Luftballons, Seifenblasen und Tröten im Gottesdienst

von 23. Oktober 2010

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“Sie sind hier richtig” – angesichts bunt gekleideter Menschen, die lauter Schabernack trieben, musste Propst Martin Herche aus dem evangelischen Sprengel Halle-Wittenberg erstmal klarstellen, dass das tatsächlich ein Gottesdienst ist. Seifenblasen stiegen auf, Tröten waren zu hören, Menschen hatten rote Nasen auf und bunte Haare, Luftballons platzten. Denn in der Laurentiuskirche in Halle (Saale) erlebte an diesem Wochenende das Kirchenclowntreffen seine Premiere. Es war das erste bundesweit. Und so kamen natürlich auch die Clowns aus dem ganzen Bundesgebiet. “Es ist uns eine große Ehre, dass Sie sich Halle ausgesucht haben”, so Herche in seiner Begrüßung.

Halle – das kommt nicht von ungefähr. Denn die Idee dazu hatte Clown Leo, mit bürgerlichem Namen Steffen Schulz. Seit elf Jahren ist er Clown, bringt Kinder und auch Erwachsene zum Lachen. "Es geht uns um eine Standortbestimmung der Kunstform Kirchenclownerie, es geht um Qualität und Standards, es geht um die gesellschaftliche und kirchliche Auseinandersetzung im Blick auf Kirche und Clownerie", erläutert Schulz die Hintergründe der Veranstaltung, zu der Kara Huber, die Gattin des ehemaligen EKD-Vorsitzenden, als Schirmherrin gewonnen werden konnte. “Clowns sind nicht grundlos glücklich”, sagt Huber. “Sie bringen Menschen zu lachen in Situationen, in dem einem nicht zum Lachen zumute ist” Der verlorenste Tag sei der, an dem man nicht lache.

“Darf man in der Kirche lachen? “, diese Frage warf der katholische Bischof Gerhard Feige in seiner Predigt zum Abschluss der Kirchenclown-Tagung auf. Nicht von ungefähr, gelten Gottesdienste doch nicht unbedingt als Ort des Lachens. In den Kirchen gehe es meist ernsthaft zu. Und im Neuen Testament findet sich auch kein Hinweis darauf, dass Jesus je gelacht hat. Sämtliche anderen Gefühlsregungen von ihm sind jedoch beschrieben, erläuterte Dr. Gisela Matthiae in ihrem Vortrag “"Wie fröhlich ist die Christenheit?”. Da war nicht immer so, wurde doch früher auch das Osterlachen in den Gotteshäusern zelebriert. “Und da ging es ganz schön deftig zu”, Matthiae. Selbst sexuelle Abspielungen waren durchaus Thema. Das wiederum missfiel den Protestanten, bei denen es fortan gezügelter in den Gottesdiensten zuging. Martin Luther nannte den Brauch “närrisch lächerliches Geschwätz”. Und da sind wir schon bei der anderen Seite: Zeiten, in denen kirchliche Würdenträger das Lachen gar verbieten wollten. Gelächter wurde auf eine Stufe wie Sünde, Trieb und Frauen gestellt.

Auf Seite 2 finden Sie die Predigt von Bischof Feige

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Darf man in der Kirche lachen? Manche werden dieser Frage spontan zustimmen – bei anderen löst sie eher Befremden aus. Meistens geht es in den Kirchen recht ernsthaft und nicht unbedingt munter zu. „Gut Ding braucht Weile“ – so spötteln darum auch einige – „und kirchlich Ding braucht Langeweile“. Scheinen Humor und Glaube sich nicht geradezu auszuschließen? Geht es doch beim Glauben um die großen Fragen des Lebens: um Geborenwerden und Sterben, um Sünde und Schuld, um Schöpfung und Erlösung, um Ethik und Moral, um Gott und die Welt. Kann einem da zum Lachen zumute sein? Und außerdem: Hat Jesus jemals gelacht? Soviel wir auch suchen, im Neuen Testament finden wir keine Stelle, in der das direkt belegt wäre.

Ist der christliche Glaube also eine zu schwer wiegende Angelegenheit, als dass er auch Lachen auslösen könnte oder wir ihn uns durch Lachen leichter machen dürften?

Ein besonders drastischer Zeuge dieser Auffassung ist die Gestalt des blinden Bibliothekars Jorge (gesprochen: „Chorche“ –„ch“ wie in „Ach“) von Burgos in Umberto Ecos Roman „Der Name der Rose“. Jener greise Mönch hütet nämlich in seiner Klosterbibliothek ein Exemplar des verlorengegangenen „Zweiten Buches der Poetik“ des Aristoteles, in dem die Komödie behandelt wird. Dieses Buch hält der Mönch wegen seines dramatisch-heiteren Inhalts für so gefährlich, dass er lieber zum Verbrecher wird, als dass er es in die Hände anderer fallen lässt. Denn, so sagt er: „Lachen tötet die Furcht. Und ohne Furcht kann es keinen Glauben geben.“

1. Gott und das Lachen

Doch gerade dieser Satz steht im direkten Gegensatz zur biblischen Botschaft. „Furcht gibt es in der Liebe nicht“, so heißt es im 1. Johannesbrief, „sondern die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht“ (4,18). So gesehen, wäre das Lachen, das die Furcht tötet, ein besonders geeigneter Zugang zu Gott, eine Hilfe, ihn tiefer lieben zu können. Und umgekehrt gilt: es ist gerade die Liebe zu Gott, die dazu führen kann, das Leben leichter zu nehmen. Wer sich nämlich in ihm geborgen weiß und eine Zukunft sieht, muss sich nicht in der Gegenwart verbeißen und alles bitterernst nehmen.

In der Tat ist die Bibel voll von humorvollen und geradezu komischen Erzählungen. Vor allem im Alten Testament gibt es viele Stellen, die die Leser ganz bewusst zum Lachen reizen. Ich denke dabei z.B. an den störrischen Propheten Jona, den es ärgert, dass die Einwohner von Ninive seine Bußpredigt ernst nehmen, sich wirklich bekehren und bei Gott Gnade finden. Mir fallen in diesem Zusammenhang auch Sara und Abraham ein, die beide lachen müssen, als sie hören, dass Sara in ihrem Alter noch ein Kind gebären soll (Gen 17,17; 18,12). In solchen Geschichten durchbricht Gott die menschlichen Erwartungen; das Lachen, das er provoziert, schenkt eine heilsame Distanz zu allzu festgefahrenen Ordnungen und öffnet den Blick für neue Möglichkeiten.

In gewisser Weise wird das auch beim Ostergeschehen deutlich. Im Mittelalter hat sich die Freude über die Auferstehung Jesu sogar in einem eigenen Brauch niedergeschlagen: dem sogenannten Osterlachen, dem „risus paschalis“. Zu diesem Brauch gehörte es, die Gottesdienstgemeinde in der Osterpredigt oftmals sogar recht deftig zum Lachen zu bringen. Schließlich hat ja das Leben den Tod besiegt, der sich – wie man es deutete – an Christus „verschluckt“ und damit lächerlich gemacht hat.

Diese tiefe Lebensbejahung hat auch dazu geführt, dass es in der Geschichte der Kirche immer wieder „lachende Heilige“ gab und gibt. Besonders ausgeprägt war dies z. B. bei Philipp Neri oder bei Franz von Assisi. Beide hatten keine Angst davor, sich aus Liebe zu Gott „zum Narren zu machen“. Und die französische Sozialarbeiterin Madeleine Delbrêl, eine moderne Heilige, ist davon überzeugt, dass Gott gerade die Narren und die Gaukler besonders liebt:

„Denn ich glaube, “, so schreibt sie in einem Gedicht, „du hast von den Leuten genug,

Die ständig davon reden, dir zu dienen – mit der Miene von Feldwebeln,

Dich zu kennen – mit dem Gehabe von Professoren,

Zu dir zu gelangen nach den Regeln des Sports,

Und dich zu lieben wie man sich in einem alten Haushalt liebt.

Eines Tages, als du ein wenig Lust auf etwas anderes hattest,

hast du den heiligen Franz erfunden und aus ihm deinen Gaukler gemacht…“1

2. Wie die Kinder

Gott liebt die Narren und die Gaukler. Sicher sind ihm auch die Clowns nahe. Warum? Vermutlich deshalb, weil sie auf ihre Art Verkrustungen aufbrechen und den Blick weiten. Sie halten sich nicht an Regeln und Ordnungen, und niemand nimmt ihnen das übel. Es gelingt ihnen, auch bittere Wahrheiten einfühlsam zu vermitteln. Mit feinem Gespür bringen sie auf den Punkt, wo es Schwachstellen gibt: wenn sich Menschen z.B. besonders wichtig nehmen und darum streiten, wer den höchsten Rang hat oder wer – wie wir es im heutigen Evangelium gehört haben – im Himmelreich der Größte sein wird. Ein Clown oder ein Clownin bringen es fertig, Peinlichkeiten und menschliche Schwächen so darzustellen, dass allen klar ist, worum es geht – ohne dass jemand lächerlich gemacht wird. Spielerisch und erheiternd lassen sich Missstände auf diese Weise durchschauen. Das kann sensibilisieren und zu tieferem Nachdenken anregen; das kann dazu führen, sich gläubiger auf die ganze Wirklichkeit einzulassen.

Gott liebt die Narren und die Gaukler. Sie trauen Bildern einer anderen Welt; sie leben ihre Träume; sie sind davon überzeugt, dass das Unmögliche möglich werden kann. Damit sind Clowns auch kindlich in dem Sinne, wie es Jesus bei verschiedenen Anlässen immer wieder hervorhebt. So zu sein wie ein Kind – sagt Jesus – ist die einzige Möglichkeit, in Gottes Wirklichkeit einzutreten. Warum sollte es aber gut sein, zu mehr Kindlichkeit zurückzukehren? Auf keinen Fall wird ja wohl gemeint sein, wieder kindischer zu werden. Was ist an einem Kind so besonders? Nach seiner Geburt ist es lange Zeit hilflos und völlig auf andere angewiesen. Es provoziert durch seine Fähigkeit, sich wundern zu können und zu staunen; es provoziert aber auch dadurch, dass es aufrichtig, ehrlich und von erfrischender Naivität auf Menschen und Dinge zugehen kann. „Warum darf ich nicht böse sein? Warum musste mein Hamster sterben? Warum habe ich eigentlich keinen Papa?“ Solche ständigen „Warum-Fragen“ können Erwachsene ganz schön verlegen machen und nerven; sie können aber auch zu heilsamen Überlegungen führen. Oftmals schafft ein Kind sich auch seine eigene Welt und ist davon überzeugt, dass alles möglich ist. Indem Jesus so ein Kind in die Mitte stellt, bringt er eine neue Sicht auf die Wirklichkeit ins Spiel. Er zeigt, welche Grundhaltung nötig ist, wenn wir das Leben gewinnen wollen.

Gott liebt die Narren und die Gaukler. Sie verkörpern die Umkehr, um die es Jesus geht. Sie sind „wie die Kinder geworden“. In ihnen spiegeln sich die unerschöpflichen Möglichkeiten Gottes wider. Sie helfen uns, die Spannung zwischen unserer alltäglichen Wirklichkeit und dieser Verheißung auszuhalten. Sie können inner- wie außerkirchlich dem Evangelium zu neuer Attraktivität verhelfen.

3. Clowns für die Welt

Zu meinen Kindheitserinnerungen gehört auch, dass Clowns mehr als Spaßmacher sind; neben einem lachenden Auge gab es auch das weinende. Und wenn ich das Lied „O mein Papa, war eine wunderbare Clown“ höre, kommt in mir eine gewisse Melancholie auf, verbinde ich damit die Vorstellung von einem tiefgründigen Künstler, aber auch einer irgendwie tragischen Gestalt. Ist das nicht aber auch die Rolle, die in unserer modernen Gesellschaft überzeugten und engagierten Christen immer mehr zuwächst?

Manche von Ihnen kennen vielleicht folgende „Wandergeschichte“. Sie stammt von Kierkegaard, wurde dann von Harvey Cox in seinem Buch „Stadt ohne Gott“ aufgegriffen und erschien schließlich auch Josef Ratzinger als so aussagekräftig, dass er sie an den Anfang seiner „Einführung in das Christentum“ stellte. Darin wird von einem Zirkus erzählt, der in Brand geraten war. Der Direktor schickte darauf den Clown, der schon zur Vorstellung gerüstet war, in das benachbarte Dorf, um Hilfe zu holen. Das geschah nicht nur eigennützig, denn es bestand die Gefahr, dass über die abgeernteten, ausgetrockneten Felder das Feuer auch auf das Dorf übergreifen würde. Der Clown eilte in das Dorf und bat die Bewohner, sie möchten eiligst zu dem brennenden Zirkus kommen und löschen helfen. Aber die Dörfler hielten das Geschrei des Clowns lediglich für einen ausgezeichneten Werbetrick, um sie möglichst zahlreich in die Vorstellung zu locken; sie applaudierten und lachten bis zu Tränen. Dem Clown war mehr zum Weinen als zum Lachen zumute. Er versuchte vergebens, die Menschen zu beschwören, ihnen klarzumachen, dies sei keine Verstellung, kein Trick, es sei bitterer Ernst, es brenne wirklich. Sein Flehen steigerte nur das Gelächter; man fand, er spiele seine Rolle ausgezeichnet – bis schließlich in der Tat das Feuer auf das Dorf übergegriffen hatte und jede Hilfe zu spät kam. Dorf und Zirkus verbrannten gleichermaßen.

Ich glaube, dass so etwas traditionellen Verkündern des Evangeliums wie auch modernen Kirchenclowns passieren kann: in eine Rolle eingeordnet und gleichsam etikettiert zu werden. Wie wir uns auch gebärden und auf durchaus sehr unterschiedliche Weise den Ernstfall darzustellen versuchen, man meint eben immer schon zu wissen, was wir ins Spiel bringen und dass dies mit dem richtigen Leben nur wenig oder gar nichts zu tun hat. Man schätzt uns vielleicht noch als „Himmelskomiker“, lässt sich durch uns aber nicht wirklich beeindrucken. Insofern unterscheiden sich Clowns und Theologen manchmal gar nicht so sehr: wir sitzen gewissermaßen im selben Boot, erscheinen allesamt irgendwie kurios und werden – wenn wir nicht das Evangelium verraten und in der Welt aufgehen wollen – von dieser Rolle kaum loskommen. Der christliche Glaube wird für viele eine Narretei bleiben, von der man sich nicht übertölpeln lassen will.

Und was ist nun die frohe Botschaft von alledem? Kurz zusammengefasst könnte sie lauten: Lachen tötet die Furcht und befreit. Es gehört unlösbar zu unserem christlichen Glauben und ist ein Ausdruck der Freude am Leben und auf das, was uns danach erwartet. Wenn es uns noch mehr gelänge, wieder wie Kinder zu sein, könnten wir auch das Himmelreich besser erkennen, erlangen und verdeutlichen. „Du sollst ein Segen sein.“ Diese Verheißung gilt auch uns. Vertrauen wir darauf, dass sie mit Gottes Hilfe und durch unsere ernsthaften oder heiteren Bemühungen zur Verbreitung des Evangeliums auch immer wieder wahr wird. Und mögen wir selbst gesegnet sein und das Leben in Fülle erlangen.