, bei dem Kinder und Jugendliche experimentieren können. “Auf diese Weise wollen wir Hunger entwickeln, damit es später mehr Ingenieure gibt”, so Müller Urlaub. Auch die Spiel-Baustelle von Papenburg soll Kindern Lust auf den späteren Beruf machen. Die EVH betreibt ein Senioren-Café, wo es verschiedene Angebote für ältere Menschen gibt, beispielsweise Vorträge.

“Die Unternehmen haben erkannt, dass es wichtig ist Fachkräfte zu halten und zu gewinnen”, sagte Halles Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados. Die Familie sei zunehmend wichtig im Kampf um die Köpfe. Die Stadt selbst habe auch ein Interesse daran, bestehende Unternehmen zu halten und neue anzulocken. Heute punkte ein Standort nicht mehr nur mit harten, sondern auch mit so genannten weichen Faktoren. Und von denen habe Halle eine Menge zu bieten, so Szabados. So gebe es eine gute Bildungs- und Infrastruktur mit 104 Kindertagesstätten und 37 Horten. 53 Prozent aller Unter-Dreijährigen gehen in die Krippe und sogar 93 Prozent aller 3- bis 6jährigen. Doch um die Hortauslastung sei gut. Die Betreuungsquoten beispielsweise in der ersten Klasse liegt bei 79 Prozent. Vier von fünf ABC-Schützen besuchen also den Hort. Doch der Stadt reicht das nicht, es muss ganz klar mehr passieren. Schließlich kritisierte die Arbeitsagentur, dass es gerade für Abends und die Wochenende wenige flexible Angebote für Schichtarbeiter gebe, wo diese ihre Kinder betreuen lassen können. Wie Szabados sagte, sei am Weinberg Campus eine neue Kita geplant. Unweit des jetzigen Wasserspielplatzes am Heide-Süd-Park sei der Bau vorgesehen. Errichtet werden soll die Kindereinrichtung von der Landesgesellschaft SALEG, als Betreiber tritt der Eigenbetrieb Kita auf, sagte Szabados. “Hier wohnen mittlerweile viele Menschen, es gibt viele Institute, aber keine Kita. Die Einrichtungen in Halle-Neustadt sind keine Alternative”, so das Stadtoberhaupt. Und auch eine Internationale Schule am Standort Heide-Süd ist vorgesehen. Voraussichtlich schon im Sommer soll es mit einer ersten Klasse losgehen, sagte Szabados. Allerdings dann noch nicht am Weinberg Campus. “Wir werden erstmal ein bestehendes städtisches Schulgebäude nutzen”, sagte sie. Mittelfristig sei ein Schulneubau vorgesehen, “aber ohne Kosten für den Stadthaushalt.” Denn keine städtische Schule wird errichtet, sondern eine freie Schule. Sechs Millionen Euro soll der Neubau kosten, gehofft wird dabei auf Fördermittel aus dem Stark III-Programm. Für Szabados jedenfalls ist eine solche internationale Schule immens wichtig. “Sonst ziehen die Fachkräfte nach Leipzig”, mahnte sie. Dort nämlich gibt es bereits seit Jahren eine solche Einrichtung.

Doch Szabados möchte auch, dass die Stadtverwaltung künftig bei der Initiative mitmischt. Die Stadt könne auch jede Menge Erfahrungen mit einfließen lassen, beispielsweise im Gesundheitsmanagement. Hier habe man auch schon einen bundesweiten Preis gewonnen. Daneben gebe es in der Verwaltung auch einen Seniorenbeauftragten, der unter anderem beim Thema Älterwerden oder Pflege von älteren Angehörigen helfen könnte.

Lebensarbeitszeitkonten hat die EVH im vergangenen Jahr eingeführt, wie Berthold Müller-Urlaub erklärte. Damit können Mitarbeiter jetzt beispielsweise mehr arbeiten, um später früher in Rente gehen zu können oder Auszeiten für die Pflege von Angehörigen zu nehmen. Im Frühjahr stehe eine Mitarbeiterbefragung an. Hier wolle man die Bedürfnisse der Beschäftigten erfragen, so Müller-Urlaub. Ergebnisse werden zum Jahresende erwartet. Im kommenden Jahr wolle man dann bereits erste Projekte umsetzen.

Noch keine Lebens-, aber zumindest Jahresarbeitszeitkonten hat der städtische Vermieter GWG eingeführt. Innerhalb eines Jahres können die Mitarbeiter damit flexibel reagieren, mal weniger arbeiten wenn das Kind krank ist. Angesichts des neuen Renteneintrittsalters sieht sich die GWG vor Herausforderungen. “Da muss noch bei allen ein Umdenken erfolgen”, sagte GWG-Chefin Jana Kozyk. Denn in der Vergangenheit seien die meisten Mitarbeiter mit 60 in Rente gegangen. Das werde es in Zukunft wohl so nicht mehr geben. Nachdenken müssen man beispielsweise über altersgerechte Arbeitsangebote.

Das ist auch ein Stichwort für Angela Papenburg. Gerade als Bauunternehmen hat die Firma viele Mitarbeiter, die körperlich schwere Arbeiten verrichten. Kursangebote, Augentestes oder Hautscreenings biete man bereit an.