Neustädter Scheiben als Energieturm

von 25. Juli 2011

Seit drei Monaten ist Sachsen-Anhalts Bauminister Thomas Webel im Amt. Am Montag war er zum Antrittsbesuch in Halle-Neustadt. Und die hallesche Stadtverwaltung hat ihm gleich eine ganze Reihe an Problemen mit auf den Weg gegeben.

Ein wichtiger Punkt ist der Leerstand in Halles größtem Stadtteil. 4.000 Wohnungen wurden bereits abgerissen. „Wir brauchen weiterhin eine Abrissförderung auf dem jetzigen Niveau“, so Jochem Lunebach, Chef des Stadtplanungsamtes. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass Plattenbauten über Jahre leer stehen. Lunebach bemängelte zudem, dass sich derzeit nur die Wohnungsgenossenschaften und städtischen Wohnungsunternehmen am Stadtumbau beteiligen, nicht aber private Eigentümer. Man brauche eine Änderung des Baugesetzbuches, so Lunebach, um einen fairen Lastenausgleich zu erreichen. Er forderte zudem eine Lösung der Altschuldenproblematik.

Die Stadt setzt sich weiterhin für eine Nutzung der fünf Hochhausscheiben ein, von der derzeit nur eine belegt ist. „Sie prägen das Bild des Stadtteils und sind der geografische Mittelpunkt“, so Lunebach. Abriss – bis zu 2 Millionen Euro pro Scheibe würde der kosten, sei eine falsche Lösung, so Lunebach. Er sprach sich für eine wirtschaftliche und technische Machbarkeitsstudie aus. Die Stadt will die Scheiben jedoch nicht mehr als Wohn- oder Bürohaus, sondern als Energieturm und Lagerhaus nutzen. Möglich wäre auch eine Nutzung für Freizeitzwecke, beispielsweise als Kletterturm. Mindestens die Unterhaltungskosten sollen auf diese Weise wieder eingespielt werden. Etwa 40.000 Euro würde solche eine Studie kosten, so Lunebach. Er hofft auf eine finanzielle Übernahme durch das Land, dem eine Scheibe gehört. Minister Webel sagte zumindest zu, mit Finanzminister Jens Bullerjahn über die Thematik zu sprechen. Lunebach mahnte an, dass eine Lösung dringend geboten sei. Die Hochhäuser seien in einem bautechnisch schwierigen Zustand, baurechtliche Verfügungen drohen, weil bereits Fassadenteile in die Tiefe stürzten. Den Anfang soll das Land vor allem machen, damit davon eine Signalwirkung für die anderen Eigentümer – vie der fünf Scheiben sind in Privatbesitz – ausgeht. Auch Jana Kozyk, Geschäftsführerin des Wohnungsvermieters GWG, fordert dringend eine Lösung des Problems. „Man gruselt sich, wenn man dort lang geht“, sagte sie. Außerdem würden die leerstehenden Scheiben einen schlechten Blick auf das sanierte Zentrum Neustadts werfen.

Ein wichtiger Punkt für Jana Kozyk ist zudem die Grundwasserhaltung, schließlich stand auch in einigen Kellern des Vermieters das Wasser. „Wir brauchen hier schnellstens eine Lösung.“ Das sieht auch Martin Heinz vom Tiefbauamt so. Die Brunnengalerie mit ihren 130 Brunnenstuben sei technisch abgeschrieben und laufe auf Verschleiß. 200.000 Euro koste der Unterhalt, davon 100.000 Euro allein der Strom. Zwei Lösungen konnte Heinz präsentieren: den Bau von Spundwänden an der Saale für sechs bis acht Millionen Euro oder die Erneuerung der Brunnengalerie. Letztere Variante wäre mit drei bis vier Millionen Euro deutlich günstiger und wird von der Stadt favorisiert. Allerdings benötige die Stadt dafür finanzielle Hilfe vom Land. Passieren muss jedenfalls etwas. „Niemand kann mehr garantieren, dass die Pumpen bei Hochwasser noch funktionieren“, so Heinz.

Zum Problem hat sich auch der Umbau des S-Bahnhofs Nietleben entwickelt. Den alten Bahnhof wollte die Stadt abreißen und hier einen modernen Haltepunkt mit Park+Ride-Möglichkeiten einrichten. Die Finanzierung stand bereits, doch nahm das Land das Bahnhofsgebäude aus der Gründerzeit in das Landesdenkmalverzeichnis auf. Nun ist an einen Abriss nicht zu denken. Martin Heinz plädierte für eine Lösung durch das Land. Minister Webel sagte eine Prüfung zu. Wie er sagte gebe es überall im Land derartige Bahnhofsgebäude. Und fast überall stünden sie leer und verfielen. Die Stadt machte noch einmal deutlich, dass auch an eine Sanierung nicht zu denken sei.

Auf der Halle-Hettstedter Eisenbahnlinie will die Stadt von Nietleben bis Dölau einen Radweg einrichten. Doch die Strecke ist bislang eisenbahnrechtlich genehmigt, obwohl sie nicht mehr genutzt wird. Ein Verein will hier Traditionszüge fahren lassen. Doch nutze man das Gleis nicht für den Radwegebau, werde die geplante Trasse statt 300.000 Euro bis zu 800.000 Euro kosten, man müsste zudem in Naturschutzgebiete eingreifen. Laut Sozialdezernent Tobias Kogge würden von einem Radweg auch mehr Menschen profitieren als von einer Museumsbahn.

Und die Stadt plädiert weiterhin für einen Ausbau des Gimritzer Damms. „Das ist ein wesentlicher Punkt für die Erschließung des Weinberg Campus“, sagte Stadtplaner Lunebach. An der Kreuzung Weinbergweg soll ein Kreisverkehr eingerichtet werden. Der Abschnitt entlang der Eissporthalle soll möglicherweise vierspurig ausgebaut werden, die Straßenbahn will die Stadt in Mittellage verlegen. Außerdem soll der Alleecharakter künftig bis zum Rennbahnkreuz gezogen werden. Rund 18 Millionen Euro würde dies alles kosten, und auch hier ist das Land mit Blick auf die finanzielle Situation der Stadt gefragt.

In diesem Zusammenhang müsste auch der Hochwasserschutz geklärt werden, mahnte Umweltamtsleiterin Kerstin Ruhl-Herpertz an. So müsste unbedingt der Deich am Gimritzer Damm saniert werden. Würde der bei einem Hochwasser brechen, stünden weite Teile Neustadts bis fast zum Zentrum unter Wasser.