Neustädter klagen über Schandflecke

von 19. November 2009

Der Kulturtreff in Halle-Neustadt war gut gefüllt am Donnerstagabend. Stadtverwaltung und der Halle-Neustadt-Verein hatten zu einem gemeinsamen Bürgerforum eingeladen. Das sollte zwar unter dem Motto “Stadtumbau” stehen, doch äußerten die Neustädter auch einige andere Sorgen.

Viel hat sich in den letzten Jahren schon in der einst eigenständigen Stadt getan. 55 Prozent aller Wohnungen seien voll-, 33 Prozent teilsaniert. “Halle-Neustadt ist ein lebenswerter Stadtteil”, so Jochem Lunebach, Leiter des Stadtplanungsamtes. Der Stadtteil habe an Lebensqualität hinzugewonnen. Die Straßenbahn als wichtiges Stadtentwicklungsprojekt ermögliche es, in zwölf Minuten am Bahnhof zu sein.

Aber Neustadt hat viele Probleme. 90.000 Menschen wohnten 1990 in der früheren Chemiearbeiterstadt. Heute sind es nur noch halb so viel. “Und wir müssen weiter mit Schrumpfung rechnen”, erklärte Lunebach. Das heißt auch, der Abriss geht weiter. Eine Frage, die viele Einwohner beschäftigt. Immerhin, die Halle-Neustädter Wohnungsgenossenschaft will ihren Wohnungsbestand in der Soltauer Straße 2011 sanieren. Es laufen Gespräche mit einem Investor, war zu vernehmen. Die Blöcke in der Ülzener Straße hingegen werden auf kurz oder lang abgerissen. Heftige Proteste gab es vor einiger Zeit im Braunschweiger Bogen. Dort sollte in großem Maße abgerissen werden. Das konnten die Mieter zunächst noch verhindern. Die GWG sieht im Standort keine Zukunft mehr, das wurde am Donnerstag deutlich. Das kommunale Wohnungsunternehmen will sich von den Häusern trennen. Ein Verkauf sei vorgesehen, so ein Vertreter der GWG. Aktuell gebe es in Neustadt noch 31.400 Wohnungen, erläuterte Guido Schwarzendahl vom Bauverein Halle & Leuna. 5.000 davon stünden leer. Dabei seien allein in diesem Jahrzehnt fast 4.000 Wohnungen abgerissen worden, weitere 1.000 würden noch folgen. Die Leerstandsquote liege aktuell bei 17 Prozent. Ohne Abriss wäre diese Quote auf 30 Prozent geklettert. Aber es sollen auch weitere Wohnungen saniert werden. 2500 seien dafür vorgesehen. Als gutes Beispiel wurde das GWG-Projekt im Oleanderweg genannt. Aus einem simplen Plattenbau werden hier Stadthäuser gemacht. 64 der 81 Wohnungen seien schon definitiv vermietet, für alle anderen gebe es Reservierungen. Attraktiv machen die Häuser vor allem die unterschiedlichen und großzügigen Grundrisse. Es gebe 18 unterschiedliche Größen und Grundrisse der Wohnungen. Gewünscht wurde sich von mehreren Anwohnern, dass weitere Plattenbauten auf diese Weise aufgewertet werden. Sicher wünschenswert, doch fehlen dafür die finanziellen Mittel.

Ein Dorn im Auge sind vielen Neustädtern die zahlreichen Schandflecke. Die wohl schon von weitem sichtbarsten sind das ehemalige Datenverarbeitungszentrum, die Scheibenhochhäuser sowie ein leerstehender Wohnblock an der Magistrale. Für das DVZ bahne sich laut Lunebach eine Lösung an. Bis spätestens 2011 soll das Haus an der Nietlebener Straße abgerissen werden. Man sei mit dem Eigentümer bereits in engem Kontakt. Städtebaulich notwendig seien die Scheibenhochhäuser. Für die Kaufkraft wäre zudem die Ansiedlung des Finanzamtes mit hunderten Beamten wichtig gewesen. Lunebach mahnte an, dass sich das Land nicht bei seiner eigenen Immobilie aus der Verantwortung stehlen kann. Der Stadtrat hatte ebenfalls einen mehrheitlichen Beschluss gefasst, gegen die Entscheidung des Landes zu protestieren. Wohl mit Erfolg. Zumindest gebe es aktuell wieder Gespräche um die Zukunft von Scheibe C. 20 Millionen Euro würde eine Sanierung kosten. Baudezernent Thomas Pohlack erinnerte daran, dass durch aktuellere Bauvorschriften an Hochhäusern zusätzliche Fluchtwege benötigt würden. Dies mache das Bauen so teuer. Allerdings zauberte Pohlack auch einen Kompromissvorschlag aus der Tasche. Der sieht eine Abstufung auf weniger Etagen vor. Einen Polstermarkt wollte ein Investor im früheren Bauarbeiterzentrum bauen. Das fand im Stadtrat keine Mehrheit, man befürchtete eine Kaufkraftverlagerung. Die leerstehenden Gebäude kommen nun trotzdem weg, versprach die Stadt. Der Investor will jetzt auf den Polstermarkt verzichten, nur noch eine Kaufhalle bauen. Ein leerer Plattenbau an der Magistrale beschäftigt auch schon seit langem die Neustädter. Jetzt soll der Block, der einer Firma aus Neuss gehört, im nächsten Jahr saniert werden. Altengerechtes Wohnen ist hier vorgesehen. Abgerissen werden soll hingegen der nördliche Tunnelbahnhof. Einst vorgesehen für ein Kunstprojekt stehen die Hallen seit Jahren leer. Die Bahn warte auf Fördermittel, war zu erfahren.

Ein Schandfleck ist für Manfred Müller aus der Stolberger Straße das einstige Haus der jungen Naturforscher. Immer wieder habe es hier gebrannt, mehrfach habe er dies schon dem Bürgerbüro gemeldet. Auch andere Anwohner ärgerten sich über das Gelände, auf dem ein Verein eine BMX-Strecke einrichten wollte. Die Stadt wartet auf Fördermittel und hofft, Ende 2010 einen Abriss realisieren zu können. Gerade bei Regen bilden sich an der Zscherbener Straße riesige Pfützen. Das ärgert die Anwohner. Immerhin will die Stadt im nächsten Jahr hier die Bushaltestellen behindertengerecht umbauen und dabei auch gleich den bemängelten Fußweg anpacken.

Andreas Schachtschneider brachte die Hochstraße in die Diskussion ein. Im HalleForum habe er am Samstag erstaunt von den Plänen der Verwaltung erfahren. Ein emotionsgeladenes Thema. “Wir sind verärgert”, schallte es aus dem Publikum. Baudezernent Thomas Pohlack verwies auf zurückgehende Verkehrszahlen. Das wurde von zahlreichen Besuchern im Publikum angezweifelt. Pohlack verwies darauf, dass der Stadtrat bereits 1995 einen schrittweisen Rückbau zum geeigneten Zeitpunkt beschlossen hatte. Und dieser Zeitpunkt könnte in fünf Jahren, wenn die Sanierung beider Brücken ansteht, sein. Könnte. Es sei nichts beschlossen, so Pohlack. Er versprach aber für 2011 ein Bürgerforum, bei dem man möglicherweise schon erste Alternativplanungen vorstellen könne.

Leerstehende und verwahrloste Schulgelände stören auch die ansonsten meist positive Entwicklung, kritisierten Neustädter. Genannt wurden die Richard-Horn-Schule und die einstige Fröbelschule. Das Grünflächenamt solle hier zumindest einmal für Ordnung sorgen. Andere Anwohner hatten gar alternative Vorschläge. Die Jugendlichen aus dem benachbarten Cliquentreff könnten ja mal anpacken und “was sinnvolles machen.”

Immer aktiv bei solchen Bürgerveranstaltungen ist auch Liane Lang, ehemalige Oberbürgermeisterin von Halle-Neustadt. Und kämpferisch wie einst in der SED zeigte sie sich. Die Scheiben-Hochhäuser seien wichtig. “Richard Paulick hat sich was dabei gedacht.” Die Stadt müsse mehr für Ordnung und Sauberkeit tun. Und auf die Integration von Ausländern achten. So solle sie verhindern, dass sich Ausländer in bestimmten Viertel konzentrieren.

Wurzelwerk hätte den Fußweg in der Ernst-Abbe-Straße arg beschädigt, war zu hören. Das Tiefbauamt kündigte Untersuchungen an. Ein weitere Anwohner regte den Ausbau der einstigen S-Bahn-Strecke zwischen Nietleben und Dölau als Radweg an – analog der einstigen Hafenbahntrasse. Doch genau das ist nicht möglich, so Stadtplaner Jochem Lunebach. Die Stadt habe versucht, die Strecke zu entwidmen. Weil es aber einen Verein gebe, der die Strecke als Museumsbahn betreiben möchte, sei der Antrag auf Entwidmung von Eisenbahnbundesamt abgeschmettert worden. Allerdings wisse man um die Notwendigkeit eines Radwegs und suche nach Alternativen. “Zur Förderung des Radverkehrs brauchen wir die Trasse.”

Für viele Millionen Euro wurde der Platz am Tulpenbrunnen umgestaltet. Unschön ist da noch das Gebäude des ehemaligen Blumenladens “Gerbera”. Eine Lösung ist aber in Sicht. Die GWG hat den Bau gekauft und will ihn abreißen. Fehlende Fuß- und Radwege in der Soltauer Straße vermisst Werner Löder. Gerade mit Blick auf die Seniorenheime in der Umgebung sei das unverständlich und führe zu gefährlichen Situationen, wenn Rollstühle auf der Straße unterwegs seien. Auch die Zukunft des Passendorfer Schlösschens interessierte die Besucher. Ein Investor hatte das Gelände gekauft. Zwar konnte die Stadt noch nichts genaues sagen, was hier geplant ist. Doch erste Baumaßnahmen würden zeigen, dass sich der Investor um sein Grundstück kümmert.

Jana Kirsch vom Quartiermanagement präsentierte noch eine interessante Auswertung einer Befragung in der Neustädter Passage. 17 Geschäfte und 123 Kunden hätten sich beteiligt. 7 Prozent der Kunden hätten der Passage das Siegel sehr gut gegeben, 68 weitere immerhin noch “gut”. Und 25 Prozent empfanden das Angebot als schlecht. Als Stärken wurden unter anderen ein Kinderspielplatz, kostenlose Parkplätze und viel Grün hervorgehoben. Bemängelt wurden hingegen Ordnung, Sauberkeit, uneinheitliche Öffnungszeiten und ungünstige Händlerstrukturen. So wurde die Häufung von Billiganbietern kritisiert. Kunden wünschen sich eine höhere Qualität der Geschäfte, eine bessere Auswahl, eine einladender Gestaltung der Schaufenster und mehr Veranstaltungen wie Konzerte oder Flohmärkte.