Neue Stolpersteine in Halle

von 27. Oktober 2010

Auch in Halle (Saale) hat die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten ihre Spuren hinterlassen. Die Synagoge wurde abgebrannt, jüdische Geschäfte geplündert. Juden, Zeugen Jehovas, Andersdenkende, Homosexuelle oder Kritiker des Regimes wurden auch in der Saalestadt systematisch verfolgt und oftmals ermordet. Besonders getroffen wurde die Jüdische Gemeinde durch das Nazi-Regime. Rund 1000 Mitglieder gab es noch 1933, nach Kriegsende gerade einmal noch 27. Am Freitag wird der Kölner Künstler Gunter Demnig in Halle (Saale) erneut Stolpersteine in Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus verlegen.

So zum Beispiel vor der Villa in der Rudolf-Ernst-Weise-Straße 20. Dort lebte einst die Unternehmerfamilie Schloß. Die 1942 nach Theresienstadt deportierte und dort ermordete Elise Ney wohnte in der Maybachstraße 2. In der Kleinen Brauhausstraße 7 wird an die ermordete Familie Mühlbauer (Edith, Jehoshua, Mendel Moshe und Sala-Ruda). Verlegt werden in der Puschkinstraße 30 Stolpersteine für den Apotheker Theodor Weiß und seine Ehefrau Charlotte, die ebenfalls im KZ umkamen. Nathan Frankenberg wohnte in der Feuerbachstraße 74 und wurde am 19. September 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo er ein halbes Jahr später starb. Auch vor dem Nachbarhaus 75 sowie in der Magdeburger Straße 28 und 30 (Familien Oppenheim und Holzmann) werden vom Kölner Künstler Gunter Demnig Gedenksteine verlegt.

Am Abend um 19.30 Uhr im Stadtmuseum gibt es eine Lesung mit Ilse Doerry aus dem Buch „Mein verwundetes Herz – Das Leben der Lilli Jahn 1900-1944“, das ihr Sohn Martin herausgebracht hatte und über seine in Auschwitz umgekommene Großmutter, also Ilses Mutter, berichtet. Lilli Jahn studierte in Halle einige Semester Medizin und lebte in dieser Zeit bei ihrer Großmutter in der Königstraße 62, der heutigen Rudolf-Ernst-Weise-Straße 20. Zwischenzeitlich wollte sie die Kinderarztpraxis ihres Onkels Josef Schloß in Halle übernehmen, dazu kam es aber nicht. Das Leben der Ärztin Lilli Jahn ist beispielhaft für die deutsch-jüdische Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dem jüdischen bildungsbürgerlichen Milieu in Köln entstammend, entschließt sich Lilli Schlüchterer, gegen Widerstände den protestantischen Arzt Ernst Jahn zu heiraten. Die große Familie mit fünf Kindern lebt in Frieden in Immenhausen bei Kassel, bis die politischen Auswirkungen der nationalsozialistischen Politik auch das Leben der Jahns grundlegend verändern. Der Riss zwischen Deutschen und Juden geht mitten durch die Familie, Ernst Jahn lässt sich von Lilli scheiden und liefert sie schutzlos der nationalsozialistischen Verfolgung aus. 1943 wird Lilli Jahn in ein Arbeitserziehungslager gebracht und beginnt eine lange, intensive Korrespondenz mit ihren nun auf sich selbst gestellten Kindern. Die Überlieferung der Briefe grenzt an ein Wunder: Es gelang Lilli Jahn, sie vor der Deportation nach Auschwitz einer Aufseherin anzuvertrauen, die sie dann den Kindern übergab. 1998, als der Sohn von Lilli, Gerhard Jahn, Bundesjustizminister im Kabinett Willy Brandts, starb, fand die Familie den kompletten Briefwechsel in seinem Nachlaß. Der Enkel Martin Doerry hat eine Auswahl getroffen und die Briefe mit zeitgeschichtlichen Hintergrundinformationen zu einem großen Lebensporträt zusammengestellt.