Polit-Streit um die Gemeinschaftsschule

von 24. Februar 2011

Sachsen-Anhalter sind mehrheitlich für die Einführung einer Gemeinschaftsschule. Das hat ein Volksstimme-TED ergeben. 60 Prozent waren demnach für die Etablierung des längeren gemeinsamen Lernens. Doch in der Politik hat sich nun ein heftiger Streit entwickelt, gerade im Vorfeld der Landtagswahlen.

Angefangen hat es mit einer Äußerung von GEW-Chef Thomas Lippmann, der die Gemeinschaftsschule begrüßt und als einen Vorteil auch kürzere Schulwege sieht. Das brachte die bildungspolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion Sachsen-Anhalt, Eva Feußner, zur Weißglut. „Es stimmt einfach nicht, was Herr Lippmann in die Welt setzt: Gemeinschaftsschulen schaffen nicht kürzere, sondern längere Wege zur Schule in den ländlichen Gebieten. Wie sollte es auch anders sein. Man muss sich nur die Rahmenbedingungen vor Augen führen: die Schülerzahl bleibt gleichbleibend niedrig, die Gemeinschaftsschule nimmt Schüler vom Gymnasium auf und gefährdet so die Existenz dieser Schulform, da dort nicht mehr ausreichend Schüler beschult werden. Das ist die Konsequenz linker Schulutopie. Das gleiche Szenario gilt für den Grundschulbereich, wenn dort die Schüler zukünftig in einer Gemeinschaftsschule unterrichtet werden sollen. Ein Schulsterben wäre die Folge. Das mühsam gestrickte Schulnetz für unser Land würde durch eine solche „Reform“ wenn nicht vollkommen zerstört, sodann doch viel zu großmaschig. Wir sagen stattdessen: Keine Experimente mit der Struktur, sondern inhaltliche Veränderungen im bestehenden System!“

„Unwahrheiten und Unterstellungen werden nicht dadurch zutreffender, dass sie ständig wiederholt werden“, reagierte Matthias Höhn, bildungspolitischer Sprecher der Linken im Landtag, auf die CDU-Äußerungen. „Die Vorwürfe, die Vertreter der CDU nun seit Monaten gegen eine Schulreform im Sinne von mehr Integration und Bildungsgerechtigkeit verbreiten, entbehren jeder Grundlage. Die CDU ist gut beraten, endlich eigene Vorschläge auf den Tisch zu legen, anstatt die der anderen Parteien ständig zu denunzieren.“ Kein einziger Schulstandort werde durch die Reformvorschläge der Linken bedroht. „Allein der drohende Personalmangel schafft Risiken für das heutige Schulnetz. Für diesen Personalmangel tragen jedoch die beiden letzten CDU-geführten Landesregierungen die Verantwortung: erstens durch die Schließung der Lehrerausbildung in Magdeburg und zweitens durch den völlig unzureichenden Einstellungskorridor des Landes. Die Reformvorschläge der Linken sollen ab 2012 bei Klassenstufe fünf ansetzen und im Laufe der folgenden Jahre bis Klasse zehn aufwachsen. Es ist nur logisch, dass die Grundschulen, anders als von der CDU behauptet, davon nicht betroffen sind.“ Die Linken werde in der kommenden Legislaturperiode die Gemeinschaftsschule nicht flächendeckend und verbindlich einführen, sondern zunächst durch eine qualitative Aufwertung die bestehenden Sekundarschulen stärken. Die CDU habe bis heute kein eigenes bildungspolitisches Programm beschlossen und der Öffentlichkeit vorgestellt. Daraus könne nur der Schluss gefolgert werden, die CDU wolle alles so belassen, wie es ist. Damit stelle sie sich gegen die Empfehlungen des Bildungskonvents.

„Offensichtlich gibt es unterschiedliche Auffassungen davon, was der Bildungskonvent tatsächlich in Bezug auf die Schulstruktur beschlossen hat“, reagierte nun Feußner auf diese Kritik. „Die CDU hat nur deshalb ihre Zustimmung zu diesem Abschlusspapier gegeben, weil unserer Auffassung nach mit der gefundenen Formulierung ´das Bildungssystem Sachsen-Anhalts auch für das längere gemeinsame Lernen weiter zu öffnen´ keine Schulgesetznovelle in der kommenden Legislatur nötig ist. Es gibt bereits Formen des längeren gemeinsamen Lernens in Gestalt der Gesamtschulen im Land. Der Bildungskonvent hat explizit nicht beschlossen, flächendeckend Gesamtschulen einzuführen. Wir werden auch weiterhin darauf aufmerksam machen, welche Konsequenzen die bildungspolitischen Konzepte von SPD und Linken haben würden. Gemeinschaftsschule bedeutet die Zerschlagung der bestehenden Struktur von Gymnasien, Sekundarschulen und Grundschulen. Die Eltern hätten keine Wahlmöglichkeit mehr zwischen den Schulformen. Die Schulwege würden sich verlängern. Das Abitur würde nicht anerkannt, weil dazu ein siebenjähriger gymnasialer Bildungsgang vorausgesetzt wird. Das Bildungsniveau würde erheblich sinken, weil alle Kinder gemeinsam weniger lernen. Dies alles muss den Menschen gesagt werden. Die Linken scheinen nervös zu sein und nicht in der Lage, sich mit den Programmen anderer intensiv auseinanderzusetzen. Erst so kommt man aber in einen Diskurs. Dies ist offensichtlich nicht gewollt.“

„Die CDU muss sich langsam fragen lassen, wie ernst sie die Bildungspolitik in Sachsen-Anhalt nimmt. Erst stimmt sie im Bildungskonvent der Öffnung des Schulsystems zum längeren gemeinsamen Lernen zu, kurz danach spricht sie sich dagegen aus. Gleiches gilt für den Ganztagsanspruch in der Kindertagsstätte für alle Kinder. Geradlinigkeit sieht anders aus!“, erklärte Katrin Budde, Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion und SPD-Landesvorsitzende. „Zudem sollte die CDU aufhören, den Bürgerwillen zu ignorieren. Die Umfragen zeigen eine Mehrheit für längeres gemeinsames Lernen. Das kann man nicht dauernd ignorieren! Richtig ist, mit längerem gemeinsamen Lernen haben alle Kinder bessere Bildungschancen und im ländlichen Raum werden die Schulwege kürzer. Klar ist: Wir haben offensichtliche Defizite im Bildungssystem in Sachsen-Anhalt. Wir wollen daher das Modell der Gemeinschaftsschule als alternative Schulform auf freiwilliger Basis einführen. Dann können Schulen, Lehrer, Eltern, Schüler und Schulträger vor Ort selbst entscheiden. Wir haben keine Angst vor dem Willen und der Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger. Die CDU offensichtlich schon.“

Und auch Kultusministerin Birgitta Wolff hat sich nun in die Diskussion eingemischt. „Die heftigen Reaktionen auf Eva Feußners Erklärung überraschen mich. Für mich ist es kein Wortbruch, sondern ein Gebot der Redlichkeit, wenn man darauf hinweist, dass die Umsetzung des Kompromisses aus dem Bildungskonvent schwierig sein wird. Dieser Kompromiss sieht ja auch vor, das Gymnasium zu erhalten, auf das über 40 Prozent der Schülerinnen und Schüler wechseln. Wenn man daneben eine Parallelstruktur errichten will, die alle Abschlüsse anbieten soll, braucht man selbstverständlich viele weitere Schüler, die das Abitur ablegen können. Damit diese neue Schule genügend Schüler für eine gymnasiale Oberstufe hat, muss sie in den Jahrgängen darunter – sehr zurückhaltend geschätzt – mindestens vierzügig sein. Wer die Größe vieler Sekundarschulen kennt, wird eine solche Anforderung nicht ohne weiteres als standortsichernd empfinden. Richtig ist, dass schon jetzt viele Schülerinnen und Schüler ihre Hochschulreife nicht am Gymnasium erwerben, sondern insbesondere an Fachgymnasien und Fachoberschulen. Theoretisch kann man sie auch an Sekundarschulen anbinden. Aber unseren 170 Sekundarschulen stehen lediglich elf Fachgymnasien und 37 Fachoberschulen gegenüber. Alle Abschlüsse unter einem Dach sind auch damit kaum an allen bestehenden Sekundarschulstandorten zu erreichen. Selbst wenn man – gegen den Beschluss des Bildungskonvents – die Gymnasien als eigenständige Schulform zugunsten eines längeren gemeinsamen Lernens abschaffte, muss man zur Kenntnis nehmen, dass wir derzeit rund 70 öffentliche Gymnasien haben. Die meisten von ihnen sind nicht so groß, dass man sie teilen könnte. Eine aus Sekundarschulen und Gymnasien gebildete Schulform hätte also, wieder sehr vorsichtig ausgedrückt, garantiert keine 170 Standorte mehr. Ich finde, man kann sehr wohl zum Beschluss des Bildungskonvents stehen und dennoch fragen, wie er denn sinnvoll umgesetzt werden kann und ob es für eine entsprechende Doppelstruktur auch genügend Schülerinnen und Schüler gibt. Dasselbe gilt für die Frage, inwieweit damit Standorte gesichert oder in Frage gestellt werden. Insgesamt wundere ich mich über den aufgeregten Ton der Debatte – als ob unsere Schulen ein akutes Katastrophengebiet wären. Man darf doch nicht einfach ignorieren, dass in den Schulen des Landes in den vergangenen Jahren viel gute Arbeit geleistet worden sein muss: Nicht ohne Grund verbessern sich unsere PISA-Ergebnisse, nicht ohne Grund bezeichnet uns der Bildungsmonitor 2010 als das Bundesland mit der dynamischsten Entwicklung im Bildungsbereich (von Platz 16 auf sechs in sechs Jahren), und nicht ohne Grund genießt unser Land auch in anderen Ländern ein hohes Ansehen – wie ich als Seiteneinsteigerin mit großer Freude lernen durfte. Ich bitte inständig darum, unsere Schulen und deren Leistungen jetzt nicht einfach schlecht zureden. Gemeinsam wird es uns gelingen, unsere Schulen auch angesichts der demographischen Entwicklung organisch weiterzuentwickeln. Das ist eine große, aber machbare Herausforderung.“

Die FDP-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt hat gefordert, die überflüssigen Schulstrukturdebatten zu beenden. Gleichzeitig unterstützen die Liberalen den Philologenverband in der Auffassung, dass Gemeinschaftsschulen für Deutschland illusorisch seien. „Wir brauchen Kontinuität im Schulsystem. Jede Veränderung im System wird zu Unruhe und Qualitätsverlust führen. Die FDP will Ruhe und spricht sich deshalb als einzige Partei in Sachsen-Anhalt klar für den Erhalt der Gymnasien aus“, sagte Gerry Kley, bildungspolitischer Sprecher der FDP. Kley forderte, endlich über die Qualität der Schulbildung in unserem Land zu diskutieren. „Niemand redet über die Qualität der Schulen in unserem Land. Die FDP will die Weiterbildung der Lehrer verbessern, durch mehr Referendarplätze für eine gesunde Altersstruktur sorgen und durch die Schulautonomie die Eigenverantwortung der Schulen stärken. Jeder dieser Punkte ist wichtiger als die Frage nach der Schulstruktur“, so Kley.