Kritik an hallescher Bürgerumfrage

von 19. Oktober 2009

Bereits am Wochenende wurde eifrig auf HalleForum.de über die neue Bürgerumfrage der Stadtverwaltung Halle (Saale) und der Martin-Luther-Universität, die an 6000 Hallenser verschickt wurde, diskutiert. Schon dabei machten einige User deutlich, dass sie es für nicht tragbar halten, dass Ausländer und Hundkot in einer gemeinsamen Fragestellung vorkommen. Der Arbeitskreis „Kritische Studenten“ an der MLU hat sich nun ebenfalls geäußert, wirft Stadt und Uni „Rassismus und Menschenverachtung“ vor. „Wir fordern den sofortigen Abbruch des Projekts, eine gründliche kritische Nachbearbeitung und die Erstellung neuer Fragebögen, sollte es noch durchgeführt werden“, so Sprecherin Lisa Sommer. Und auch die Amadeu-Antonio-Stiftung interessiert sich bereits für die Umfrage.

Doch nicht nur die Fragestellung, auch der Modus der Durchführung sorgte für Kritik. Denn zur Beantwortung der Fragen musste man sich lediglich mit einer Zahl zwischen 0 und 6000 legitimieren. Inzwischen hat man diese Möglichkeit gestoppt. „Aufgrund eines Aufrufes in einem Internetforum kam es leider zu einer vermehrten Ausfüllung von Internet-Fragebögen durch nicht-autorisierte Personen. Um die dadurch erfolgende Verzerrung der Ergebnisse zu verhindern, wurde deshalb die Möglichkeit einer Ausfüllung der Fragebögen im Internet gestoppt“, schreibt die Universität auf ihrer Seite.

Den Brief des Arbeitskreises Kritische Studenten lesen Sie auf Seite 2.

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Wie wir nun erfahren haben, wurden im Rahmen eines seit Jahren durchgeführten Projekts zur Bürgerbefragung, welches das Institut für Soziologie der Martin-Luther-Universität unter Prof. Sackmann im Auftrag der Stadt Halle und der Oberbürgermeisterin wissenschaftlich betreut, nicht nur wissenschaftliche, sondern auch einfache ethische Grundsätze massiv verletzt. So wurde in der – insgesamt sowieso wissenschaftlich eher dilettantischen – Bürgerbefragung in Bezug auf die Wohnqualität in Halle ein Fragekatalog erstellt, der jeden Studierenden nach Absolvierung der Methodenkurse I und II zum Schreien bringen sollte.

Unter der Frage 14 nach den „Dinge[n]“ (!), die im Stadtviertel der Befragten „ein Problem“ darstellen würden, kommt es zur folgenden Auflistung: „Hundekot […], Schmutz und Müll […], mutwillige Zerstörung […], heruntergekommene Häuser […], Gewalt und Kriminalität […], Drogenabhängige, Betrunkene […], Ausländer.“

Hierzu gilt es folgendes zu bemerken: Die Fragesemantik, die gebotene Abstimmungsmöglichkeit (von „großes Problem“ zu „geringes“ und „kein Problem“ und die Art der Auflistung bezeichnen explizit die bloße Anwesenheit von Ausländern und der allgemeinen Gruppe „Drogenabhängige“ zuzurechnenden Personen als Negativfaktor, der die Qualität des Lebens in Halle bzw. grundsätzlich mindert. Es werden eindeutig nur Negativfaktoren, die die Lebensqualität in den Augen der Verfasser und damit antizipiert auch in den Augen der Befragten vermeintlich mindern, genannt, so sind sämtliche in der Frage neben „Ausländern“ genannte „Dinge“ (!) eindeutig negativ bis extrem negativ konnotiert, dazu Zählen Dreck sowie Elemente asozialen Verhaltens (z.B. Gewaltkriminalität). Es ist eindeutig, dass die Antwort „stellt ein Problem dar“ bei der Existenz, „stellt kein Problem dar“ bei der Nichtexistenz der verschiedenen „Dinge“ im Wohngebiet zu wählen ist. In einer anderen Frage wird im ähnlichen Kontext der „Zuzug von Ausländern“ als grundsätzlich bedrohlich und Negativfaktor aufgeführt.

Nicht einmal die NPD darf aufgrund verschiedener Verfahren wegen Volksverhetzung bspw. das Wort „kriminelle“ vor ihrer Parole „Ausländer raus“ weglassen, da die unzulässige Verallgemeinerung und verallgemeinerte pejorative Kritik an einer Minderheit in Deutschland unter Strafe steht. Sackmann und die Stadt Halle sehen sich jedoch nicht gezwungen, zumindest scheinheilig ein Attribut vor den Negativfaktor „Ausländer“ zu setzen. Auch die Auflistung der Gruppe „Drogenabhängige“ in dieser Form in der Frageliste gilt es übrigens zu kritisieren: Sie spricht jeglichem demokratischen und humanistischen Ansatz einer Betreuung, Behandlung oder Resozialisierung (sollten sie überhaupt straffällig geworden sein) von Abhängigen Hohn, sie werden als gesellschaftsschädlich kollektiv als Negativfaktor ausgegrenzt. Die Studie ist nicht nur unwissenschaftlich und dilettantisch, sie ist auch Ausdruck eines tiefsitzenden Rassismus der Autoren und Verantwortlichen und von deren offensichtlich undemokratischen Einstellungen.

Wir fordern den sofortigen Abbruch des Projekts, eine gründliche kritische Nachbearbeitung und die Erstellung neuer Fragebögen, sollte es noch durchgeführt werden. Wir fordern eine Stellungnahme der Stadt Halle und der Verantwortlichen „Wissenschaftler“, wie es zu diesem skandalösen Fragebogen kommen konnte, sowie eine umgehende Distanzierung, wenn sie noch ernst genommen werden wollen.