Oberer Boulevard – quo vadis?

von 11. August 2009

Verrufen als Ramschmeile ist am oberen Boulevard in Halle (Saale) nicht viel los. Unter dem Ruf leiden auch die verbliebenen Händler. Immer mehr von ihnen geben auf, 13 der 62 Ladengeschäfte stehen leer. Und auch viele der noch belegten Läden sind wenig verlockend. Das soll sich nun ändern. Aber wie? Die Standortgemeinschaft Oberer Boulevard e.V. hatte dazu am Dienstag Anwohner, Ladeninhaber und Hausbesitzer zu einer Diskussionsrunde in die Industrie- und Handelskammer (IHK) eingeladen. Joachim Effertz vom Vorstand der Standortgemeinschaft machte gleich zu Beginn der Veranstaltung deutlich: „wir benötigen Mitstreiter. Wir sind zu wenig.“ Vor allem fehlt der Einzelhandel. Kein einziger Händler ist derzeit Mitglied in der Standortgemeinschaft. Das Interesse freilich ist vorhanden, das zeigte sich bei einem Blick durchs Publikum. Denn neben den Hausbesitzern und Hausverwaltern waren eben auch die Ladenbesitzer da.

Stefan Voß vom Stadtmarketing erläuterte zunächst die Vorteile aber auch Strukturen und Aufgaben von Werbegemeinschaften, brachte dazu Zahlen eine Studie aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen ein. So werden 92 Prozent aller Standortgemeinschaften ehrenamtlich geführt, nur 8 Prozent bestellen hauptamtliche Geschäftsführer. Das können sich die meisten Initiativen eben nicht leisten. Filialunternehmen engagieren sich eher selten in Standortgemeinschaften ist auch eine Erkenntnis, die Voß mitbrachte. Hingegen engagieren sich Hotels, Restaurants und Banken sehr oft. Ansonsten war noch zu vernehmen, dass man mindestens 5 bis 7 Veranstaltungen im Jahr durchführen solle, um als Standortgemeinschaft wahrgenommen zu werden. Es folgten noch einige statistische Daten. So hat jede Standortgemeinschaft im Durchschnitt 44.000 Euro im Jahr zur Verfügung, die durchschnittliche Mitgliederzahl liegt bei 90.

Nach der ganzen Theorie konnte Wolfgang Fleischer von der Interessengemeinschaft Alter Markt aus der Praxis berichten. Immerhin hatte man dort nach der Wende ein ähnliches Problem. Hochbezahlte Gutachter haben in einer Studie vorausgesagt, dass sich in Halle lediglich der untere Boulevard und der Markt als Einzelhandelsstandorte halten können. „Dagegen wollten wir etwas tun“, so Fleischer. Schließlich sei man entsetzt vom Ergebnis der Studie gewesen. Die erste Maßnahme: den Eingang der Schmeerstraße vom Markt aus heller zu gestalten. Es folgten Verschönerungsaktionen und Feste, leerstehende Häuser „geschmückt“ und der Leerstand so verdeckt. Kooperationen mit den Halloren, der HWG und auch der Stadtverwaltung wurden gestartet. So stellt das Grünflächenamt Pflanzen in den Stadtfarben weiß und rot zur Verfügung. Mittlerweile engagieren sich 54 Mitglieder in der IG Alter Markt, zahlen je 10 Euro Mitgliedsbeitrag im Monat. Und aus diesem Pool können dann schon wieder neue Aktionen realisiert werden. Wichtig für Fleischer auch: ein Miteinander, nicht ein Gegeneinander. So arbeite die IG Alter Markt eng mit der Citygemeinschaft zusammen, stimme sich untereinander ab. Ähnliches bot er auch dem Oberen Boulevard an.

Die Stadt hielt sich eher bedeckt. Wirtschaftsdezernent Wolfram Neumann erklärte zwar, man brauche attraktive Innenstädte und man betrachte die obere Leipziger Straße auch als Teil der Innenstadt. Doch mehr als ein begleitender Partner könne man nicht sein. „Wir kommen nicht mit einem neuen Konzept und sagen so läuft es. Das muss von Ihnen kommen“, appellierte Neumann an die Gäste. Als größten Konkurrenten sieht Neumann ganz klar die grüne Wiese. Und durch die in die Sommerloch-Diskussion geratene Umweltzone sieht der Wirtschaftsdezernent schon weitere Probleme auf die Händler zukommen.

Die Innenstadt attraktiver machen – das sind Worte, die einer der Hausbesitzer nach eigenen Angaben „seit 20 Jahren“ hört. Das Angebot sei „grottenschlecht“ auf dem oberen Boulevard, es fehle ein Ankermieter. Immerhin: als größtes Geschäft gibt es (noch?) einen Edeka-Markt unmittelbar am Eingang des Riebeckplatzes. Doch die Frage ist, wie lange noch. Denn ein Unternehmensvertreter machte deutlich: man sei auf die Laufkundschaft angewiesen. Grundsätzlich wolle man zwar am Standort festhalten. Um wirtschaftlich arbeiten zu können brauche ein Vollversorger 8000 Einwohner in der Umgebung, rund um den Markt am Riebeckplatz seien es aber nur 3.500. Für Edeka ist aber nicht nur die Kundenzahl ein springender Punkt, sondern auch der Zustand des Gebäudes. Man sei nur Mieter und schließe langfristige Verträge. Der jetzige laufe bald aus und verlängern werde man nur, wenn es auch die Garantie gibt, dass das Gebäude tatsächlich so lange noch steht.

Auf die Verwaltung schimpfte ein Eiscafe-Besitzer. Er habe Tische und Stühle vor dem Leipziger Turm aufstellen wollen und musste sich erst einmal durch den Behördendschungel kämpfen. Da griff der Denkmalschutz. Kundenkarten, denen Stadtmarketing-Chef Voß eingangs in seinem Vortrag immer geringere Akzeptanz bei den Kunden durch eine regelrechte Karteninflation voraussagte, hat der Eiscafe-Besitzer erst in diesem Jahr eingeführt. Und er zeigte sich zufrieden, 80 Prozent seiner Kunden würden die Karte nutzen. Auch mit anderen Aktionen will er Kunden anlocken. „Ich tu meinen Kunden die Kosten für Parkplätze zurückerstatten“, erklärte er, bevor er am Ende der Veranstaltung noch einmal in Gesprächen für seine vielen Twitter-Adressen warb.

Ansonsten blieb nach zwei Stunden das nüchterne Fazit: alle (eigentlich schon bekannten) Probleme wurden noch einmal angesprochen. Wesentlich neues kam nicht herum. Und konkrete Lösungsvorschläge vermisste man ganz. Und so steht die Leipziger Straße zwischen Hauptbahnhof und Leipziger Turm weiterhin vor einer ungewissen Zukunft ….