Mehr rechte und linke Straftaten

von 10. Juli 2012

Sachsen-Anhalts Landesregierung hat am Dienstag den Verfassungsschutzbericht 2011 zur Kenntnis genommen. Bei der Vorstellung des Berichts betonte Innenminister Holger Stahlknecht, dass der Rechtsextremismus nach wie vor eine große Gefahr für die Demokratie darstelle. „Wie bedrohlich diese Gefahr tatsächlich ist, wurde uns im vergangenen Jahr mit Bekanntwerden der Verbrechen der rechtsterroristischen Vereinigung Nationalsozialistischer Untergrund schmerzlich bewusst.“Die Generalbundesanwaltschaft führt die strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU). Der Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt unterstützt die Ermittlungen. Laut Stahlknecht sind Verbindungen von Rechtsextremisten aus Sachsen-Anhalt zum NSU bislang nicht bekannt geworden.Im Bereich des parteigebundenen Rechtsextremismus ist in Sachsen-Anhalt allein die NPD maßgebend. Ihr gehören rund 250 Mitglieder an, was dem Niveau der Vorjahre entspricht. So konnte die NPD im Land weder von der Fusion mit der Deutschen Volksunion auf Bundesebene noch von der von ihr selbst geschaffenen Wahlkampfeuphorie bei der Landtagswahl 2011 profitieren.Auch wenn laut Stahlknecht die Aktivitäten der Partei mit dem verfehlten Einzug in den Landtag Sachsen-Anhalt hierzulande merklich zurück gingen, ist sie auf Bundesebene die mitgliederstärkste rechtsextreme Partei und verfügt über mehrere hundert Sitze in kommunalen Gremien. „Das spiegelt ihre regionale Verwurzelung wider, die der Partei auch als Grundstock für den von ihr angestrebten Ausbau dienen soll. Dem müssen wir mit allen verfügbaren Mitteln unseres Rechtsstaates entgegentreten. Die zurzeit laufende Materialsammlung für die Prüfung eines möglichen NPD-Verbotsverfahren ist ein Beispiel dafür.“Im Bereich des Linksextremismus sind ebenfalls Anstiege zu verzeichnen. So erhöhte sich zum einen das linksextremistische Personenpotenzial auf rund 520 Personen und zum anderen das durch diesen Personenkreis verübte Straftatenaufkommen um knapp 50 Prozent. Als Angriffziel stehen vor allem Rechtsextremisten im Fokus. Aber auch die Hemmschwelle gegenüber Polizisten ist gesunken. Immer wieder geraten Polizeikräfte zwischen die Fronten und werden von gewaltorientierten Linken als eigenständige Angriffsziele ausgemacht.„Auch wenn die Bestrebungen der Linksextremisten sich regional und überregional zu vernetzen oftmals nur anlassbezogen und nur in Teilen auf Dauer angelegt sind, warne ich ausdrücklich davor, diesen Phänomenbereich zu unterschätzen. Egal in welcher Form Extremismus auftritt – die Ideologie dahinter richtet sich immer auf die Beseitigung unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Dieses hohe Gut gilt es zu schützen“, betonte Innenminister Holger Stahlknecht.  Die wichtigsten Themenbereiche im Einzelnen:RechtsextremismusIm Vergleich zu den Vorjahren blieb das rechtsextremistische Personenpotential nahezu unverändert. Die Anzahl der subkulturell geprägten gewaltbereiten Rechtsextremisten verringerte sich auf nunmehr 760 Personen (2010: 800). Hingegen wuchsen neonazistische Gruppierungen an. Für das Berichtsjahr wurden 290 Neonazis gezählt.Durch die Bildung lokaler neonazistischer Strukturen, wie zum Beispiel so genannte Aktionsgruppen (AG) vornehmlich im südlichen Sachsen-Anhalt, wurden Personen aus dem Lager der subkulturell geprägten Rechtsextremisten herausgebrochen und an neonazistische Gruppen gebunden. Der parteigebundene Rechtsextremismus ist im Wesentlichen von der „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD) geprägt.Im Jahr 2011 wurden im Land Sachsen-Anhalt 1.431 politisch motivierte Straftaten – rechts – gezählt. Davon waren 975 Propagandadelikte, 364 sonstige politisch motivierte Straftaten und 92 Gewaltdelikte. Die Straftaten nahmen um gut 22 Prozent im Vergleich zum Jahr 2010 zu. Es wird hier ein Anstieg von 1.176 auf 1.431 Taten – ein Plus von 255 Taten gegenüber dem Vorjahr [4] verzeichnet. Im Berichtsjahr stieg die Zahl der Gewalttaten um 15 Prozent (2011: 92 Delikte, 2010: 80 Delikte [5], die der sonstigen politisch motivierten Straftaten um 82 Prozent und die Propagandadelikte um fast 9 Prozent. Neben den Propagandadelikten waren Sachbeschädigungen mit 181 Straftaten (81 im Vorjahr), Volksverhetzungen mit 98 Straftaten (59 im Vorjahr) und Köperverletzungen mit 76 Straftaten (65 im Vorjahr) die häufigsten Delikte.Im Berichtsjahr haben rechtsextremistische Konzertveranstaltungen wieder zugenommen, so wurden in Sachsen-Anhalt zwölf Konzerte (2010: sieben) durchgeführt. Die Anzahl rechtsextremistischer Veranstaltungen mit Musikdarbietungen sank auf zwei Veranstaltungen (2010: fünf).Rechtsextremisten nutzen erneut allgemeine Gedenktage wie den 1. und 8. Mai, den 17. Juni und den Volkstrauertag sowie die Jahrestage des Bombardements deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg, um diese im Sinne ihrer Propaganda umzudeuten und entsprechende Veranstaltungen durchzuführen. Darüber hinaus entfalten sie wie auch in den Vorjahren Aktivitäten zu Geburts- und Todestagen von Nationalsozialisten.Im Berichtsjahr neu in Erscheinung getreten ist eine Demonstrationsform unter dem Motto „Die Unsterblichen”. Mit einer Mischung aus martialischen und mystischen Elementen zeigten sich Rechtsextremisten in dunkler Kleidung, mit weißen Masken vermummten Gesichtern, Pyrotechnik und Fackeln. Hier wird versucht, die Bevölkerung zu verunsichern und eine allgegenwärtige Präsenz zu dokumentieren. Wegen ihres Eventcharakters scheinen diese Aktionen eine besondere Anziehungskraft auf Jugendliche auszuüben. LinksextremismusDas linksextremistische Personenpotenzial ist im Jahr 2011 angestiegen. Es umfasst etwa 520 Personen (2010: 480). Darunter sind 230 Autonome. Das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt registrierte für das Berichtsjahr 385 politisch motivierte Straftaten -links-. Dies bedeutet gegenüber dem Vorjahr (262 Delikte) einen Anstieg von 47 Prozent. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil der politisch motivierten Gewalttaten um 11 Prozent (2011: 61 Delikte, 2010: 55 Delikte).Schwerpunktregion der etwa 230 Personen umfassenden Autonomenszene in Sachsen-Anhalt ist nach wie vor die Landeshauptstadt Magdeburg mit den Aktivitäten der Gruppierungen „Zusammen Kämpfen“ (ZK) und „Jugend Antifa Magdeburg“. Als Schwerpunkte ihrer politischen Arbeit benennen diese den „Antifaschismus“ und die „Antirepression“.Die Hemmschwelle der Autonomen gegenüber den bei Demonstrationen eingesetzten Polizisten ist weiter gesunken. Immer wieder geraten Polizeikräfte zwischen die Fronten und werden mittlerweile als eigenständige Angriffsziele wahrgenommen.Die linksextremistischen Parteien „Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands“ (MLPD), „Deutsche Kommunistische Partei“ (DKP) und „Kommunistische Partei Deutschlands“ (KPD/Ost) als revolutionär-marxistische Organisationen unterhalten Strukturen in Sachsen-Anhalt in unterschiedlicher Ausprägung, konnten aber in den letzten Jahren nicht an Boden in der Gesellschaft gewinnen. Das spiegelt sich auch im Ergebnis der Landtagswahl wider. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von AusländernIm Rahmen der Beobachtung sicherheitsgefährdender und extremistischer Bestrebungen von Ausländern kommt dem Islamismus nach wie vor die größte Bedeutung zu. Die Bundesrepublik Deutschland ist als Teil des weltweiten Gefahrenraumes anzusehen und liegt im Zielspektrum terroristischer Gruppierungen. Islamisten verfügen über ein erhebliches Gewaltpotential.In Sachsen-Anhalt sind keine festgefügten Strukturen islamistischer Organisationen bekannt geworden. Allerdings gibt es Hinweise auf Einzelpersonen, die in Sachsen-Anhalt wohnen, aber strukturell in islamistische Gruppierungen, wie zum Beispiel die „Nordkaukasische Separatistenbewegung“ (NKSB), in anderen Bundesländern eingebunden sind.In Sachsen-Anhalt ist in Bezug auf nichtislamistische Organisationen im Bereich des Ausländerextremismus, von denen sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen ausgehen, lediglich die „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) mit eigenen Organisationsstrukturen aktiv. SpionageabwehrDas Streben einiger Staaten nach global wachsendem politischen, militärischen aber auch wirtschaftlichen Einfluss wird oftmals auch mit Hilfe der Nachrichtendienste befördert. Das hohe wissenschaftliche und technische Know-how unseres Landes weckt unverändert weltweit Begehrlichkeiten. Wirtschafts- und Wissenschaftsspionage durch fremde Nachrichtendienste hält weiterhin an. Hier sind vor allem chinesische und russische Aktivitäten hervorzuheben. „Der Bericht zeigt erneut deutlich, dass die Gefahren in Sachsen-Anhalt vor allem von den Rechtsextremisten ausgehen. Die Schwerpunkte bei der Arbeit unserer Verfassungsschutzbehörde sind deshalb auch richtig gesetzt. Auch wenn es seit den verlorenen Landtagswahlen in der Öffentlichkeit etwas ruhiger um die NPD im Land geworden ist, deren verfassungsfeindliche Ausrichtung hat sich nicht geändert und ihre organisatorische Basis ist kaum geschwächt“, erklärt Rüdiger Erben, innenpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion. Seine Fraktion werde sich deshalb weiterhin vehement für einen Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit NPD einsetzen. „Die Erkenntnisse aus dem Verfassungsschutzbericht 2011 geben erneut Anlass dazu. Wir erwarten, dass Prüfergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum NPD-Verbotsverfahren alsbald vorliegen.“ In diesem Zusammenhang äußerte sich Erben zudem zu den NSU-Untersuchungsausschüssen und zur zukünftigen Arbeit des Verfassungsschutzes: „Obwohl die Verfassungsschutzbehörde des Landes vom NSU-Komplex eher kaum betroffen ist, wird die bundesweite Diskussion nicht spurlos an ihr vorübergehen können. Das gemeinsame Abwehrzentrum Rechtsextremismus der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern ist nur ein erster Schritt zur Verbesserung des Informationsaustauschs. Das V-Mann-System muss ebenso kritisch hinterfragt werden, wie Wege zu einer effektiveren parlamentarischen Kontrolle der Verfassungsschutzbehörde. Das alles sind Schritte, um das bundesweit angekratzte Vertrauen der Bevölkerung in den Verfassungsschutz wieder aufzubauen.“