Offener Brief an Halles Oberbürgermeister

von 7. September 2016

Sehr geehrter Herr Wiegand,

ich wohne seit mehr als 40 Jahren in Halle (Saale). Seit mehr als 15 Jahren befasse ich mich etwas intensiver mit Halle als historische Stadt und einst führender Wirtschaftsstandort im Herzen Deutschlands. Anfang der 1990er Jahre standen rund 3000 Objekte im Denkmalverzeichnis der Stadt. Beachtliches wurde seitdem geleistet. Heute sind weite Teile der Stadt saniert, allerdings mit schmerzlichen Verlusten nicht nur ganzer Objekte, sondern auch historischer Fassaden angefangen von Stuck und Ziegelwerk bis hin zu historischen Werbewänden wie Riebeckbräu (Mansfelder Straße), McCormick (Merseburger Straße) und Patina (Ludwig-Wucherer-Straße).

Mit großem Interesse und Begeisterung verfolge ich die Arbeit des Arbeitskreises Innenstadt (Aki) und anderer aktiver Denkmalschützer in Halle. Dass sich nach dem Brand in der Schwemme-Brauerei im Herbst 2015 endlich auch die Verwaltungsspitze vernehmbar in den Erhalt historisch wertvoller Bausubstanz eingemischt hat, erfüllte mich mit Freude. Wo immer Denkmalsanierungen gelungen sind und historische Substanz gerettet wurde, so etwa im Fall der alten Handelsbörse, der Franckeschen Stiftungen, des Ackerbürgerhofes und nun endlich auch des Druckhauses der Halleschen Zeitung, empfinde ich das als gut, richtig und wichtig. Andere deutsche Städte, die während des Zweiten Weltkrieges massiv zerstört wurden (in Magdeburg die Altstadt zu 90 Prozent), können Halle nur beneiden.

Grund meines offenen Briefes sind allerdings meine Sorge und mein Unverständnis darüber, dass in den vergangenen 25 Jahren noch einmal zahlreiche bedeutsame Bauwerke in Halle verfallen und verschwunden sind und ein Ende dieser Kulturlosigkeit nicht in Sicht ist. Hatte die DDR im Zuge des Baus der Hochstraße und des Thälmannplatzes (heute Riebeckplatz), beim Bau der Steg-Hochhäuser und bei den Neubau-Vorhaben an Brunoswarte und Geiststraße bemerkenswerte Bausubstanz unwiederbringlich zerstört, ist die Nachwende-Liste der Zerstörungen inzwischen auch beachtlich. Unter Ihren Amtsvorgängerinnen wurden zum Beispiel die stolzen Gebäude der alten Zuckerraffinerie einem hässlichen Zweckbau von Dell geopfert, wie er heute in jeder x-beliebigen Stadt der Welt steht. Für Investoren wird alles geopfert. In diesem Jahr nun hat die Deutsche Bahn AG in Halle im Zuge des Knotenausbaus Deutschlands älteste E-Lok-Werkstatt einfach weggerissen. Von offizieller Seite war keinerlei Bemühen erkennbar, das abzuwenden. Das passt leider ins Bild, wenn man sich daran erinnert, wie die Verwaltungsspitze und 23 Stadträte das Künstlerhaus 188 ohne Not dem Stadtbahnprogramm opfern wollten.

Besonders dramatisch ist seit langem die Lage entlang der Achse Glauchaer Straße / Böllberger Weg. Die zwei alten Brauereien dort sind dem ungebremsten Vandalismus und Verfall ausgesetzt. Insbesondere der Verfall der Freybergs Brauerei mit der noch immer beeindruckenden Fassade an der Saale ist ein Sakrileg, das Schweigen der Stadt dazu ein Skandal. Statt weitere 20 Millionen Euro (!) in das Millionengrab MMZ zu stecken und bei der genannten Brauerei die Verantwortung seit Jahren schon privaten Investoren zu überlassen, wäre es im Sinne der allgemeinen Schadensabwendung, Denkmal- und Imagepflege Sache der Stadt und insbesondere ihres Oberbürgermeisters, an stadtprägenden Schwerpunkten mit allen zur Verfügung stehenden Mittel aktiv einzugreifen und die Moderation und wenn nötig auch die Mediation zu übernehmen.

Während die Situation in Glaucha also ein Drama ist, passiert gerade an anderer Stelle das nächste Drama. Seit Ende August 2016 richten echte Halle-Liebhaber bange Blicke auf die alte Gastwirtschaft „Rosengarten“ an der Merseburger Straße (einst zu Ammendorf gehörig). Nachdem das denkmalgeschützte Ensemble mit Jugendstil-Elementen bereits seit Jahren leer stand, sind nun Teile des Bauwerks eingestürzt. Über die Gründe für den Einsturz wird nun debattiert und spekuliert. Im Gedächtnis geblieben sind die noch immer rätselhaften Brände in Denkmalbauwerken in Glaucha und an der Schwemme. An der Stelle will ich auch auf den Schlachthof in Freiimfelde verweisen. Der Verfall hat inzwischen dramatische Ausmaße angenommen, dabei hatten sich Bürger dieser Stadt um eine genossenschaftliche Nutzung bemüht. Die Stadt wollte sich engagieren.

Die Rettung und Bewahrung der historischen Stadt Halle Saale, insbesondere auch ihrer herausragenden Industriestandorte, ist für mich Teil dessen, was eine Kulturhauptstadt Halle ausmacht. Eine entsprechende Haltung vermisse ich in Verwaltung, Stadtrat und Leitmedien.

Mit freundlichen Grüßen

Martin Schramme, Halle (Saale), 7. September 2016