Rede der OB zum Tag der Deutschen Einheit

von 2. Oktober 2002

Meine Damen und Herren, liebe Hallenserinnen und Hallenser, verehrte Gäste! Ich heiße Sie alle sehr herzlich zu dieser wichtigen Stunde willkommen! Wir begehen zum 12. Mal den Tag der Deutschen Einheit und haben Grund zur Freude, Grund zum Feiern. Das sage ich nicht, weil alles geschafft ist, weil es keine Probleme zu lösen gibt, im Gegenteil. Ein gewaltiger Stadtumbau auf vielen Gebieten steht vor uns. Wir sind in der Lage, diesen Prozess zu gestalten, jeder, der sich beteiligen möchte, kann dabei sein. Natürlich mangelt es an Geld. Wir müssen ständig Prioritäten setzen. Aber wir können Einfluss nehmen, wir können entscheiden – und genau das ist auf die politische Wende 1989 zurückzuführen. An dieses Ereignis und die sich anschließende Entwicklung möchten wir heute erinnern. Ich begrüße dazu Herrn Dr. Manfred Stolpe, früherer Ministerpräsident des Landes Brandenburg und Vorsitzender des Forums Ostdeutschland der Sozialdemokratie e. V. Er wird heute zu uns sprechen und den Festvortrag halten. Weiterhin begrüße ich Herrn Gerry Kley, Minister für Gesundheit und Soziales unseres Bundeslandes, sowie die Bundestagsabgeordneten Christel Riemann-Hanewinckel, Cornelia Pieper und Dr. Christoph Bergner. Mein besonderer Gruß gilt heute Abend Herrn Professor Dr. Benno Parthier, dem Präsidenten der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina. Ihm wollen wir den Ehrenbecher der Stadt Halle überreichen. Ebenso freue ich mich über das Kommen von Frau Dr. Bronkowski, Konsulin für Öffentlichkeitsarbeit im amerikanischen Generalkonsulat. Mit besonderer Freude begrüße ich Herrn Dr. Rauen, den ehemaligen Oberbürgermeister dieser Stadt, der durch seine Arbeit die Entwicklung Halles maßgeblich geprägt hat. Ich begrüße die Damen und Herren Fraktionsvorsitzende der im Landtag vertretenen Parteien sowie Landtagsabgeordnete begrüßen zu können; seien Sie herzlich willkommen! Herr Regierungsvizepräsident Alexander Nissle weilt heute ebenso unter uns wie Herr Bernhard Bönisch, Vorsitzender des Stadtrates, und Fraktionsvorsitzende und Stadträtinnen und Stadträte. Auch die Beigeordneten unserer Stadtverwaltung begrüße ich auf das Herzlichste! Mein Gruß gilt den Rektoren der Universitäten und Hochschulen, den Präsidenten, Leitern und Vorstehern von Bundes- und Landesbehörden, den Repräsentanten der Kirchengemeinden sowie führenden Vertretern aus Wirtschaft, Kultur und Sport, vielen Vereinsvorsitzenden und natürlich Ihnen, liebe Hallenserinnen und Hallenser! Meine Damen und Herren! Am Vorabend des Tages der Deutschen Einheit blicken wir voller Dankbarkeit, aber inzwischen auch mit Selbstbewusstsein auf die Geschehnisse der letzten zwölf Jahre zurück. Die große und vielleicht einmalige Chance zur Wiedervereinigung Deutschlands als Beginn einer neuen Etappe in der Geschichte unseres Landes haben wir entschlossen genutzt und gemeinsam gestaltet. Viele haben uns dabei unterstützt. Der Fall des Eisernen Vorhangs war auch eine Folge der Politik von Glasnost und Perstroika in der Sowjetunion, deshalb gilt unser Dank den politisch Verantwortlichen des Ostens und Westens. Ganz besonders danken wir Michail Gorbatschow, Eduard Schewardnadse und natürlich Hans-Dietrich Genscher. Aber die gravierenden Veränderungen sind dem Mut der Menschen in unserem Land zu verdanken, die für eine bessere Gesellschaft auf die Straße gegangen sind und die Einheit letztlich erzwungen haben. Das sollten wir immer wieder sagen, damit es nicht vergessen wird. Der Aufbruch in Mittel- und Osteuropa war getragen vom Freiheitsbegriff der bürgerlichen Aufklärung. ”Demokratie wagen”, das Motto Willy Brandts am Beginn der siebziger Jahre, erhielt eine neue Bedeutung. Wir sind stolz darauf, dass der dramatische Werte- und Strukturwandel in unserer Gesellschaft friedlich erreicht wurde. Unsere östlichen Nachbarn sind heute weitestgehend stabile Demokratien; die EU-Osterweiterung begreifen wir als große Chance und Herausforderung zugleich. Der Prozess der deutschen Wiedervereinigung wie auch der Weg in ein geeintes Europa waren und sind stets geprägt von solidarischem Handeln. Mag auch die Euphorie der ersten Monate nach dem Fall der Mauer nicht mehr spürbar sein: Dass wir in Zeiten der Not zusammenstehen und dass ”Ost” oder ”West” gerade dann keine Rolle spielen, wenn es gilt, dem Nachbarn zu helfen – das haben wir in bewegender Weise während der Flutkatastrophe erlebt. Die Klage von der ”Ellenbogengesellschaft” und ihren Folgen ist nicht falsch, sie wird aber durch viele positive Erlebnisse ein gutes Stück weit relativiert. Die Welle der Hilfsbereitschaft hat auch die Hallenserinnen und Hallenser erfasst, dafür allen an dieser Stelle einen herzlichen Dank ! Meine Damen und Herren! Manche sagen, in unsere Stadt verliebt man sich erst ”auf den zweiten Blick”, dann aber um so intensiver und dauerhafter. Schon 1803 heißt es jedoch in einem Brief Goethes an Schiller: ”Versäumen Sie ja nicht, sich in Halle umzusehen, wozu Sie manchen Anlass haben.” Ich denke, Anlässe, sich in Halle umzuschauen, gibt es inzwischen reichlich. Viele Gäste waren bei uns. Sie haben viele Eindrücke mitgenommen und auch uns über ihre Wahrnehmungen der Stadt Halle berichtet. Deshalb ist es sinnvoll, unseren ”Standort” in Deutschland einmal genauer zu bestimmen und das Erreichte und Zukunftsweisende im Blick zu behalten. Hat uns in der Vergangenheit eher das Image von Umweltverschmutzung, zusammenbrechenden Industriestrukturen und Nachholbedarf auf allen Gebieten bestimmt, so können wir heute guten Gewissens und voller Stolz sagen: Die Kultur- und Wissenschaftsstadt Halle an der Saale ist auf dem besten Weg, sich zu einer der interessantesten und schönsten Städte Deutschlands zu entwickeln. Das heißt, die Stadt Halle wird in der Reihe der deutschen Kulturstädte wieder wahrgenommen. Begeistert könnte ich sprechen: – über unsere sanierte und wieder lebenswerte Altstadt, – über unser reiches kulturelles Angebot, das sich an alle Bürgerinnen und Bürger wendet, – über den Erfolg unseres Wissenschafts- und Innovationsparks in Heide-Süd und andere wirtschaftliche ”Erfolgsgeschichten”, – über unseren Stadtumbau oder über die Entwicklung Halles zu einem anerkannten Multimediastandort Ich möchte aber an einigen aktuellen Beispielen aus diesem Jahr deutlich machen, was für unser Gewicht auf geistig-kulturellem Gebiet in Deutschland wichtig ist. ”Zukunft mit Tradition” ist das Motto des Festjahres unserer Universität. Das 500-jährige Jubiläum wird mit 120 Tagungen, Kongressen und Ausstellungen, die 23.000 Besucher aus ganz Deutschland und der Welt anziehen, begangen. So viele internationale Wissenschaftler waren noch nie in so kurzer Zeit in Halle zu Gast. Die überwältigende Resonanz auf das Universitätsstadtfest und die Lange Nacht der Wissenschaften war ein erfreuliches Signal der engen Verbundenheit der Hallenser mit ihrer Universität. Meine Damen und Herren, ein weiterer ”Leuchtturm” unserer Stadt sind die Händel-Festspiele, die wir pflegen und weiter entwickeln. Die Geschichte unserer Händel-Festspiele ist eine Geschichte gewachsener Internationalität. Schon weit vor dem Fall der Mauer, allen Behinderungen zum Trotz kamen Besucher aus aller Welt. War unser Nachbar Leipzig schon damals ein Messestandort von Weltrang, so gab es für uns mittels der großartigen Musik Georg Friedrich Händels die Chance, Gäste aus nah und fern zu empfangen. Mit der Wende hat die nationale und internationale Ausstrahlung der Händel-Festspiele deutlich zugenommen, sodass wir die Zeitdauer des Händel-Festes um einen Tag ausweiten wollen, um genügend Karten anbieten zu können. Meine Damen und Herren, ein inzwischen wieder deutschlandweit bekanntes Merkmal unserer Stadt ist die ”Schulstadt” August Hermann Franckes. Viele von uns erinnern sich an den unaufhaltsam voranschreitenden Verfall des Areals mit seinen mehr als 50 historischen Gebäuden. Professor Paul Raabe, unser Ehrenbürger, ist – sagen wir es deutlich -einer der wichtigsten Retter der Stiftungen. Leider kann er heute nicht bei uns sein; wir grüßen ihn von dieser Stelle aus mit großer Dankbarkeit! Herr Professor Raabe hat gemeinsam mit Hans-Dietrich Genscher, dem wir von hier aus baldige Genesung wünschen, und vielen Helfern aus Ost und West nach dem Fall der Mauer das scheinbar Unmögliche geschafft: Mehr als 50 Millionen Euro konnten dank unaufhörlichen Engagements in die Restaurierung des längsten Fachwerkensembles Europas investiert werden, um dieses Denkmal wieder mit neuem Leben zu erfüllen. Mit großem Stolz erfüllt uns, dass es auf Initiative des Literaturnobelpreisträgers Günter Grass gelungen ist, die Kulturstiftung des Bundes nach Halle zu holen. Die Kulturstiftung des Bundes hat vor wenigen Monaten ihre Arbeit aufgenommen und ihr Wirken ist über Halle hinaus bereits zu spüren. Sehr geehrte Festgäste! Ein anderes, international geachtetes Beispiel kultureller und wissenschaftlicher Lebenskraft über die Jahre und Zeiten hinweg ist das Wirken der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, die in diesem Jahr den 350. Jahrestag ihrer Gründung feiert. Wir erinnern uns an den Ansturm der Hallenserinnen und Hallenser auf die traditionellen öffentlichen Vorträge der Leopoldina bereits zu DDR-Zeiten. So waren der berühmte Physiker und Philosoph Professor Carl-Friedrich von Weizsäcker und viele andere internationale Wissenschaftler in der Saalestadt zu Gast. Dies hat sich nach der Wende fortgesetzt: Die Leopoldina mit ihrem Präsidenten Herrn Professor Parthier ist ein Glanzpunkt der Wissenschaftsstadt Halle. Meine Damen und Herren, aus Anlass des Leopoldina-Jubiläums schrieb der Journalist Christian Jostmann in der ”Süddeutschen Zeitung” davon, dass Halle die ”heimliche” Hauptstadt der gelehrten Republik sei. Ich glaube es war als charmante Übertreibung gedacht. Aber in diesem Jahr sind wir mit den herausragenden Konferenzen anlässlich des Uni-Jubiläums, mit Diskussionen zu den wichtigen Themen unserer Zeit, diesem Titel ein Stück näher gerückt. Universität, Händel-Festspiele, Franckesche Stiftungen, Leopoldina – Das alles sind gelungene Beispiele erfolgreicher Entwicklung seit der Wende. Es sind Beispiele, die deutlich machen, dass Halle seinen Platz in der Reihe der deutschen Kulturstädte zurecht wieder eingenommen hat. Es sind Beispiele dafür, dass Halle zwölf Jahre nach der Wende zum interessanten Ort für geisteswissenschaftliche Diskussionen in Deutschland geworden ist. Lassen Sie uns, liebe Hallenserinnen und Hallenser, diesen Platz gemeinsam weiter ausbauen! Liebe Hallenserinnen und Hallenser, ich meine, ich habe deutlich machen können, dass es immer wieder herausragende einzelne Persönlichkeiten sind, die den Grundstein für herausragende Leistungen legen. Herr Professor Dr. Benno Parthier gehört zu diesen Persönlichkeiten. Deshalb hat unser Stadtrat beschlossen, ihm den Ehrenbecher der Stadt Halle zu verleihen. Herr Professor Dr. Benno Parthier hat sich sowohl in seiner Tätigkeit als Direktor des Instituts für Pflanzenbiochemie Halle als auch als Präsident der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina bleibende Verdienste um die Wissenschaftsentwicklung in Halle, in Sachsen-Anhalt in Deutschland und darüber hinaus erworben. Mit der Etablierung der pflanzlichen Molekularbiologie in Halle wurde der Grundstein für eines der ersten Sonderforschungsgebiete der Deutschen Forschungsgesellschaft auf diesem Gebiet in den neuen Bundesländern gelegt. Als Direktor des Instituts für Pflanzenbiochemie gelang es Herrn Professor Parthier, diese Einrichtung in das Spektrum der außeruniversitären Forschungsinstitute der Bundesrepublik Deutschland zu integrieren und zu einer wichtigen Säule der halleschen Wissenschaftslandschaft zu entwickeln. Mit großer Hochachtung ist die Tätigkeit des Auszuzeichnenden als Präsident der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina zu sehen. Unter seiner Präsidentschaft seit 1990 ist es gelungen, die Leopoldina erfolgreich in der Wissenschaftslandschaft der Bundesrepublik einzupassen. Nicht nur die Schaffung neuer Sektionen wie Ökowissenschaften, Wissenschaftstheorie, Empirische Psychologie und Kognitionswissenschaften sondern auch die Erneuerung der Struktur der Leopoldina sind ihm zu verdanken. Stets bringt Herr Professor Parthier die nationale und internationale Ausstrahlung der Leopoldina in einen engen Zusammenhang mit seiner Heimatstadt Halle. So wird die Zukunftsfähigkeit des Wissenschaftsstandortes Halle immer wieder gestärkt. Als Motiv des Ehrenbechers haben wir die Lilie gewählt. Sie steht für die außergewöhnliche Züchtung, die Prof. Parthier von seinem Lehrer Kurt Mothes übernommen und er neben seiner wissenschaftlichen Arbeit weitergeführt hat. Ich habe nun die Freude, gemeinsam mit Herrn Stadtratsvorsitzenden Bönisch die Ehrung vorzunehmen und darf Sie, Herr Professor Parthier, nun nach vorne bitten. —Überreichung des Ehrenbechers ——————————————– Meine Damen und Herren, sehr geehrte Festgäste, Ich freue mich, dass am heutigen Abend der frühere Ministerpräsident des Landes Brandenburg und Vorsitzende des Forums Ostdeutschland der Sozialdemokratie e. V., Dr. Manfred Stolpe, bei uns ist. Seien Sie herzlich in Halle willkommen! Er wird nun in seiner Festrede über ”Ostdeutschland – Perspektiven im Herzen Europas” sprechen.