Korea ist wie Köln. Und Interdispli in Halle lebt.

von 20. Oktober 2010

Der Abend versprach langweilig zu werden, schon der Titel des Vortrages erinnerte an Fortbildungsmaßnahmen, die das Land seinen Behördenmitarbeitern jährlich als Seminarthema auflegt. „Korruptionsprävention in Privatwirtschaft und öffentlicher Verwaltung“. So etwas findet man dann in den Veranstaltungskatalogen wie „ Excel für Fortgeschrittene oder „Mobbing-wehret den Anfängen“. Auch der Veranstalter, das „Rechnungsprüfungsamt der Stadt Halle“ gemeinsam mit dem „Institut für Politikwissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU)“ klingen nicht gerade so sexy, dass man einen vollen Hörsaal 23 an einem Dienstagabend im Audimax erwarten würde. War aber so. Wahrscheinlich war es das Thema, denn Korruption klingt nach Geheimwissen, da knistert es nach Verschwörung, und wenn es da um die „öffentlichen Verwaltung“ geht, dann könnte das vielleicht doch die politisch interessierte Szene wecken, die sich auch hier im HALLEFORUM
kontinuierlich mit wissend dahertrabenden Vermutungen meldet.

Dem war nicht so. Kommunalpolitiker und die übliche Szene um sie herum, waren in dem prall gefüllten Hörsaal auffallend unsichtbar. Korruption und ihre Prävention sind hier kein Thema. Oh, glückliches Halle.

In die Veranstaltung führte Prof. Dr. Ingo Pies vom Lehrstuhl für Wirtschaftsethik der MLU im gewohnten akademischem Ritual ein – Vorstellung des Redners, Aufzählung dessen Lebenslaufes, Beschwörungen an den Geist der Interdisziplinarität und das karge, entbehrungsreiche Leben des Wissenschaftlers, der am Rande forscht. Wer längere Zeit eine Universität von innen sehen musste, hätte sich normalerweise spätestens hier zumindest innerlich abgewandt.
Dass es dennoch ein spannender Abend wurde – verdanken wir Prof. Dr. Kai-D. Bussmann, Lehrstuhlinhaber für Strafrecht und Kriminologie.
Glücklicherweise wurde es kein Einführungsvortrag mit anschließender Diskussion. Es war
ein in sich abgerundeter Vortrag, der in unerwarteter Weise Augen öffnete.

Bussmann ist Strafrechtler, studierte aber nebenher Soziologie. Methoden und Arbeitsweisen beider sich scheinbar fremden Wissenschaften – letztere betreibt Grundlagenforschung ohne logische Struktur, bei ersterer ist es umgekehrt, wie Spötter meinen – scheinen sich zu widersprechen. Bussmann führt sie zusammen, wenn er von den Motiven der Täter spricht. Nein, die Triebfeder der Täter ist nicht einzig die Gier nach Geld. In geradezu pantomimischer Weise führt Bußmann die Faktoren im mehrdimensionalen Raum auf, die Täter zu Tätern, Opfer zu Opfern und die scheinbar unbeteiligte Gesellschaft zu Beteiligten werden lassen. Besenweise schiebt Bussmann allfällige Klischees zur Seite . Nicht die öffentliche Verwaltung in Deutschland hat ein Korruptionsproblem, sondern die Wirtschaft, sowohl auf der Täter als auch auf der Opferseite.

Wenn Bussmann bunte Karten der globalen Weltkorruptionslage zeigt, wirkt er wie Kachelmann in seinen früheren guten Zeiten. Aufgelöst werden Bildungs- und Demokratiedefizite, Mangel an öffentlicher Kontrolle begünstigen Korruption, ebenso unzureichende Kommunikation und Bürokratie. NGOs (NonGoverment Organisations) und Bürgerplattformen wirken dagegen wie Schutzschilde.

„Überbordende Bürokratie macht Korruption erst möglich – weil dann einige immer leichter einfache Wege finden können“. Meiden Sie China oder Indien als Standort – hier braucht es Jahre, eine Baugenehmigung zu bekommen.

Eigentliches Anliegen Bussmans ist aber nicht Situationsbeschreibung, sondern Prävention. Und hier wird er ganz Kriminologe, Soziologe, begeht geradezu Verrat an seinen Strafrechtskollegen. Insbesondere in der Unternehmenskultur führe die Anwendung des Strafrechts nur zu geringsten Erfolgen. Wirkungsvolleres Instrument: Die individuelle Scham, und das Schamgefühl der Unternehmen.

Bussman ist bekennender Falschparker. Er hat überhaupt kein schlechtes Gewissen, auf einer ausgezeichneten Parkfläche aus Zeitgründen irgendwelche Parkscheinautomaten aufzusuchen. Vor Feuerwehreinfahrten und auf Behindertenparkplätze stellt er sich nicht hin. „Das tut man nicht“, sagt er. Und so plädiert Bußmann für eine Unternehmenskultur, in der das „tut-man-nicht„ zur Basis wirtschaftlichen Erfolges werden könnte. Die Gefahr kollegialer und gesellschaftlicher Missachtung ist seiner Ansicht nach motivierender als die bloße Androhung einer Geldstrafe.

Bußmann geht in diesen Ansichten weit über das konkrete Problem der Korruptionsprävention hinaus.

Der Vortrag endet dennoch im üblich akademischen Rahmen. Es sind Fragen zulässig, eine Studentin möchte mal grundsätzlich geklärt haben, was Korruption überhaupt ist und wie sich die von Betrug unterscheidet. Bußmann verdreht die Augen, sagt, das sei im Strafrecht eindeutig geregelt.

Ob Frauen in Führungspositionen weniger korrumpierbar seien, fragt ein Student. „Hm“, sagt Bussmann, er habe das nicht gemessen. Überhaupt scheint Bussmann vieles Unausmessliche ausmessen zu wollen, wo Naturwissenschaftler und Mathematiker ihr Werkzeug längst an den Nagel gehängt hätten. Da ist die Rede von soundsoviel Prozent befragter Großunternehmen (Meßlatte: 1000 Beschäftigte) die angegeben haben (das Unternehmen oder der Sprecher , oder wer), in welchem gefühlten Masse (Zahlen in Euro) durch Korruption sie geschädigt wurden. Aus den Antworten kommt dann irgend etwas heraus, und da man mit derartigen Fragen sogar global unterwegs war, konnte man dann in Halle hochgradig informative Tortengrafiken erstellen.
Auch das gehört zur Wissenschaftspraxis der Sozialwissenschaften – und Bussman ist nicht einmal einer ihrer Hexenmeister ( im Sinne von Andreski), denn zum Glück hat er das nur nebenbei studiert. Würde er solche Thesen hauptfachmäßig verbreiten, hätte er einen Hörsaal voller Lacher verdient.

Ob nur europäische Werte zugrunde gelegt werden, wenn man global Antikorruptionsstandards zu vereinbaren sucht, fragt jemand. Ja, Problem sei beispielsweise Korea. Hier gelten Maßstäbe, die nach unserem Rechtsverständnis kaum standardisierbar seien,. Man lebe da in einem Kontext, wo gut ist, was den Freuden hilft. „Und das Prinzip des Kölschen Klüngels“, wollte jemand wissen, frei nach Adenauer “: Man kennt sich, und man hilft sich“. Da flösse kein Geld, da sei Strafrecht machtlos. Wirtschaftsethiker Bußmann setzt hier nicht auf Strafrecht, sondern auf Unternehmenskultur und Ethik: „Das tut man nicht.“
Und er sagt: „Ja, Korea ist wie Köln“.

„Hoffentlich schreibt das morgen die Tagespresse nicht“, fürchtet da der Moderator – nicht ganz unberechtigt.

Abschließend das übliche Akademische Ritual: ich sehe, es sind keine Fragen mehr, dann laden wir Sie wie immer ein zur Nachsitzung in das Hallesche Brauhaus ein, wo wir die Fragen der Korruption für Interessierte noch vertiefend erörtern können.