Praxisstart für Telemedizin in Halle (Saale)

Praxisstart für Telemedizin in Halle (Saale)
von 20. Juni 2018

Die Frage “Selbstbestimmt leben” stellt sich jedoch auch in den Städten. Die Zahl der Seniorenhaushalte steigt auch hier, Singularisierung und Vereinsamung spielen eine noch größere Rolle als in gewachsenen dörflichen Strukturen. Bereits heute leben 40 % der Bevölkerung ab 65 Jahre alleine.

Selbstbestimmtes Leben bis ins hohe Alter zu ermöglichen ist eine Herausforderung in den Zeiten des demografischen Wandels, der sich die Hallesche Wohnungsgenossenschaft FREIHEIT eG (HWF) als genossenschaftlicher Vermieter stellt – mit innovativen Lösungen, wie sie das Projekt “HAENDEL II – Assistenzsysteme und Telemedizinischer Service Sachsen-Anhalt” bietet. Im Rahmen dieses Projektes werden den Bewohner/-innen digitale Assistenzsysteme und Services wie Telemedizin an die Hand gegeben, die es ihnen ermöglichen, länger selbstbestimmt zuhause zu leben.

Damit geht das Projekt HAENDEL II weit über reine telemedizinische Anwendungen hinaus. Die Sensoren und Assistenzsysteme erfassen kritische Situationen und melden diese je nach Erfordernis an Angehörige, Pflegedienste oder eine Hausnotrufzentrale. So kann beispielsweise erfasst werden, ob Bewohner/-innen zu ungewöhnlichen Zeiten (nachts) die Wohnung verlassen, gestürzt oder bewusstlos sind, den Herd oder den laufenden Wasserhahn vergessen haben oder über einen längeren Zeitraum inaktiv waren. Darüber hinaus können Bewohner/-innen über den im Fußbodenbereich installierten Hilferufknopf aktiv nach Unterstützung verlangen.

Gemeinsam mit den Projektpartnern AOK Sachsen-Anhalt (AOK), Innovation Health Partner (IHP), TeleClinic, Hochschule Anhalt, Krankenhaus St. Elisabeth [&] St. Barbara (EKH) und Kanzlei Dr. Strich realisiert die HWF als Projektleiterin die Ausstattung von 30 Wohnungen (davon 5 Wohnungen der Halle-Neustädter Wohnungsgenossenschaft e.G.) mit digitalen Assistenzsystemen inklusive Serviceanbindung und wissenschaftlicher Evaluation. Als strategische Partner unterstützen die Aareon Deutschland GmbH und die ista Deutschland GmbH das Projekt.

Die ersten Wohnungen sind im 2016 von der HWF errichteten Quartier Königsviertel bereits “online” – Anlass für den Schirmherrn des Projektes, Dr. Reiner Haseloff, Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt, sich am 15.06.2018 den aktuellen Projektstand vorstellen zu lassen. Neben dem Ministerpräsidenten und Vertreter/-innen der Projektpartner informierten sich zahlreiche Vertreter aus Politik und Wirtschaft über das Projekt, so Ronald Meißner, Verbandsdirektor des Verbandes der Wohnungsgenossenschaften Sachsen-Anhalt e. V., die Fraktionsvorsitzende der SPD im Landtag Dr. Katja Pähle, Bernhard Böhnisch, Abgeordneter des Landtages, Thomas Keindorf, Präsident der Handwerkskammer Halle und Abgeordneter des Landtages sowie Hendrik Lange, Abgeordneter des Landtages und Stadtratsvorsitzender.

Im “Telemedpunkt” der Begegnungsstätte des Königsviertels konnten sich die Gäste bei einer Live-Schaltung zu einer Ärztin des Krankenhauses St. Elisabeth und St. Barbara Halle (Saale) überzeugen: Telemedizin ist bei der Genossenschaft einsatzbereit.

Im Anschluss besichtigten die Gäste eine mit Sensomotorik und telemedizinischem Equipment ausgestattete Wohnung. Die Mieter konnten berichten, wie sich das “Wohnen mit Telemedizin”anfühlt. Ob offene Balkon- oder Kühlschranktür oder der vergessene Herd – die Sensoren melden unverzüglich kritische Situationen, vor denen per Sprachnachricht und als optische Meldung über einen Tablet-PC gewarnt wird. Deaktivieren die Mieter die Warnungen nicht, wird eine Verbindung zu einer nahestehenden Person oder zu einer Notrufzentrale aufgebaut. Auch dies wurde erfolgreich
unter Beweis gestellt.

Etwa 60 bis 80 Euro kostet die Bereitstellung der Technik pro Monat; während der Projektlaufzeit tragen die AOK Sachsen-Anhalt und die Genossenschaft diese Kosten. Für die Mieter der Wohnung aber eine lohnende Investition: “Wir fühlen uns jetzt einfach sicherer, auch wenn wir noch fit sind. Und wir fühlen uns nicht überwacht”, so das Ehepaar auf die Nachfrage des Ministerpräsidenten, der das Projekt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vorstellen wird und ein gemeinsames Informationstreffen im Königsviertel ankündigte.

“Die Altersstruktur wird sich in den nächsten Jahrzehnten noch verschärfen, da müssen wir uns etwas einfallen lassen. Auch vor diesem Hintergrund hat die Umsetzung der Digitalen Agenda Sachsen-Anhalt höchste Priorität”, so der Ministerpräsident. So sind trotz des Rückenwindes durch die jüngsten Entscheidungen des Deutschen Ärztetages zu eHealth und Telemedizin weitere politische Weichenstellungen erforderlich, um Telemedizin in der erforderlichen Breite zur Verfügung stellen zu können.

“Es geht uns nicht darum, das persönliche Gespräch zwischen Arzt und Patient oder die Notwendigkeit einer flächendeckenden Praxisversorgung in Frage zu stellen”, stellte Dirk Neumann, Vorstand der Halleschen Wohnungsgenossenschaft FREIHEIT eG, klar. “Unser Anliegen ist das selbstbestimmte Wohnen. Und da braucht es – insbesondere im hohen Alter – technische und digitale Services.”

Die Fachhochschule Anhalt wird das Projekt bis 2019 evaluieren. Die wissenschaftlichen Ergebnisse sind die Grundlage für die weitere Entwicklung des Projektes. Mit der technischen Ausstattung der 30 Wohnungen, der Einrichtung der IT- und Serviceplattform, der rechtlichen Begleitung und der wissenschaftlichen Evaluierung nehmen die Projektpartner eine deutschlandweite Vorreiterrolle ein.