Schöpfkelle-Chefin kritisiert Oberbürgermeisterin

von 4. Januar 2012

Die Stadt Halle fährt mit dem neuen Jahr einen schärferen Sparkurs. Gekürzt werden soll vor allem bei sozialen Projekten. Etliche Einrichtungen stehen vor dem Aus. Deshalb hagelt es immer wieder Kritik an Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados. “Unkenntnis, Ungerechtigkeit und Oberflächlichkeit” wirft die frühere Leiterin des Begegnungszentrums Schöpfkelle in der Silberhöhe, Christina Seidel, nun dem Stadtoberhaupt in einem offenen Brief vor.

Die Schöpfkelle sei keinesfalls, wie es OB Szabados offenbar denkt, ein Seniorentreff. Szabados habe eine Förderung als nicht notwendig erachtet, weil Altersheime ähnliche Beschäftigungen anbieten und auch die Wohnungsgesellschaften Begegnungsstätten einrichten würden. Das sieht Christina Seidel anders. Alle Generationen würden die Angebote des Hauses seit 18 Jahren nutzen. “Neben der Vielfältigkeit der Veranstaltungen war aber das Besondere an der Schöpf- Kelle, dass die „Jungen“, die Kinder, neben den „Alten“ tätig waren, ob bei Lesungen zu Ausstellungen, im Internetcafe oder anderen kreativen und sportlichen Veranstaltung”, führt Seidel aus.

Den kompletten offenen Brief lesen Sie auf Seite 2:
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Sehr geehrte Frau Szabados,

als die 83 jährige Johanna Klinghofer Ihnen vor der letzten Stadtratversammlung eindringlich beschrieb wie wichtig die Schöpf – Kelle für sie und viele andere Menschen aus der Silberhöhe sei, wiesen Sie die alte Frau mit wenig freundlichen Worten ab: „Für Seniorenbegegnungsstätten hat die Stadt kein Geld mehr.“ In Ihren Interviews (Mitteldeutsche Zeitung und Sonntagsnachrichten) bekräftigten Sie diese Meinung mit der Begründung, dass Altersheime ähnliche Beschäftigungen anbieten und auch die Wohnungsgesellschaften Begegnungsstätten einrichten.

Ich möchte Sie über einen Irrtum aufklären. Die Schöpf – Kelle ist ein Familienzentrum oder Mehrgenerationenhaus oder soziokulturelles Zentrum wie auch immer man es bezeichnen will, aber keine Begegnungsstätte nur für Senioren. In der Hanoier Straße gehen seit fast 18 Jahren alle Generationen ein und aus. Neben der Vielfältigkeit der Veranstaltungen war aber das Besondere an der Schöpf- Kelle, dass die „Jungen“, die Kinder, neben den „Alten“ tätig waren, ob bei Lesungen zu Ausstellungen, im Internetcafe oder anderen kreativen und sportlichen Veranstaltung.
Unser Kino besuchten zum Beispiel Kinder der Lindgren Schule, der Sprachheilschule, der Körperbehindertenschule, der gegenüberliegenden Grundschule, Kinder, aus sozial schwachen Haushalten. Sie alle konnten bei uns töpfern, schreiben, sogar Gitarre lernen, im Kino einen Film sehen oder Bücher ausleihen. 2007 wurden wir übrigens wegen letzterem von Ihnen persönlich ausgezeichnet mit „Engagiert für Halle“. Es gibt außer unserem Lesestübchen keine Bücherei auf der Silberhöhe, auch keinen Buchladen mehr.

Im vergangenen Jahr besuchte Minister Haseloff unser Haus und äußerte sich sehr beeindruckt. Sie, Frau Oberbürgermeisterin, aßen auf Einladung des Mittagstisches vor drei Jahren in unserem Lesestübchen, fanden aber keine Zeit für eine weitere Besichtigung. Im Nachherein empfinde ich das als sehr bedauerlich, hätte so doch manche Unkenntnis vermieden werden können.

Sicher, das Haus lässt sich was die Ausstattung betrifft, nicht mit dem Mehrgenerationenhaus in den Franckeschen Stiftungen vergleichen. In den 18 Jahren wurde dafür nichts getan, aber trotzdem glaube ich, dass mit über 120 Veranstaltungen monatlich es in der Stadt nichts Vergleichbares gibt. Mir ist auf der Silberhöhe auch keine Begegnungsstätte bekannt, die durch eine Wohnungsgesellschaft betrieben wird.

Ich weiß nicht, wie viele Beschäftige in der Stadtverwaltung tätig sind und ob dort auch ehrenamtlich gearbeitet wird. Sie, Frau Oberbürgermeisterin, wollen ja wohl nach Erreichen des Rentenalters einen beispielhaften Anfang machen.
Ehrenamtlich lässt sich die Schöpf- Kelle jedenfalls in dieser Qualität und Quantität der Veranstaltungen nicht am Leben erhalten.
Ehrenamtlich wurde bei uns zum Beispiel schon seit Jahren das Haus gereinigt und bei über 1800 Gästen im Monat war das täglich notwendig. Da aber eine Reinigung sicher keine Arbeit ist, die Ehrenamtlichen Genugtuung verschafft, war ich froh, wenn Stundenleistende der Freien Straffälligenhilfe das übernehmen konnten.

Immer wieder war die Existenz unseres Hauses in den vergangenen Jahren bedroht. 2010 sammelten wir Unterschriften, trieben Sponsorengelder ein, Stadträte setzten sich für uns ein.
Frau Szabados, Sie müssen sich nicht leid tun, wie Sie im Interview schrieben. Leid tun sollten Ihnen die Menschen, die nun bald einsam in ihren Wohnungen sitzen, oder die Kinder, die die nicht mehr fröhlich sagen können, heute töpfern oder schreiben wir oder spielen Gitarre in der Schöpf- Kelle.

Sicher, wenn der Peißnitzexpress nicht mehr rollt geht die Welt nicht unter, wie Sie feststellten, wenn die Schöpf – Kelle nicht mehr existiert auch nicht, den Gedanken kann man beliebig fortsetzen, wenn die Stadt Halle … Aber so einfach sollte man es sich als Oberbürgermeisterin doch nicht machen.

Viele unserer Veranstaltungen in den vergangenen 17 Jahren wurden in einer Chronik festgehalten in Wort und Bild, die ich Ihnen in den nächsten Tagen, in das Stadthaus bringen werde, damit Ihnen bewusst wird, was Sie mit einem Federstrich oder einem Satz zu nichte machen.

Ja, ich bin ärgerlich und traurig über so viel sichtbare Unkenntnis, Ungerechtigkeit und Oberflächlichkeit.
Unser Träger, die SKV Kita gGmbH, wird auch in Zukunft auf der Silberhöhe für Kinder da sein, wie Sie Herrn Triebsch bestätigten, der sich auch in einem Brief an Sie wandte. In einem Hort und einer Kita, nicht in einem Familienzentrum. Das vergaßen Sie zu erwähnen.
Allerdings gebe ich mich keiner Illusion hin, mit diesem Brief Ihre Einstellung zu unserem Haus zu ändern.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Christina Seidel