Orwellsche Tugendwächter fair und sozial?

von 23. November 2015

Die Grünen unterstrichen ihre Wirtschaftskompetenz und verwiesen auf die grüne Landesregierung in Baden-Württemberg. Im deutschlandweiten Durchschnitt sei ein Quote von 30 Prozent erreicht bei den erneuerbaren Energien. Bis 2030 wollen die Grünen 100 Prozent haben. Dabei sollen auch Autos mit Null Emission her. Die Wirtschaft soll ökologisch und fair sein. Sogar die Rolle Europas bei Kriegs- und Fluchtgründen wurden genannt: Subventionierte Agrarprodukte zerstören die Landwirtschaft zum Beispiel in Mali (Afrika) und Deutschland exportiert Waffen ausgerechnet nach Saudi Arabien, die Hauptförderer des internationalen Terrors und führend bei der Missachtung von Menschenrechten. Allerdings wurde in dem Kontext Russland mal eben mit Saudi Arabien gleichgesetzt; Moralin in bester Boulevardzeitungsmanier. Die Grünen scheinen „Forbes“ nicht zu lesen. Das Magazin sieht Kreml-Chef Putin als mächtigstes Staatsoberhaupt der Welt vor Merkel und Obama. Kein Diktator hat das je geschafft.

Unter der schönen Oberfläche sind die Grünen Orwellsche Tugendwächter und Wirtschaftslobbyisten, die neue Partei der Besserverdienenden. Sie sprechen die richtigen Themen an und achten peinlich darauf, dass auch künftig alles, was sie herausgeben, ökogelabelt ist. Doch wer sich von dem faschistischen Putsch des Maidan (Ukraine) nicht distanziert und der sich ausbreitenden Meinungsdikstatur das Wort redet, ist von wolfsschäfischer Unglaubwürdigkeit. Dass die im Geiste Verbündeten während und nach dem Parteitag ebenfalls herummäkelten, passt in eine Zeit, wo niemand mehr weiß, wo der andere steht und welches Etikett richtig und welches falsch ist. Alles zu hinterfragen, Worte und Taten abzugleichen, Interessen und Nutzen zu betrachten, ist mehr denn je erforderlich.

„Die Grünen wollten im Halle mit ‚Mut im Bauch’ antreten. Aber mehr als ein ‚irgendwie alles ganz ok so’ bleibt nicht. Sie haben keinen Mut. Sie haben Schiss“, resümierte die „Süddeutsche Zeitung“ unter der Überschrift „Willkommen im Wunderwatte-Land“. Die Grünen waren mal, sinniert die SZ, „eine anspruchsvolle Partei“. Heute wollten sie nicht anecken, ihre zehn Prozent nicht riskieren und sich mit Personalien lieber befassen als mit Inhalten. Das ist eine böse Verkürzung des Gesagten und ein schwer nachvollziehbare Taubheit gegenüber dem Anspruchsgetöse der Grünen, aber bei der Frage nach der Glaubwürdigkeit kann es eben sein, dass von dem ganzen schönen Ökogebausche nur dieser Eindruck blieb.

„Gender-Gaga bei den Grünen“ höhnte die „Bild“ über einen Beschluss zur weiteren Kastration der deutschen Sprache. Dabei kennt sich von Heinrich Böll einst trefflich beschriebene Organ mit Gaga ja bestens aus, müsste mit den Grünen inzwischen aber wohl etwas freundlicher umgehen, denn große Teile der Grünen und ihrer Wählerschaft sind im gutbürgerlichen Lager der Besserverdienenden angekommen und damit der „Bild“ näher als der TAZ. Die TAZ schließlich übte sich im Staunen: „Dass sich die Grünen so klar dazu bekennen, dass ein Krieg gegen die islamistische Mörderbande in Syrien oder im Irak richtig sein kann – das ist eine Überraschung.“ Der überraschte Leser fragte sich: Hat die TAZ vor 16 Jahren gepennt oder Gedächtnislücken? Schließlich war es 1999 Außenminister Joschka Fischer, also ein Ur-Grüner, der mit einem irrwitzigen Auschwitz-Vergleich dem Krieg gegen Serbien das Wort redete und so das Bomben gegen Belgrad unterstützte. Ergänzend sei daran erinnert, dass die Grünen, die sich in Halle permanent als Hüter eines sozialen und fairen Umgangs gerierten, bei ihrer bisher einzigen Regierungsbeteiligung mit der SPD die unsoziale und unfaire Agenda 2010 (Hartz IV und Co.) beschlossen.

Die ARD wiederum streicht heraus, dass die Grünen nach ihrem Eigenverständnis die einzige politische Kraft sind, die noch „flüchtlingsfreundlich“ ist. Die Position der Linken zum Fluchtthema wird von den Grünen frech weggeschwiegen, zumal die Linke ja ohne fiese Seitenhiebe und Teilblindheit für die Rolle von Bündnispartnern die Ursachen im vollen Umfang benennt. Kein Thema ist hier auch der Dogmatismus der „Refugees Welcome“-Fraktion. Dass es an der Parteibasis offenbar doch auch hier und da Bauchschmerzen mit gewissen Entwicklungen gibt, bleibt auch ausgeblendet. Dabei hatte Cem Özdemir Islamkritik geäußert und als Vertreter der Realos am Ende einen deutlichen Punktezuwachs beim Parteiwahlvolk eingefahren, während die Vertreterin der Parteilinken zwar ebenfalls ein stolzes Wahlergebnis hatte, jedoch beim Stimmergebnis sichtbar Federn lassen musste.

Bericht der SZ über den Parteitag der Grünen

http://www.sueddeutsche.de/politik/gruenen-parteitag-in-halle-willkommen-im-wunderwatte-land-1.2748332

Bericht der TAZ über den Grünen-Parteitag in Halle

http://www.taz.de/!5254625/

Wikipedia über Menschenrechte in Saudi Arabien

https://de.wikipedia.org/wiki/Menschenrechte_in_Saudi-Arabien