SPD-Basis kürt Jens Bullerjahn zum Spitzenkandidat

von 20. Juni 2010

314 Stimmen wurden abgegeben. Das Ergebnis fiel eindeutig und überwältigend aus: 89,4 Prozent der SPD-Mitglieder, die sich im Volkspark zum Mitgliederkonvent versammelt hatten, votierten am Samstag für Jens Bullerjahn als ihren Spitzenkandidaten für die Landtagswahl.

Die Wahl des Spitzenkandidaten durch einen Mitgliederkonvent ist erstmalig im Lande. Ihre Bestätigung durch den Landesparteitag im Herbst stellt nunmehr nur eine Formalie dar.

Ca. 400 Menschen, neben SPD-Mitgliedern auch etliche Gäste und Medienvertreter, hatten sich im Volkspark zusammen getroffen. Die ehemalige Oberbürgermeisterin und amtierende stellvertretende Vorsitzende der Volksparkstiftung Ingrid Häußler begrüßte die Anwesenden und äußerte ihre sichtbare Freude über die neuen reellen Chancen zur Restaurierung und Nutzung des Volksparks nach dessen Übertragung seitens der SPD an die Stiftung.

Zur Einstimmung der Genossen sorgte zunächst Landesvorsitzende Katrin Budde mit ungewöhnlich deutlichen Kampfansagen an den politischen Gegner für Stimmung. Es erschrecke sie maßlos, wie verlottert die politische Kultur knapp 20 Jahre nach der Wende sei. Da werde Druck auf die evangelische Landesbischöfin ausgeübt, um zu verhindern, dass sie das Amt der Wahlfrau für die Bundesversammlung annimmt. “Und dieser Druck kommt von Parteien, die bis 1989 nicht einmal wussten, wie man Demokratie schreibt. Parteien, die festes Mitglied im System der DDR waren und sich nahtlos gewendet haben“.
Dann führte die Landesvorsitzende den Kandidaten ein. Zunächst aber nur virtuell. In einem „Imagefilm“ sah man Bullerjahn im Auto telefonieren, mit Bürgern reden, verhandeln, ganz weltmännisch. Solche Anleihen an amerikanischen Wahlkampfsitten stießen nicht bei allen Genossen auf Gegenliebe. „Austauschbar“ war zu vernehmen, „hätte auch von der CDU oder der FDP kommen können“.

Wenig amerikanisch, dafür energisch und kantig trat dann der echte Bullerjahn auf die Bühne.
Ja, er könnte jetzt eine flammende Rede als Finanzminister halten. Darüber, dass das Land 2007-2009 ohne neue Schulden ausgekommen sei. „Glaubt Ihr wirklich, dass ein Finanzminister nur rechnen kann?“ rief er in den Saal. Sparen wolle er, damit „wir bei der Bildung wieder Fahrt aufnehmen können, in Forschung und Infrastruktur investieren können.“
Und: „Man kann auch ohne Schulden Politik machen“. Bullerjahn hob die Leistungen seiner sozialdemokratischen Ministerkollegen in der großen Koalition hervor: „Ich sage nicht ohne Stolz: Die sozialdemokratischen Kabinettsmitglieder und die Fraktion sind der Motor dieser Landesregierung“ und „Ja, das haben Sozialdemokraten gemacht. Holger, Rüdiger und ich. Reden wir drüber!“

Und dann beschreibt der kantige Rechner eine scheinbar bizarre Utopie, wo in der Schule begabte und lernbehinderte Kinder gemeinsam lernen, jeden Tag bis 16 oder 17 Uhr. Die Hausaufgaben sind dann schon gemacht, und die Kinder wurden dabei von bestausgebildeten und gut bezahlten Lehrkräften betreut. Nach der 9. Klasse entscheiden Kinder, Eltern und Lehrer gemeinsam, welche Kinder in den gymnasialen Zweig wechseln. Die Eltern haben beide einen gut bezahlten Beruf, und Lohndumping gibt es nicht.
„Genossinnen und Genossen“, ruft Bullerjahn, „wenn Ihr jetzt glaubt, ich hätte den Sinn für Realität verloren: nein, das ist heute in Helsinki“.

Nach Bullerjahns Rede war noch eine kleine Rednerliste aufgelaufen, Mitglieder und Interessierte sollten sich in kurzen Aussprachen zum Bullerjahns Thesenpapier „Mein Kompass für ein attraktives Sachsen-Anhalt“, aus dem im Oktober das Wahlkampfsprogramm entstehen wird, äußern. Wer kontroverse Einwürfe erwartet hatte, lag fehl. Es wurde ergänzt, betont, Akzente gesetzt. Ausführliche Programmdiskussionen finden ja bereits seit Monaten in den Ortsvereinen statt und weitere werden folgen. So konnte man durchaus den Eindruck gewinnen, die Redebeiträge der Mitglieder dienten vorwiegend der öffentlichen Demonstration innerparteilicher Diskussionskultur.

Und dann endlich der feierliche Höhepunkt des Konvents. Veranstaltungsleiter Rüdiger Erben ließ die Zählkommission die Stimmzettel austeilen, mit Bitte an die Medienvertreter, die Wahlzettel nicht zu filmen, schließlich handle es sich um eine geheime Wahl. Nach zwanzig Minuten war ausgezählt, der Blumenstrauß wurde hinter dem Präsidium hervorgeholt, der strahlende Gewinner erklärte, er habe alles erwartet, nur nicht ein so tolles Ergebnis, Jubel im Saal, Umarmungen, Siegesposen, Blitzgewitter, Drängeln der Fernsehteams.

Richtig sozialdemokratisch gefeiert wurde denn eher draußen. Würstchen und Bier gab es, ein Leierkastenmann spielte „Glück auf, der Steiger kommt“ und immer wieder den Radetzky-Marsch. Richtige Arbeiterlieder habe er für seine Orgel leider nicht finden können, bedauerte er. Aber dafür schwenkte sein Stoffäffchen kleine SPD-Fähnchen.

Auch bei den anderen Landtagsparteien stehen die Spitzenkandidaten bereits fest. Die Linken hatten einstimmig Wulf Gallert nominiert. 96 Prozent der Deligiertenstimmen gab es für Veit Wolpert (FDP). Der CDU-Parteitag nominierte einstimmig Reiner Haseloff. Die endgültigen Wahlen zu den Spitzenkandidaten sind im Oktober vorgesehen. Im März 2011 sind dann die Sachsen-Anhalter aufgerufen, bei der Landtagswahl ihre Stimme abzugeben.