Osttangente: Einstweilige Verfügung und Klage drohen

von 4. Februar 2011

Noch in diesem oder nächsten Monat soll der Stadtrat von Halle (Saale) über den Weiterbau der Osttangente von der Delitzscher Straße bis zur B 100 entscheiden, der sogenannten Haupterschließungsstraße Ost (HES). Seit Monaten gibt es darüber Diskussionen. Denn während die Verwaltung dabei bleibt, dass die Berliner Straße und die Bahngleise als Brücke überquert werden, fordern die Anwohner aus Lärmschutzgründen eine Tunnelvariante. Das wiederum lehnt die Stadt aus Kostengründen ab.

Am Donnerstag hatte nun die BI Osttangente zu einer Bürgerversammlung eingeladen. Die städtische Versammlung hingegen war vor einigen Wochen wegen der Witterung ausgefallen. Im voll besetzten Sportlerheim Dautzsch waren nicht nur interessierte Bürger, sondern auch Vertreter einiger Stadtratsfraktionen erschienen, immerhin müssen sie entscheiden, welche Variante denn gebaut wird.

Die Bürgerinitiative hatte sich sehr intensiv mit den Unterlagen zum Grundsatz- und Baubeschluss befasst. Dabei habe man festgestellt, dass es bereits seit 17 Jahren einen Beschluss für den 4. Bauabschnitt der Osttangente gibt. Dieser Ratsbeschluss vom 7. Juli 1993 sieht Unterführungen wichtiger Straßen und vor allem der DB-Anlagen vor. Doch daran will sich die Stadt nicht mehr halten, kritisieren die Vertreter der Bürgerinitiative. Die jetzt zur Entscheidung vorgelegten Unterlagen seien unvollständig, fehlerhaft und rechtswidrig. So führte die BI weiter aus, dass neben dem erwähnten Stadtratsbeschluss von 1993 weitere Unterlagen nicht berücksichtigt worden sind. Dazu zählen der Flächennutzungsplan und das verkehrspolitische Leitbild von 1997/98 sowie die Luftreinhaltepläne von 2005 und 2011. Die BI wies darauf hin, dass die Entscheidungsunterlagen zur Vorzugsvariante ausschließlich unter Berücksichtigung minimaler Investitionskosten erstellt worden sind und unter Beachtung des Lärm-, Umwelt- und Naturschutzes auch eine andere etwas teurere Variante gewählt werden müsse.

Die erneute Nichtbeachtung einer für die Stadt Halle im Luftreinhalteplan 2011 vorgesehenen Umweltzone soll gravierende Folgen für die Umleitung und Neubündelung des Verkehrs von der Merseburger Straße, Volkmannstraße und Paracelsusstraße auf die HES haben. Mit einer Umweltzone werden jene drei Hauptstraßen für die Durchfahrt von LKW gesperrt. Für die HES habe dies zur Folge, dass mit 18.000 Kfz/Tag zusätzlich zum Regionalverkehr zu rechnen sei. In den städtischen Unterlagen würden für die Verkehrsbelastung der HES nicht nachvollziehbare Belegungen mit einer Schwankungsbreite von 11.000-22.000 Kfz/Tag gemacht, welche sich zudem auf einen Prognosezeitraum bis 2025 beziehen und die heute noch nicht absehbare Fertigstellung der A 143 voraussetzen. Belegungs-Szenarien ohne die Fertigstellung der A 143 und mit Einführung der 2. Stufe der Umweltzone wurden nicht angestellt, sodass auch die angestrebte PM10-und NO2-Umweltentlastung (Feinstaub, Stickstoff) an der Messstation in der Paracelsusstraße nicht erzielt werden könne. Da selbst die Prognosebelegung der HES 2025 (mit A 143) auf der Berliner Chaussee an der Ortseinfahrt Halle (B 100) immer noch eine Verkehrsbelegung von ca. 30.000 Kfz/Tag ausweist, die sich unter Berücksichtigung der Nutzer der Dessauer Straße noch wesentlich erhöhen wird, dürfte das erwartete Ziel der Umweltzoneneinführung weit verfehlt werden.

Den größten Fehler dürften die Verkehrsplaner bei der Einordnung der HES mit der Einordnung in die Straßengattungen gemacht haben, indem sie diese nicht als Hauptverkehrstraße sondern als „Gemeindestraße“ einordneten. Auf diese Weise könne man, bewusst oder unbewusst, Abstriche beim aktiven und passiven Schallschutz nach DIN 18 005 machen.

Beim Variantenvergleich zwischen Brücken und Unterführungen konnte die BI nach Abstimmung mit einem Ingenieurbüro und einem Baubetrieb ebenfalls gravierende Fehler und Mängel in solchen Größenordnungen feststellen, dass bei der Tunnel-Variante keine sieben Millionen Euro Mehrkosten entstehen, sondern die Kosten sich fast im gleichen Rahmen wie bei der Brückenvariante bewegen. Eine entscheidende Größe stellt die Deutsche Bahn dar, mit der es die Stadt in nunmehr 15 Jahren nicht fertiggebracht hat, eine schriftliche Vereinbarung über die Bahn-Brücken und auch den neuen Güterbahnhof abzuschließen. Denn die Deutsche Bahn will weitere Gleise bauen. Auch deshalb ist die Realisierung des Vorhabens ohne eine Brückenvariante immer noch unsicher in der Realisierung. Ferner ist bei einer erforderlichen europaweiten Ausschreibung unbedingt darauf hinzuweisen, dass es zu wesentlichen Beeinträchtigungen bei der DB kommen kann. Streckensperrungen für die Baumaßnahmen kosten richtig Geld.

Außerdem fehlt laut BI ein hydrogeologisches Gutachten in den Beschlussentwürfen. Auch eine Umweltverträglichkeitsprüfung sei nicht vorgenommen worden. Dabei leben in dem Gebiet 37 Brutvogelarten und Fledermauspopulationen, wodurch diese Prüfung zwingend erforderlich wäre. Daneben sei auch die Frage der Verkehrssicherheit beim Variantenvergleich Über-/Unterführung außer acht gelassen worden. So könne es bei den gewählten Stahlkonstruktionen für die Brücken bereits bei Außentemperaturen von +4 Grad Celsius zu Fahrbahnvereisungen kommen. Auch ein ursprünglich geplanter durchgehender Radweg vom Goldberg bis zur Dieselstraße fehlt zumindest im 4. BA der HES, wurde kritisch angemerkt.

Abschließend betonte die Bürgerinitiative, dass sie nicht gegen die Osttangente sei. Man bestehe aber auf die Umsetzung der ursprünglichen Beschlüsse des Stadtrates. Sollte dies nicht auf gütlichem Wege in Kürze möglich sein und sich der Stadtrat am 23. Februar 2011 zu einem Planfeststellungsbeschluss für eine Brückenlösung entscheiden, werde man diesen Beschluss mit einer einstweiligen Verfügung anfechten und Klage erheben sowie parallel das LVA wegen Verstoß gegen geltendes Recht informieren.