Linke: „Der OB tritt das Recht mit Füßen“

von 25. Januar 2017

Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegand nutzte seinen traditionellen Vortrag nach der Bürgerfragestunde und vor der Stadtratssitzung, um alle Vorwürfe gegen ihn und die Verwaltung zu entkräften. Dazu nutzte er eine Art Fakten-Check, was im politischen Diskurs ein beliebtes Mittel ist, um Kritiker mundtot zu machen. Darin stellte der OB die Stadt in der Rolle des guten Ratgebers dar, die einen Vergleich aushandeln will, und den SKV-Geschäftsführer als uneinsichtigen Schuldigen, der die Insolvenz selbst eingeleitet habe. Viele falsche Informationen seien im Umlauf. So bestritt Wiegand, dass die SKV wegen der Forderungen der Stadt in Höhe von 1,25 Millionen Euro in Schieflage geraten ist. Vielmehr habe der SKV den Hinweis der Stadt von 2009 ignoriert, dass Investitionskosten und Abschreibungen keine erstattungsfähigen Kosten beim Betrieb einer Kita sind. 31 von 37 Trägern hätten sich an den Hinweis der Stadt gehalten. Folie für Folie demontierte der OB die SKV-Geschäftsführung (siehe Fotos) vor Räten, Publikum und Kameras. Aus dem Rat war zwischendurch Tuscheln zu vernehmen: „Ist das öffentlich?!“

Empörung der Stadträte über Fakten-Check des Oberbürgermeisters

Die Verteidigungsrede der Gescholtenen folgte. „Das Recht des Trägers auf Schutz wurde vom OB mit Füßen getreten“, tritt Hendrik Lange, Stadtratsvorsitzender und Fraktionsmitglied der Linken, schäumend ans Mikrofon und in die Rolle seines Parteikollegen Bodo Meerheim, der Geschäftsführer der SKV Kita gGmbH ist und bisher der mächtigste Mann in Halles Stadtrat war. Die Stadt wolle den Geschäftsführer loswerden. Was beim SKV geschah, werde als unmoralisch dargestellt. Man gehe öffentlich gegen einen freien Träger vor. „Was hier als Skandal dargestellt wird, ist erklärbar“, bezog sich Lange auf Wiegands Eingangsstatement. Es sei ein verlogener Prozess. Die Stadtverwaltung habe die Lage bewusst zugespitzt, Verhandlungsangebote erst ignoriert und dann zu spät beachtet. Der SKV Kita gGmbH solle bewusst ein Imageschaden zugefügt werden. „Ich finde das verwerflich.“ Sichtbar geladen nutzte Lange die weitere Debatte zu dem Tagesordnungspunkt, um seinen Puls unter Kontrolle zu bekommen, ehe er wieder als Stadtratsvorsitzender und Sitzungsleiter neben Wiegand Platz nahm.

Auch Ines Brock (Grüne) war empört. Sie sei sehr erstaunt, was im öffentlichen Teil dargestellt werde. Die SKV-Insolvenz-Debatte stand in der Tagesordnung im „Nichtöffentlichen Teil“, wie das bei derlei heiklen Fragen allgemein üblich und angezeigt ist. Die Aufregung bei Belegschaft und Eltern gelte es, so schnell wie möglich zu beruhigen, indem man den Insolvenzplan der SKV annimmt. Zugleich kritisierte Brock die Methoden, wie der OB in der Angelegenheit vorgeht: Angestellten werde gedroht, dass sie Nachteile in Kauf nehmen müssen, wenn sie nicht – wie von der Stadt gewollt – zum neuen Träger wechseln. Detlef Wend (SPD) vertrat die Ansicht, wenn die Stadt das anders angepackt hätte, wäre es anders gelaufen. Tom Wolter (Mitbürger) kritisierte Alleingänge der Stadt, denn der nun vom OB erklärte Vergleich sei im Stadtrat und in den Ausschüssen nie Thema gewesen. Andreas Scholtyssek (CDU/FDP) ergänzte die Schelte: „Das gehört sich nicht!“ Der OB nahm die Anschuldigungen äußerlich gelassen hin und erklärte gelassen, dass die Stadt weiter verhandlungsbereit ist. Es habe bereits Verhandlungen gegeben, doch dann sei der SKV plötzlich mit dem Insolvenzverfahren gekommen.

Machtkampf auf dem Rücken der Kinder, Eltern und Erzieher?

Trillerpfeifen, Transparente, Tacheles – vor dem verbalen Schlagabtausch zwischen OB und Stadträten protestierten Eltern, Erzieher und Gewerkschaftsfunktionäre vor dem Stadthaus für den Erhalt des SKV. „Heute der SKV, morgen der nächste freie Träger“, „Hände(l) weg vom SKV“ und „SKV, weil Vielfalt gut tut“, war unter anderem zu lesen. Auch die Forderung des Tages stand auf einem Transparent: „Wir fordern von den Stadträten die Zustimmung zum Insolvenzplan der SKV Kita gGmbH“. Engagierte Hallenserinnen und Hallenser traten ans Mikrofon, um ihren Kindergartenbetrieb gegen die kampflose Übergabe an andere Träger zu verteidigen: Der Kampf um Sieg oder Kapitulation der SKV ist offenbar ein Streit zwischen Wiegand und Meerheim. Die SKV hat ein überzeugendes pädagogisches Konzept und führt für jedes Kind eine Mappe über die individuelle Entwicklung (Trägerphilosophie „Kein Kind bleibt hinter seinen Möglichkeiten zurück“, Anmerkung der Redaktion). Der Kontakt zu den Eltern ist gut. Warum überhaupt den Träger wechseln? Warum nicht bei dem Arbeitgeber bleiben, bei dem man sich wohlfühlt? Im Sommer gibt es keine Schließzeiten: Das ist Luxus für die Eltern, die selbst bestimmen können, wann sie Urlaub machen, und Hochleistung von den Erziehern. Sollte die SKV zerschlagen werden, wollen viele gehen, jedoch nicht zum neuen Träger Das und noch mehr war zu hören. Zwischendurch klatschten und lärmten die Anwesenden. Alle sollten hören, was da los ist.

Nach 20 Jahren Frieden wieder Wut auf die Stadt Halle

250 bis 300 Demo-Teilnehmer schätzte die Polizei und die Stadtverwaltung rechnete offenbar mit dem Schlimmsten, denn gleich acht blau uniformierte Ordnungskräfte verstopften den Zugang zum Stadthaus. Es wäre in Halle nicht das erste Mal gewesen, dass wütende Eltern den großen Saal stürmen, wo der Stadtrat tagt. Doch wie Hallelife vor Ort erfuhr, war das diesmal nicht der Plan. André Scherer, Leiter der Kita „Weingärten“ am Böllberger Weg, versicherte das, nachdem er selbst eine Rede gehalten hatte. In seiner Rede erinnerte er daran, dass die SKV Kita in diesem Jahr 20 Jahre alt wird. Vor 20 Jahren waren die Erzieher schon einmal wütend auf die Stadt Halle. Diese Wut komme nur wieder hoch. Damals Anfang der 1990er Jahre ging es um Kita-Schließungen und Stellenabbau. Erzieher gingen direkt von der Schule in die alten Bundesländer. Die Gründung des SKV bot die Chance zu bleiben. „Ein aus sozialer Sicht mustergültiges Unternehmen entstand: tarifliche Vergütung, 13. Gehalt, Betriebsrente, Leistungsentgelt und ein funktionierender Betriebsrat!“ Die SKV habe früh Qualitätsmaßstäbe gesetzt und sich um das Arbeitsklima gekümmert, was zu einem großen Teil das Verdienst der beiden Geschäftsführer (Elke Schwabe und Bodo Meerheim) sei. Im Ergebnis sei die Personalfluktuation niedrig und das Interesse der Berufseinsteiger groß. Nun gehe es offenbar darum, das Erfolgsmodell zu zerstören. Der Abbau sozialer Errungenschaften drohe. Die Belegschaft (250 Erzieher) könne spielend neue Arbeitgeber finden, aber sie wolle einfach nur den Bestand der SKV. Die Stadt trage eine Mitschuld an der entstandenen Situation. Die freien Träger hätten sich bei ihren Finanzplanungen an einer Richtlinie der Stadt orientiert. Die SKV habe der Stadt gleichwohl ein Vergleichsangebot zu den Rückforderungen von rund 1,3 Millionen Euro gemacht.

Lob für die SKV Kita, Schelte für die Tageszeitung

Marcel Pytka, Leiter der Kita „Schafschwingelweg“ in Heide-Nord, hielt auch eine flammende Rede und erklärte, was die SKV so wertvoll macht: das „Band tiefer Vertrautheit“ zwischen Eltern, Mitarbeitern und Kindern, die gelebte Vielfalt an Erfahrungen, Einstellungen und Kompetenzen, die vorbildhafte Förderung von Kindern und Mitarbeitern. Er sprach aus eigener Erfahrung: „Seit 2008 halte ich ganz bewusst einem Unternehmen die Treue, dass auch dann schon an mich geglaubt hat, als andere Unternehmen nicht einmal die Briefmarke ausgeben wollten, um mir meine Bewerbungsmappe zurück zu senden.“ Denn die gewünschte Fachkraft musste im Fall Pytka erst ausgebildet werden. „Wenn wir also vom SKV sprechen, und in den Medien der Eindruck erweckt wird, als würde es sich im Falle einer Zerschlagung des Unternehmens um das Austauschen des Klingelschildes handeln, dann wissen wir, das ist eine Lüge.“ Die Presseschelte galt der ortsansässigen Tageszeitung, die tendenziös, negativ und fern jeder Objektivität berichtet habe. „Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Eltern gegen die Zerschlagung ihres Unternehmens protestieren, dann muss es dafür gute Gründe geben. Und ja, wir stehen fest zu unserer Geschäftsführung.“

Inzwischen liegt seitens der SKV ein vierter Insolvenzplan vor. Am 2. Februar 2017 ist dazu eine Gläubigerversammlung im Amtsgericht angesetzt.