Streit um Rapunzel eskaliert

von 19. September 2016

Am 8. September 2016 hat sie unter der Überschrift „Kunst darf nicht verboten werden“ eine Petition ins Internet gestellt, auf deren rege Verbreitung und Unterstützung sie hofft. Das Ziel: 120.000 Unterschriften in 170 Tagen. Das war der Stand am 19. September 2016 und Wegat war davon sehr weit entfernt. Der Kampf im Internet ist der vorläufige Höhepunkt eines Streits, der schon seit etlichen Monaten tobt.

Was ist passiert: Wegat hatte 2010 den Rapunzel-Zyklus geschaffen. Der Zyklus nimmt gepeinigte Mädchen in den Fokus und ist die Fortsetzung einer 2005 begonnenen Märchenbilder-Serie. Das Thema der Serie: Gewalt gegen Kinder. Gegenstand der Darstellungen sind Kinder, die ausgesetzt, vertrieben, getäuscht, gefangen genommen, gefoltert, mit dem Tode bedroht oder in einen totenähnlichen Schlaf versetzt sind. Alle Rapunzel-Mädchen haben kurze Haare und einen gebrochenen Arm. Wegat greift das Gewaltmotiv des Märchens von Rapunzel, das in einem Turm gefangen ist, auf: die Versuche, sich selbst zu retten aus dem Turm, alleine, ohne Hilfe, dabei verletzt zu werden und einsam zu sein.

2013 zeigte die Christliche Akademie Halle die genannten Werke in der Villa Rabe, einem prächtigen Bauwerk in Halle (Saale) am Rive-Ufer, gelb geklinkert, einst Domizil der Spinnerei-Fabrikantenfamilie Rabe und von 1947 bis 1993 Kinderkrankenhaus. Die Rapunzel-Mädchen aus Wegats Pinselspitzen waren keine reine Fantasie, sondern hatten lebende Vorbilder. Genau das wurde ihr schließlich zum Verhängnis. Im Erklärtext zur Petition heißt es zu Herangehen und Sicht der Künstlerin: „Im Gegensatz zu den Kindern der ersten Märchenbilder, deren Darstellung samt und sonders frei erfunden war, stellen diese Arbeiten drei ihr bekannte Mädchen im Adoleszensalter dar. Für die Abbildung hatte sie die Genehmigung der Eltern und der Abgebildeten erhalten.“

Genau um diese Genehmigung entbrannte der Streit, denn aus Sicht der Eltern wurde ihre Tochter in einen Zusammenhang mit Kindesmissbrauch gebracht, doch in diesem Kontext wollten sie ihr Kind nicht sehen. Wegat versteht die ganze Aufregung nicht. Der Inhalt des Märchens Rapunzel sei doch bekannt, eine Deutung der Geschichte als Kindesmissbrauch völlig unverständlich. Während der Ausstellung 2013 in der Villa Rabe seien die Rapunzel-Bilder deswegen auch räumlich getrennt von den anderen Märchenbildern, die für den Missbrauch stehen, gezeigt worden. Erst in einem Pressebericht sei der Zusammenhang hergestellt worden, weil dort neben einem Bericht zur Kindesmisshandlung das Bild von „Rapunzel 4“ gezeigt wurde. Die Eltern des dargestellten Mädchens hätten darauf reagiert, die Künstlerin kontaktiert und verlangt, das Bild aus dem Zyklus zu entfernen. Wegat weigerte sich dagegen und argumentierte dabei nicht nur mit der künstlerischen Freiheit und dem aus ihrer Sicht konstruierten Kontext. Wie das Bild verwendet werden würde, sei den Eltern bekannt gewesen. Außerdem: „Die abgebildete Person wird weder namentlich genannt, noch lässt die Abbildung weitere Rückschlüsse auf ihre Identität zu.“ Die Eltern hätten gleichwohl ein generelles Verbot des Bildes angestrebt.

Vor zwei Gerichten bekamen die Eltern Recht, darunter vor dem Landgericht Halle, wo im Juni 2016 das Bild „Rapunzel 4“ verboten wurde. „Hiergegen liegt Verfassungsbeschwerde wegen der Verletzung der Grundgesetzartikel 5 Absatz 3 (Kunstfreiheit) und 12 Absatz 1 (Berufsfreiheit) vor.“ Wegat sieht in dem Urteil einen Anlass für eine Grundsatzdebatte zur Demokratie. In der Onlinepetition erklären Wegat und ihrer Unterstützer: „Wir sind der Meinung, dass das Verbot von Kunst ein unzulässiges Mittel ist, nicht nur und besonders im vorliegenden Fall, sondern auch allgemein im Umgang mit Demokratie und Meinungsfreiheit.“ Die Kunst sei Garant und Wächter der Demokratie. Auch wenn Wegat das explizit nicht sagt, so berührt sie eine Grundsatzdebatte, wie sie im Zuge der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann im Herbst 1976 aus der DDR auch geführt worden ist. So erklärt die Künstlerin weiter: „Kunst zu verbieten, ist stets der erste Schritt in eine Diktatur.“ Sie gibt zu bedenken, wohin das führen würde, wenn ein Künstler alle nur denkbaren Deutungen seiner Arbeit zu bedenken hätte. „Eine solche Praxis würde im Namen des ‚Schutzes der Persönlichkeitsrechte‘ dem Verbot jeglicher Kunstwerke Tür und Tor öffnen, und zwar könnte alle Kunst wahllos verboten werden.“

Bis zum 7. März 2017 läuft die Petition. Die ersten Unterstützer haben sich bereits erklärt. So zitiert Winfried Ritter den Maler und Schriftsteller Erhard Blanck: „Die Inquisition ist die Mutter der Zensur.“ Sarah Buschner meint: „Kunst ist eine Form der Äußerung der Meinungsfreiheit. Dieses Recht sollte jeder besitzen, egal welche Meinung er vertritt.“ Auch der freischaffende Künstler Wieland Fischer steht hinter Wegat: „Artikel 5 lässt keine Abweichung, in welcher Richtung auch immer, zu. Es ist ein Grundgesetz und damit unantastbar. Die beteiligten Personen und vor allem die Beteiligten Richter müssen in ihre Schranken verwiesen werden.“

Petition „Kunst darf nicht verboten werden“ bei openpetition.de

https://www.openpetition.de/petition/online/kunst-darf-nicht-verboten-werden